Alles viel zu offensichtlich!, dachte ich. Als ob der Kerl uns mit der Nase darauf stoßen wollte.
Inzwischen kam die Frau wieder zu sich. Sie war benommen von dem Schlag, den sie erhalten hatte, stöhnte auf. Orry half ihr.
Ich ging die Reihe der Wasserkessel entlang.
Gegen jeden der Kessel schlug ich mit dem Lauf der SIG.
Kessel Nummer drei war abgelassen worden.
Der Klang verriet es deutlich.
Ich sah Milo an und nickte.
"Hier ist er!"
Ehe Milo etwas erwidern konnte, stieg ich die schmalen Sprossen der Trittleiter empor, mit der man zu Wartungszwecken an die Oberkante des Kessels gelangen konnte. Oben angekommen, war es gar nicht so einfach, sich freihändig zu halten. Mit der Linken öffnete ich die Abdeckklappe, in der Rechten hielt ich die SIG...
...und blickte Sekundenbruchteile später in die Mündung eines Spezialgewehrs.
Der Strahl des Laserpointers tanzte auf meiner Stirn.
Der Killer hockte am Boden des Kessels, stand dabei noch knietief im lauwarmen, auf ca. 40 Grad vorgeheiztem Heizungswasser.
Der Lauf meiner SIG war auf seinen Kopf gerichtet.
Sekundenbruchteile geschah nichts. Es bestand ein Patt zwischen uns. Auf die geringe Distanz konnte er kaum hoffen, mich ausschalten zu können, ohne selbst noch eine Kugel abzubekommen. Und außerdem wusste er, dass ich nicht allein war. "Das Spiel ist aus!", sagte ich.
Er war der kühle Rechner, den ich erwartet hatte.
Der Killer ließ das Gewehr sinken.
Ich deutete auf die Trittleiter, die an der Innenseite des Kessel hinunterführte.
"Ihre Rechte bete ich Ihnen vor, wenn Sie hier herausgeklettert sind!"
9
"Gute Arbeit!", gratulierte uns Jonathan D. McKee, der Chef des FBI-Field Office New York am nächsten Morgen.
Wir saßen zur Dienstbesprechung in seinem Büro. Außer Milo und mir waren noch Orry, Clive und Fred LaRocca anwesend.
"Wie geht's der Geisel?", fragte ich.
"Physisch hat sie kaum Schäden davongetragen - wie die seelischen Folgen aussehen, wird sich erst noch zeigen", berichtete Mister McKee.
"Sie hatte verdammt viel Glück, mit heiler Haut davongekommen zu sein", kommentierte Orry.
Mister McKee nickte. Er legte ein ziemlich dickes Dossier auf den Tisch, auf dem bislang nur ein paar dampfende Becher mit Mandys unvergleichlichem Kaffee herumstanden.
"Max Carter und ein paar andere Innendienstler haben die ganze Nacht gearbeitet und die Kollegen im Labor waren auch nicht faul. Wir haben die Identität des Killers, den Sie gestern festgesetzt haben!"
"Wer ist es?", fragte Milo ungeduldig.
"Tony Lawson, ein Mann der zu den meistbeschäftigten und bestbezahlten Hit-men der letzten Jahre gehören dürfte."
"Er hat immer noch keinen Ton gesagt?", fragte ich.
"Nein. Er schweigt eisern. Aber wir haben seine Fingerabdrücke durch eine frühere Vorstrafe."
"Wissen wir etwas über seine Auftraggeber?", fragte Milo.
Mister McKee schüttelte den Kopf. "Lawson hütet sich natürlich davor, nur eine einzige Silbe herauszulassen, weil er fürchtet, dass seine Auftraggeber ihn dann erledigen."
"Was hat er noch zu verlieren?"
"Fragen Sie das nicht mich, Milo!"
Orry meldete sich zu Wort. "Jedenfalls muss der Auftraggeber über einiges an Kleingeld verfügen."
"Unsere Innendienstler haben sich das Computerequipment von Mark 'BigByte ' Sorello unter die Lupe genommen. Aber es kann eine Weile dauern, bis wir daraus irgendwelche Erkenntnisse ziehen können..."
