Schreie mischten sich mit dem Detonationsgeräusch.
Cole öffnete die Beifahrertür, schob den Koffer hinaus, robbte hinterher und rollte sich dann auf dem Asphalt ab.
Ein Hupkonzert war zu hören, dazwischen die fernen Sirenen von Polizei, Feuerwehr und Emergency Service.
Cole hielt sich geduckt, fasste mit der Linken den Koffer.
Einer der maskierten Killer lief wie eine lebende Fackel über die Bedford Street auf die Seventh Avenue zu. Das Quietschen von Bremsen mischte sich mit seinen Schreien. Ein Verkehrschaos entstand. Die meisten Wagen auf der Kreuzung waren eingekeilt. Hier und da kam es zu kleinen Auffahrunfällen. Panisches Stimmengewirr war zu hören.
Cole ließ den Blick kurz über die Szenerie schweifen.
Die Blondine im Sportwagen starrte ihn an. Einen Moment lang erwog Cole, sie als Geisel zu nehmen, aber ihr Sportwagen war eingekeilt. Sie konnte nicht wegfahren.
Ein Motor heulte auf.
Cole wirbelte herum.
Ein Motorradfahrer schlängelte sich zwischen den Fahrzeugen hindurch.
Das ist es, dachte Cole. Ein Motorrad war das ideale Fluchtfahrzeug.
Er hob die Waffe, zielte.
Aber noch ehe er abdrücken konnte, ging ein Ruck durch seinen Körper, Sekundenbruchteile später ein weiterer.
Er sackte in sich zusammen. Noch immer krampfte sich die Linke um den Griff des Koffers.
Die Blondine im Sportwagen hielt eine Schalldämpferwaffe in der Hand, verbarg sie dann in ihrer Windjacke und zog den Reißverschluss zu. Der Motorradfahrer kam heran, stoppte kurz vor dem toten Cole.
Der Fahrer bückte sich, hob den Koffer auf. Die Blondine stieg aus dem Sportwagen und setzte sich dann hinter den Motorradfahrer.
"Nun mach schon!", zischte sie.
Der Fahrer ließ den Motor aufheulen, lenkte die Maschine an dem Toten vorbei und brauste dann auf einem Zickzack-Kurs durch die herumstehenden Wagen davon.
2
Als wir am Tatort Ecke Bedford Street/Seventh Avenue eintrafen, herrschte dort noch immer das Chaos. Überall standen Einsatzwagen herum. Der Verkehr staute sich bis weit auf die Seventh Avenue. Kollegen der City Police waren damit beschäftigt, den Verkehr umzuleiten. Die Beamten der Scientific Research Division, des zentralen Erkennungsdienstes aller New Yorker Polizeibehörden, brauchten Zeit um ihren Job mit der nötigen Gründlichkeit durchführen zu können.
Lieutenant Jesper O. Thomson von der Homicide Squad II des 23. Reviers begrüßte Milo Tucker und mich. Wir hatten uns dem Ort des Geschehens auf Schleichwegen genähert, den Sportwagen in einer Seitenstraße stehenlassen und die letzten zehn Minuten zu Fuß hinter uns gebracht.
"Ich hätte nicht gedacht, dass Sie es so schnell schaffen", meinte Thomson. Ich kannte ihn von einem Auffrischungs-Lehrgang im Kleinkaliberschießen. "Sie sind sogar noch vor dem Coroner hier."
"Der wird dieselben Probleme haben, wie wir", erwiderte ich.
Thomson zuckte die Achseln. "Der Grund dafür, dass wir den FBI verständigt haben ist, dass es sich bei dem, was sich hier abgespielt hat, wahrscheinlich um eine Auseinandersetzung im Bereich der organisierten Kriminalität handelt."
"Ein Bandenkrieg?" Milo hob skeptisch die Augenbrauen.
Durch unsere Informanten hatten wir keinerlei Informationen, die so etwas erwarten ließen. Aber das musste nichts heißen.
"Es hat eine größere Detonation gegeben. Die wenigen Zeugenaussagen, die meine Kollegen bis jetzt aufgenommen haben sind ziemlich wirr", berichtete Lieutenant Thomson.
