Thea lächelte freundlich. »Ja, natürlich. Kommen Sie nur herein.«
Sie sah Rolands Gesichtsausdruck und wusste nicht so recht, wie sie ihn deuten sollte. Aber er ließ ihr keine Zeit zu überlegen und sagte:
»Bitte, Marianne, warum denn der Aufwand, lass uns gleich fahren.«
Sein bestimmtes Auftreten brachte ihm einen vernichtenden Blick von Thea ein, und seine Schwester zog einen Flunsch: »Also wirklich, Roland, soviel Zeit werden wir gewiss haben.«
Sie zog ihre grellrot geschminkten Lippen zusammen und fuhr sich mit ihren rotlackierten Nägeln durch ihre blondierte Mähne und schüttelte sie. Dann grinste sie belustigt und meinte spöttisch:
»Keine Sorge, ich werde Vater nichts von deinem Liebesnest verraten.«
Roland Winters wurde rot und Thea schnappte nach Luft.
Marianne ließ sich dadurch nicht stören, stelzte auf ihren hochhackigen Schuhen zielstrebig auf Thea zu, reichte ihr die Hand und drängte:
»Ach, bitte würden sie mir das Häuschen einmal zeigen? So etwas habe ich mir seit einer Ewigkeit gewünscht.«
Thea nickte und beide gingen ins Haus. Verärgert blieb Roland draußen stehen. Lange würde sich Marianne bestimmt nicht aufhalten. Und er hatte recht! Kaum zehn Minuten später kamen die beiden Frauen wieder heraus. Jetzt war der Kontrast besonders deutlich. Es gab Roland Winters einen Stich, seine elegante Schwester mit ihrem perfekten Make-up und dem eng anliegenden, hellgrauen Kostüm neben Thea zu sehen. Theas blaue Augen glitzerten dunkel und auf ihren Wangen hatte sich ein zartes Rot ausgebreitet. Nun lächelte sie Marianne zu und ihre feinen Grübchen ließen das Gesicht aufleuchten, und in diesem Moment sah sie so zauberhaft jung aus, dass Roland Winters sie verwirrt anstarrte.
Thea reichte Marianne die Hand und verabschiedete sich.
»Besuchen sie mich doch einmal. Gleich hier in der Nähe ist ein wundervoller Stausee. Man kann dort herrlich schwimmen und faulenzen.«
Marianne öffnete die Fahrertür und antwortete: »Vielleicht, ich überleg es mir, danke.«
Sie schwang sich hinters Steuer. Roland beeilte sich Thea ebenfalls die Hand zu geben und meinte etwas steif: »Danke. Äh, ich, ich werde mich bei dir melden.«
Dann stieg er schnell ein, und als Marianne den Wagen mit Schwung zurücksetzte, sah er nur Theas etwas erstauntes, lächelndes Gesicht mit den Grübchen und dachte:
›Verdammt, ich habe sie nicht einmal nach ihrer Telefonnummer gefragt‹.
Seine Schwester betrachtete ihn belustigt.
»Roland, du hast dich doch nicht etwa in dieses Kind verknallt!«
Verärgert knurrte er: »Du spinnst ja.«
Dann wandte er sich ab, um ihren forschenden Augen zu entgehen und ließ sich den Fahrtwind durchs Gesicht blasen.
Thea hatte dem roten Porsche nachgeschaut. Was hatte dieser Roland Winters nur? War es ihm peinlich, mit ihr gesehen zu werden? Verstimmt ging sie ins Haus.
Roland Winters war ihr anfangs so sympathisch gewesen, aber nun!? Seine Schwester war so nett zu ihr gewesen, hatte aber nach einem kurzen Blick in die unteren Räume gemeint, ihr Bruder habe es wohl eilig und sich schnell verabschiedet. Marianne Winters hatte ihr gefallen, solch eine Schwester hätte sie auch gern gehabt, zum Bummeln und Einkaufen, zum Ausgehen und überhaupt. Aber Roland hatte sich benommen, als müsse er etwas vor seiner Schwester verbergen. So etwas Blödes! Wenn sie eine Schwester hätte, würde sie ihr alles erzählen.
Als Thea jetzt so mit ihren Gedanken beschäftigt durch den Flur ging, fiel ihr Blick auf ihr Bild in dem großen Dielenspiegel. Sie erfasste mit einem Male ihr ganzes Aussehen, den alten Jogginganzug, ihr strähniges Haar und dachte an die elegante Erscheinung von Marianne Winters.
