Man kann auf zwei unterschiedliche Weisen an seine Zukunftsplanung herangehen. Plan A umfasst nichts als „Basteln am Lebenslauf“. Entscheide dich für ein Berufsfeld, dem du dein Leben widmen willst, absolviere die vorgeschriebene Ausbildung oder Kurse, die dich darauf vorbereiten, und klettere dann so rasch wie möglich die Karriereleiter hoch.
Ich verstehe durchaus, dass das seinen Reiz hat, denn es erscheint sinnvoll und verspricht Ergebnisse – zumindest auf dem Papier. Unis und Ausbilder werben gern mit den Karrierechancen ihrer Absolventen, und Eltern lieben diese Versprechen. Aber in Cafés arbeiten erschreckend viele enttäuschte BWLer. „Verfolge diesen Plan, und du erhältst jenes Leben.“ – Es kann einen ganz schön schockieren, wenn das nicht aufgeht. Es hinterlässt das Gefühl, verraten worden zu sein, wenn man sich auf diese Annahme verlassen hat. Und das gilt insbesondere in unserer unberechenbaren globalen Wirtschaft.
Plan A ignoriert einen entscheidenden Aspekt der Wirklichkeit: Einige Leute landen gar nicht in dem Berufsfeld, das sie studiert oder wofür sie eine Ausbildung gemacht haben. Selbst einer meiner Freunde, der Arzt ist, hat seine medizinische Laufbahn aufgegeben und arbeitet nun für eine gemeinnützige Organisation. Ich habe zunächst Schauspiel studiert und später Psychologie draufgesetzt. Mom hat Soziologie studiert. Heute sind wir Autoren. Das Leben folgt nicht immer einem sauberen, exakten und geradlinigen Pfad. Und vor allem: Menschen tun es nicht.
Ich lese gerade ein Buch, das mich begeistert: Ich schraube, also bin ich2. Der Autor, ein junger Mann, hat an der University of Chicago in politischer Philosophie promoviert, hatte dann einen Traumjob in der Geschäftsleitung eines Washingtoner Think Tanks, bis er feststellte, dass er permanent müde und erschöpft war. Nach sechs Monaten hat er gekündigt und sich seinen Traum erfüllt. Jetzt hat er ein Motorradgeschäft.
Die Zeiten haben sich geändert. Mein Vater gehörte noch zu der Generation, die ihren Abschluss machte, eine Stelle fand und dann ihr Leben lang bei einer Firma blieb. Aber heute übt deine Generation im Lauf ihres Lebens etwa neun unterschiedliche Berufe aus – nicht nur Jobs, sondern Berufe.
Das stimmt. Wir sind nicht unsere Großväter, und wir wollen es auch nicht sein. Für den Rest unseres Lebens an ein- und demselben Schreibtisch zu sitzen, hat für uns nicht den Reiz, den es für eine Generation hatte, die Kriege und schlimme Wirtschaftskrisen miterlebt hat. Aber wenn tatsächlich viele nie in dem Bereich arbeiten, in dem sie sich haben ausbilden lassen, dann spräche das auch gegen den Ansatz: „Mache das, was dich begeistert.“ Dann hieße das ja, man sei verurteilt, nie das zu tun, was einen begeistert.
Im Gegenteil. Du solltest das machen, was dich begeistert, weil du dich in diesem Gebiet entfalten kannst und das Beste aus dir herausholen wirst. Und weil Versprechen nach dem Motto: „Dieser Abschluss garantiert jene Karriere“ heute eine erkennbar kurze Halbwertszeit aufweisen. Und das bringt uns zu Plan B: Erkundung und Verwandlung.
Plan B geht davon aus, dass das Studium oder die Ausbildung am besten dazu genutzt werden, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln und einen Menschen herauszubilden, der verschiedene berufliche Aufgaben bewältigen kann. Dieser Ansatz entspricht viel eher dem, was wir wirklich sind, und der Weise, wie wir funktionieren (was nahelegt, dass es der viel bessere Weg ist).
Ich verstehe schon, dass für bestimmte Berufe ein hohes Maß an Spezialisierung nötig ist. Neurochirurgen brauchen die entsprechenden medizinischen Vorbereitungskurse, und Biochemiker müssen die mathematischen Grundlagen beherrschen und sollten ihre Zeit nicht mit Plato oder Dickens verschwenden. Aber: Diese Chirurgen und Chemiker sind immer zuerst Menschen. Und welche beruflichen Chancen ihnen auch offenstehen mögen, ihre erste und wichtigste Aufgabe ist die, Menschen zu werden, denen man Macht und Einfluss anvertrauen kann. Medizinische Fakultäten haben das bereits vor längerer Zeit verstanden. Hier hat man erkannt, dass Ärzte nicht nur gute Kenntnisse von der menschlichen Anatomie brauchen, sondern auch ein echtes Verständnis für Menschen – vor allem für leidende Menschen. Wenn sie ihr eigenes Menschsein im Interesse einer steilen Karriere vernachlässigen, dann werden sie nicht die Ärzte sein, zu denen Menschen gern gehen.