"Sorello ist wohl ein Meister der Verschlüsselung", vermutete ich.
Mister McKee nickte. "Genau das ist das Problem. Immerhin gibt es inzwischen eine Liste seiner Email- und Telefonkontakte. Aber eine Gewähr auf Vollständigkeit würde ich da nicht übernehmen."
"Interessante Namen darunter?", fragte ich.
"Einige aus seiner ehemaligen Clique, zu der er offenbar immer noch Kontakt hatte. Der Mann hat bis zu 50 Emails am Tag erhalten und natürlich entsprechend viele geschrieben. Unsere Innendienstler haben erst einen Teil davon analysiert. In einigen ist von einer 'großen Sache' die Rede..."
"Was soll das sein?", fragte Milo.
"Da müssen Sie die Betreffenden schon selbst fragen - aber es könnte ein Zusammenhang zwischen dem Mord an Sorello und dieser 'großen Sache' bestehen."
"Wieso?"
"Weil immer wieder ein Datum genannt wird. Es stimmt mit Sorellos Todesdatum überein." Mister McKee ließ den Blick schweifen. "Jeder von Ihnen wird sich ein paar dieser Adressen vornehmen... Jedenfalls, soweit wir die tatsächlichen Wohnadressen der Mail-Schreiber ermitteln konnten."
Ich runzelte die Stirn. "Das ist wirklich alles, was wir bislang in Händen halten?"
"Im Wesentlichen ja", nickte Mister McKee. "Es gibt da noch eine andere Spur... Sorello hat regelmäßig E-Mails von jemandem bekommen, der sich 'The Virus' nennt."
"Ist doch ein typisches Pseudonym in der Szene", meinte Clive. "Wahrscheinlich einer aus der Clique..."
Mister McKee machte ein unbestimmtes Gesicht. "Einiges ist merkwürdig daran. Erstens kamen diese Mails über einen Server in Russland. Der Inhalt dagegen war vergleichsweise harmlos. Erotik-Photos in sehr grobkörniger Qualität..."
"Wovon Sie sich natürlich persönlich überzeugen mussten", grinste Orry.
Mister McKee ignorierte diese Bemerkung.
Sein Blick blieb vollkommen ernst. "Warum lässt sich jemand Fotos in unglaublich schlechter Qualität schicken, die er sich doch überall sonst in besserer Ausführung herunterladen könnte? Zumal jemand wie Sorello, der sich im Internet doch auskannte wie kaum einer sonst. Das Merkwürdigste ist, dass er solche Fotos auch wieder zurückgeschickt hat..."
"Fototausch", kommentierte Clive. "Das ist doch nichts Ungewöhnliches. Und in Russland eine E-Mail-Adresse anzumelden ist ein Kinderspiel. Das kann jeder."
Mister McKee nickte. "Das ist die harmlose Variante. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Sorello Kontakt zum russischen Geheimdienst hatte, möglicherweise sogar für ihn tätig war."
"Ich dachte, seit dem Treffen Bush/Putin ist wieder Tauwetter angesagt!", meinte Clive.
"Was ja nicht bedeutet, dass nicht jede der beiden Seiten gerne über die Aktivitäten der jeweils anderen informiert ist", ergänzte Mister McKee.
10
Bruce Levonian legte den Koffer auf den Tisch, öffnete ihn und nahm eines der Bündel mit Dollarnoten an sich. Er strich mit dem Bündel an der Seite entlang.
Kleine gebrauchte Scheine...
Ein Lächeln flog über sein Gesicht.
Er steckte das Dollar-Bündel in die Innentasche seines Jacketts. Es war immer gut, etwas Kleingeld dabei zu haben.
Den Rest würde er sich ans Handgelenk ketten und damit so schnell wie möglich aus New York verschwinden.
Ein Flug nach Acapulco war schon gebucht.
Heute Abend ging es los. Non Stop ab JFK Airport. Und dann begann ein neues Leben...
Darauf