Diese Insulaner gelten als schlitzohrig
Vorwort
Während des Studiums der Kunstgeschichte war es unerlässlich, in die Toskana zu reisen, zur »Wiege der Renaissance«. Sehr bald wurde aus der Pflicht Liebe zu dieser halb unberührten, halb von Menschenhand geschaffenen Landschaft und ihren unermesslichen Kunstschätzen. Das bedeutete: immer wieder hinfahren auf der Suche nach Neuem, aber auch wegen der Freude des Wiedererkennens von Altbekanntem.
Ob zu Fuß, mit dem Bike oder auf dem Pferderücken über Hügel, durch Weinberge oder entlang der langen Strände – die Perspektivwechsel lohnen. Auch beim Besuch von Weingütern oder auf dem Weg von Dorf zu Dorf, die meist stolz auf einem Hügel thronen, auf einem Tuffsteinblock oder einem Berggrat, den Wind und Wetter ausgewaschen haben.
Oben angekommen, findet sich auf dem Hauptplatz mit Sicherheit ein Brunnen und nicht weit davon eine Enoteca, wo man sich niederlassen sollte – zum Genießen oder um die nächste Etappe zu planen, vielleicht in die weniger bekannte Toscana minore. Also nichts wie hin, zum ersten Mal oder immer wieder!
Ihre
Nana Claudia Nenzel und Gottfried Aigner
Der Norden
Florenz bis zur Versilia-Küste
Florenz ist nicht nur die Hauptstadt der Region Toskana, sondern auch Wirtschaftsmetropole, Universitätsstadt und eines der wichtigsten Kunst- und Kulturzentren Italiens. Die Stadt gilt als die Wiege des Humanismus und der Renaissance. Mit Museen, deren Sammlungen Kennern den Atem rauben und unkundigere Betrachter bezaubern. Hier ist Medici-Land, die Stadt des Dichter-Dreier-Gespanns Dante, Petrarca und Boccaccio, und hier liegt auch der Geburtsort der italienischen Sprache. Das Umland verdankt den Medici die schönsten Villen: Der Mugello brachte Malergenies wie Giotto und Fra Angelico hervor und später den toskanischen Jugendstil. Meerwärts liegen urbane Schätze wie Prato, Pistoia und Lucca, an der Küste locken feinsandige Strände und in ihrem Hinterland die Marmorberge von Carrara sowie die waldgrüne, wilde Garfagnana.
Gigantischer
AUSBLICK
Über 463 schweißtreibende Stufen
zum Florenz-Panorama
Kräftige Wadenmuskeln und ein starkes Herz, keine Angst vor der Enge und Schwindelfreiheit müssen Kuppelstürmer haben. Denn die Wendeltreppe führt erbarmungslos nach oben, es gibt kein Zurück. Die erste Etappe gibt sich noch human, zunächst als Belohnung ein Blick von der Empore hinunter in das Innere der Kirche, wo tief unten die Besucher winzig wie Ameisen wirken.
Die Schmierhände aller Denkmäler der Welt werden hier nach der Generalreinigung zur Ordnung gerufen: Eine App namens Autography lädt ein, Name, Besuchsdatum und ein virtuelles Graffiti auf einem Tablet zu hinterlassen. Das Werk wird auf der Website veröffentlicht.
Doch dann wird es ernst, keuchend geht es rundherum aufwärts bis zum Sockel der Kuppel, deren Anblick noch einmal den Atem raubt. Filippo Brunelleschi (1377–1446) hat hier zwischen 1418 und 1434 ein technisches Meisterwerk der Architektur vollbracht: Ohne Bodengerüst schuf er eine frei schwebende Kuppel mit einem Innendurchmesser von 41,50 Metern. Er schlug alle Warnungen in den Wind: den Einsturz der Kuppel der Hagia Sophia in Konstantinopel (1346) ebenso wie die drohende Senkung der Baptisterium-Kuppel, die statisch verstärkt werden musste. Der Medici-Baumeister wollte die Maurerkunst der Römer wiederbeleben und in der Architektur Zeichen für eine echte Renaissance setzen. Um Zeit zu sparen, beschwerliche Auf- und Abstiege zu vermeiden, engagierte er einen Weinhändler, einen Bäcker und eine Köchin, welche die Maurer und ihre Gehilfen in einer Taverne unter der wachsenden Kuppel versorgten.
Die Kuppelinnenseite zieren Fresken mit bewegten Szenen von mehreren hundert Figuren, die sich um den von unten kaum sichtbaren Weltenrichter scharen. Georgio Vasari hat sich hier 1572 verewigt, und sein Schüler Federico Zuccari (1579) leistete sich ein paar anatomische Witze: einen Esel mit kräftigen Bärenbeinen, Meister Petz wiederum mit Hufen. Gänsehaut verursacht das Jüngste Gericht: Feixende Teufel stürzen die kreischenden Sünder kopfüber mit verrenkten Gliedern die Hölle hinab.
Dem Kuppelerklimmer stehen andere Qualen bevor: Vorbei am Abstieg, der Einbahnstraße auf der anderen Seite der Kuppel, nerven Staus, eine letzte, steile Treppe steht bevor. Wer beharrlich bleibt, zieht sich bald an den letzten Stufen mithilfe von Seilen zu einer Leiter hinauf und atmet endlich wieder reine Luft ein. Der Säulentempel an der Spitze, die Laterne, ist erreicht, 91 Meter über dem Domplatz. Dann der Blick vorbei am Campanile über die Stadt – und alle Mühe ist vergessen.
GLÜCKSVERSTÄRKER
Der Domplatz mit seinen drei großartigen Bauten – Dom, Baptisterium und Campanile (Glockenturm) – kann zusammen mit dem überarbeiteten und großartig eingerichteten Dombaumuseum mit einem gemeinsamen Ticket besichtigt werden.
Grande Museo del Duomo, https://duomo.firenze.it, https://autography.operaduomo.firenze.it
Wo sich Dante
UND BEATRICE TRAFEN
Aus der Liebe wurde nichts –
außer Unsterblichkeit
Eigentlich heißt dieses uralte Kirchlein, das von der Via Calzaiuoli aus nicht zu verfehlen ist, Santa Margherita dei Cerchi, aber in Florenz kennt man es nur als die Kirche von Dante und Beatrice. Für viele gibt es keinen Aufenthalt in Florenz ohne den Besuch dieser romantischen Stätte. Bei leiser barocker Musik wird jeder ganz still, der den bescheidenen Raum betritt. Das Grab der Beatrice Portinari, laut Legende und so steht es dort geschrieben, befindet sich unter dem Altar der Hauskapelle der Familie Portinari. Wie alt die Kapelle genau ist, weiß niemand, die Sippe der Cerchi jedenfalls hat das Patronat über sie 1353 übernommen.
Ob sich alles tatsächlich so zugetragen hat, lässt sich nicht sicher belegen, nur dass die Begegnung der beiden an dieser Stelle möglich war: Dante wohnte 20 Meter entfernt um die Ecke, und Beatrice besuchte hier die Gräber ihrer Verwandten. Der Treffpunkt zweier junger Menschen, deren Liebe gewollt und erwünscht war, aber nicht realisiert wurde.
Wen stört’s heute? Schon gar nicht die Liebespärchen, deren Wunschund Bittzettelchen ganz schön zahlreich an Beatrices Grab hängen, in der Hoffnung auf die unendliche, lebenslange Liebe oder auf das Wiederaufleben einer verlorenen