Unsere erste und wichtigste Aufgabe besteht darin, unser Menschsein auszubilden, nicht nur unsere Arbeitskraft – und Menschen brauchen Sinn, um gut zu gedeihen.
Meine Generation hungert geradezu nach Sinn. Und zwar in allem. Man kann ja kaum noch etwas finden, was sich Unternehmen heute nicht auf die Fahnen schreiben, um das Bedürfnis nach Sinn zu befriedigen. Eine Schuhkette wirbt damit, dass sie für jedes gekaufte Paar Schuhe ein Paar an Bedürftige spendet. (Ich habe etliche Paare dort gekauft; nach kaum einem Monat stanken sie so, dass ich sie nicht mehr tragen konnte.) Jedes Café, das was auf sich hält, von den unbedeutendsten bis zu den Branchenriesen, weiß, dass die Leute heute fair gehandelten Kaffee wollen, keine Produkte aus Sklavenarbeit. Und die Kakaohersteller ebenfalls. Modeketten haben verstanden, dass sie Leute in die Läden ziehen, indem sie nicht mit Ausbeuterbetrieben zusammenarbeiten und hohe moralische Standards publik machen. Ich wünschte nur, mehr würden sich auch tatsächlich daran halten, was sie vorgeben. Die Leute bezahlen für „unblutige Diamanten“. Jetzt ist auch immer mehr ethisch vertretbare Ernährung auf dem Vormarsch, die sich für artgerechte Tierhaltung einsetzt oder ganz auf Tierisches verzichtet. Bald haben wir wohl jeden Zentimeter unseres Alltags abgedeckt. Das ist meine Generation.
Vor ein paar Jahren lasen wir Bücher über Hilfsorganisationen, den Kampf gegen moderne Sklaverei und die Schrecken moderner Massentierhaltung. Wir beschäftigten uns damit, was in unserer Welt falsch läuft und wie wir die Dinge ändern könnten. William Strauss und Neill Howe haben unsere Generation eine „Generation von Helden“ genannt.3 Wir wollen die Welt verändern. Umweltschutz, Hilfe für die Armen, Gerechtigkeit, was immer dir noch einfällt – das alles ist uns wichtig. Wir wollen eine Revolution anstoßen. Und wenn wir die nicht haben können, füllen wir unser Leben mit Kleinst-Revolutionen, die uns für einen Augenblick beleben wie ein Espresso. Und man hält uns jede Menge dieser Kleinrevolutionen vor Augen, als läge darin die Antwort für unsere tiefe Sehnsucht. Das ist oft nicht mehr als geschicktes Marketing; aber es spricht etwas sehr Echtes in uns an.
Du stehst jetzt am Beginn einer neuen Phase in deinem Leben als Mann: Du wirst zum Kämpfer. Die meisten Revolutionen der Geschichte sind von jungen Männern ausgegangen. Es steckt eine tiefe Leidenschaft in uns, Tyrannen zu stürzen, Unterdrückung zu beenden und für eine bessere Welt zu kämpfen. Wir wollen an etwas Großem beteiligt sein.
Und warum hat Gott unser Herz mit diesem Verlangen geschaffen? Ist es nicht faszinierend, dass es dir und vielen in deiner Generation ein Herzensanliegen ist, die Welt zu verändern? Soll dieser Wunsch in dir einfach absterben? Bloß nicht!
Ich weiß, dass die Älteren euch manchmal über ihre Lesebrille hinweg anschauen und etwas geringschätzig vom „Idealismus der Jugend“ murmeln und dass es an der Zeit wäre, sich mit der Wirklichkeit abzufinden. Aber das ist nicht meine Sicht der Dinge. Und ich glaube, es ist auch nicht Gottes Sicht. Dieser Rat kommt von Leuten, die ihr eigenes Herz und ihre Seele haben verkümmern lassen, um in der Welt voranzukommen. Im christlichen Glauben geht es ganz zentral um Revolution – ja, er ist eine einzige Revolution; und das ist der Grund, warum Gott junge Männer und junge Frauen mit dieser Leidenschaft begabt, die Welt zu verändern. Gott hat dir dieses Herzensanliegen eingepflanzt, damit du die Freude erfährst, sowohl an seiner Revolution beteiligt zu sein als auch deine ganz eigene Rolle darin zu entdecken.
Die Welt ist voll von Unrecht, das korrigiert werden muss. Wohin man auch guckt, sieht man, dass die Erde verwundet ist, Kinder missbraucht werden, die Sklaverei zunimmt und die Wahrheit selbst am Boden liegt. Dies ist eine Zeit für Revolutionen. Und zu den erstaunlichsten Aspekten des christlichen Glaubens gehört die Vorstellung, dass du in deine Zeit hineingeboren wurdest, um darin die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Was könnte uns mehr begeistern? Frederick Buechner war überzeugt: „Der Platz, an den Gott dich ruft, ist der Platz, an dem deine tiefste Freude und der tiefe Hunger der Welt zusammentreffen.“4 Was könnte uns mehr Hoffnung geben?
Eine der glücklichsten Phasen meines Lebens war die Zeit Anfang zwanzig. Deine Mutter