Das war es also! Er hatte sich für sie geschämt! Was bildete der Typ sich eigentlich ein? Schließlich war es früh am Morgen und sie hatte Urlaub. Zur Arbeit ging sie auch nicht so salopp.
›Männer!‹, dachte sie grimmig. Entschlossen ging sie nach oben ins Bad und stellte sich unter die Dusche.
Kaum hatte Thea sich das Haar getrocknet und sich angezogen fuhr wieder ein Wagen vor. Natürlich Maik! Mit einem riesigen Rosenstrauß, der sein schlechtes Gewissen noch deutlicher machte, stapfte er herein.
»Was willst du?«, empfing Thea ihn, ohne ihm die Blumen abzunehmen.
»Thea, es tut mir leid!«
Er machte ein zerknirschtes Gesicht. Thea betrachtete ihn spöttisch und meinte kühl:
»Wenn du meinst, dass ich es mir überlege, hast du dich geirrt. Am besten du heiratest Beate, dann brauchst du nicht einmal die Gäste auszuladen.«
Sichtlich nach Fassung ringend legte Maik den Rosenstrauß auf den Wohnzimmertisch und holte tief Luft.
»Thea! Was sollen denn die Leute denken? Mein Vater wird entsetzt sein!«
Thea sah ihn stirnrunzelnd an.
»Wenn das deine einzigen Sorgen sind, kann ich dir leider nicht helfen. Mir ist es nämlich egal, was die Leute sagen! Und dein Vater ist mir auch egal!«
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, wusste sie, dass es stimmte. Es ging doch hier nur um sie beide, oder?
Maik schien da anderer Ansicht, sein Gesicht nahm eine rote Färbung an, und als er nun sprach, spürte man deutlich den verhaltenen Zorn:
»Ich weiß nicht, wie du dir das vorstellst! Wir sind doch nicht allein auf der Welt. Die Gäste, der Pfarrer, dein Onkel … « Jetzt wurde er eifrig, als sei ihm eine Idee gekommen. »Du kannst das doch deinem Onkel nicht antun, Thea. Als Chefarzt steht er doch im Mittelpunkt des Interesses. Bitte, Thea!«
Thea hatte ihm schweigend zugehört, und während sie ihn betrachtete, seine schlanke Gestalt nur wenig größer als sie, das blonde, kurz geschorene Haar und die grauen Augen, die sie zwar etwas zerknirscht, aber dennoch voller Eifer anblickten, dachte sie plötzlich an ein anderes Gesicht: dichtes, dunkles Haar, eine breite Stirn, die lange gerade Nase und schwarze Brauen über braunen Augen, mit kleinen, gelben Sprenkeln darin.
Maik hatte all seine Überzeugungskraft aufgewandt, als er plötzlich bemerkte, dass sie völlig abwesend zu sein schien, fuhr er sie unbeherrscht an:
»Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«
Thea schrak zusammen, fasste sich aber schnell: »Natürlich! Du schreist ja laut genug!«
»Aber du scheinst mich trotzdem nicht verstanden zu haben!«, brüllte er sie an.
Thea schenkte ihm einen langen, eisigen Blick, zuckte die Schultern und ging davon. Er schnappte zornig nach Luft und folgte ihr.
»Hör mal, was fällt dir ein, mich hier einfach so stehen zu lassen?«
Sie war die Treppe hinaufgegangen, verschwand in ihrem Schlafzimmer und drehte den Schlüssel hörbar um. Maik Lohberg stand einige Zeit unentschlossen im Flur, abwartend, ob sie es sich nicht doch noch anders überlegte, dann, nach einer vertanen Viertelstunde, verließ er geräuschvoll das Haus und fuhr mit dröhnendem Motor davon.
Als Thea den Wagen wegfahren hörte, überlegte sie, wie sie die nächsten Tage ihres Urlaubs in Ruhe ohne derartig lästige Störungen verbringen sollte. Maik würde nicht locker lassen. Sie war sich nicht so sicher, wie sie sich vorhin gegeben hatte. Hätte er sie in den Arm genommen, wäre er so sanft und zärtlich gewesen, wie sonst, dann hätte sie wohl eingelenkt. Aber ihm ging es ja nur um sein Ansehen, um seinen Ruf. An sie hatte er dabei nicht gedacht, dass jedenfalls hatte sie genau gespürt. Überhaupt hatte sie Maik nie so kennengelernt. Er hatte sich nicht einmal richtig bei ihr entschuldigt. Sie musste unbedingt mit Onkel Franz sprechen. Nur zu dumm, dass der gerade auf Mallorca war. Doch dann kam ihr eine Idee.
Entschlossen ging sie ans Telefon.