"Aber es steht wohl fest, dass in dem ausgebrannten Lieferwagen eine Mannschaft von vier oder fünf schwer bewaffneten Gorillas saß. Sie sind herausgesprungen und hatten es auf den Fahrer des schwarzen Mitsubishis abgesehen..."
"Und der hat sich gewehrt", stellte Milo fest.
Thomson nickte. "Der war auf einen Angriff gut vorbereitet. Aber offenbar nicht gut genug..." Thomson führte uns zu einem Toten, der durch zwei Treffer hingestreckt worden war. "Der Mann hat zwei Pässe bei sich. Einer lautet auf den Namen Lester Greenhouse, bei dem anderen handelt es sich um einen britischen Pass auf den Namen Peter J. Duncan jr."
"Hatte der Mann ein Handy bei sich?", fragte ich.
Thomson nickte. "Haben wir sichergestellt..."
"Wenn an der Position dieses Mannes nichts verändert wurde, dann ist er nicht vom Lieferwagen aus erschossen worden", stellte ich fest.
Thomson bestätigte das. "Die Ballistiker haben da noch ein paar Rätsel zu knacken. Aber was den Lieferwagen angeht... Der wurde gestern von seinem Besitzer als gestohlen gemeldet."
Milo sah sich die Toten an, die um den Lieferwagen herum lagen. Manche waren bis zur Unkenntlichkeit verkohlt.
"Einer der Kerle rannte brennend auf die Seventh Avenue", berichtete Thomson. "Die Schmerzen müssen ihm nahezu den Verstand geraubt haben. Ein Truck erfasste ihn tödlich."
Ich deutete auf ein Cabriolet, dass nur wenige Meter von dem schwarzen Mitsubishi entfernt wie abgestellt dastand.
Mitten auf der Fahrbahn.
"Was ist das da für ein Fahrzeug, Lieutenant?"
"Wissen wir nicht, aber da kümmern wir uns noch drum."
3
"Verdammt, wohin fährst du denn, Bruce?", rief die junge Frau. Der Fahrtwind wirbelte ihr blondes Haar ziemlich durcheinander. Sie klammerte sich mit der Rechten an Bruce' Rücken, während sich die Linke um den Griff des schmalen Diplomatenkoffers krallte. Der Koffer war zwischen ihr und Bruce eingeklemmt. Er enthielt alles, worauf es ankam.
Hoffentlich...
Bruce gab ihr keine Antwort.
Wahrscheinlich hatte er sie nicht einmal verstanden. Der Fahrtwind und der Verkehrslärm verschluckte alles. Gerade waren sie auf der New Jersey-Seite des Lincoln-Tunnels wieder ans Tageslicht gekommen. Der Highway machte eine Art Schleife, bevor er sich quer durch Union City zog.
Bruce nahm die nächste Abfahrt nach Weehawken und hielt sich dann in Richtung der Hafenanlagen und Piers. Auf einem Parkplatz bog er ab und brachte die Maschine dann mit einer Vollbremsung zum Stehen. Das Hinterrad der Kawasaki brach leicht aus, aber Bruce hatte die Maschine im Griff.
Das hatte er auf dem Höllenslalom bewiesen, der hinter ihnen lag. An der Ecke Bedford Street/Seventh Avenue war es wirklich brenzlig gewesen. Bruce war mit geradezu halsbrecherischer Geschwindigkeit zwischen den eingekeilten Fahrzeugen hergefahren.
Die junge Frau schauderte noch immer allein bei dem Gedanken.
Sie stieg von der Maschine. Den Koffer behielt sie in der Hand. Die leichte Windjacke, die sie trug, wurde von der Schalldämpfer-Pistole ziemlich ausgebeult. Sie strich sich das Haar einigermaßen glatt.
"Du musst verrückt geworden sein, Bruce!", stieß sie hervor.
Bruce nahm den Helm vom Kopf.
Er hatte ein kantiges Gesicht mit sehr großporiger Haut. Die Nase sah aus, als wäre sie irgendwann einmal gebrochen worden.
Er sah sie kalt an.
"Was regst du dich so auf, Vonda? Bis jetzt ist doch alles glatt gegangen..."
"Glatt gegangen, nennst du das?" Vonda atmete tief durch.
Bruce deutete auf den Koffer.
"Ich will hinein sehen!"
Vonda zögerte.