IM FADENKREUZ. Robert Blake Whitehill. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Blake Whitehill
Издательство: Bookwire
Серия: Blackshaw
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958356184
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hatten und nun wehrlos waren. Bens Schritte wiesen gerade genug Bestimmtheit auf, dass er kombiniert mit seiner einschüchternden Größe und seinen schäbigen Klamotten den Eindruck erweckte, den Ärger nicht wert zu sein. Damit blieben nur Polizisten und verzweifelte Junkies, die ihn schikanieren konnten, und wären solche in Sicht, würden sie sich nur gegenseitig Beachtung schenken und nicht einem Niemand wie Ben.

      Er hielt am Eingang der Gasse an, die zu seiner Tür führte, nippte an seinem Kaffee, sah sich um und starrte in die noch immer sonnenlose Leere. Er ließ seine Augen alle paar Sekunden ruhen, als er nicht nur auf, sondern durch die Fenster parkender Autos schaute, auf der Suche nach Anzeichen, dass ihn jemand von der anderen Seite aus beobachtete. Die Straße war leer. Sein Herz wurde schwer wie das eines Sträflings, der den Gefängnishof verlassen musste, um seine Einzelhaft anzutreten.

      Der elektrische Schmelzofen, den er angestellt hatte, bevor er gegangen war, musste inzwischen ziemlich heiß sein und zog genug Ampere, dass sich die Scheibe im uralten Stromzähler wie ein Frisbee drehte. Ben konnte gleich damit beginnen, das Gold für den ersten Guss zu schmelzen. Die Elektrizität, die seine Arbeit verschlang, war nur ein weiteres Opfer der bürokratischen Verwirrung, die sein armes, kleines Gebäude umgab. Als er sich hier einnistete, hatte er die Hauptleitung angezapft, ohne großartig Gefahr zu laufen, dass jemand den hohen Verbrauch meldete. Bisher hatte es sowieso noch niemand bemerkt. Falls es so weit kommen sollte, gab es keinen eindeutigen Eigentümer, dem man die Rechnung präsentieren konnte. Die wenigsten Phantome besaßen Geld. Es wären vielleicht größere Anstrengungen unternommen worden, das Geld für Nebenkosten einzutreiben, wenn der Stromversorger gewusst hätte, dass Ben Multimillionär war.

      Noch einmal scannte Ben die abgedunkelten Gebäude um sich herum von den Kellerfenstern bis zu den Dachflächen. Überzeugt, dass ihn niemand mit übermäßiger Neugier beobachtete, deponierte er den blauen Styroporbecher in einem schlecht verschlossenen Müllcontainer des benachbarten Gebäudes. Zeit, zu arbeiten. Er drehte sich um und betrat die Gasse, vorbei an kleinen, schmutzigen Schneehaufen, die seit dem letzten Schneesturm in der Dunkelheit zwischen kaputten, verrottenden Holzpaletten überlebt hatten.

      Er erreichte die alte Stahltür und stoppte, sein Körper angespannt, sein Verstand auf der Hut vor Gefahr. Es gab keine Klinke an dieser Tür, aber das war nicht das Problem. Gleich nach seiner Ankunft vor ein paar Monaten hatte er ein fünf Zentimeter großes Loch in das Türblatt auf der von den Angeln abgewandten Seite gebrannt. Dann hatte er eine Kette durch das Loch in der Tür und um den Stahlrahmen gefädelt, wo das Mauerwerk abgebröckelt war. Die unauffällige Sicherheitsmaßnahme war noch genauso intakt, wie er sie hinterlassen hatte. Die Mauer war das Problem. Jemand hatte dort eine Nachricht hinterlassen.

      Die schwarze Sprühfarbe war auf der rußigen Gebäudefassade kaum zu erkennen. Die Symbole, etwa eine Handbreit hoch, waren an sich harmlos, aber sie zerschmetterten seine Welt mit mehr Gewalt als eine gut gezielte Kugel. BB2AMKIABNRMCG1300ZRIPAU. Er war sich sicher, dass die Wand nackt gewesen war, als er losging, um sich einen Kaffee zu besorgen. Das Kommuniqué war für ihn gedacht. Irgendjemand ignorierte die Tatsache, dass Tote nicht lesen können.

      Mit dem stabilen Schlüssel aus seiner Hosentasche öffnete Ben das Vorhängeschloss und ging hinein. Er machte die Kette wieder fest und schloss sich im Keller ein. Der Schmelzofen heizte den zugigen Ort auf. Aus Gewohnheit schob er eine alte Decke mit dem Fuß gegen die Türschwelle, um kalte Luftzüge auszusperren. Er saß im Dunkeln auf einem einzelnen Metallklappstuhl, den er im Sperrmüll am Straßenrand aufgegabelt hatte, und dachte nach.

      Die ersten fünf Zeichen adressierten die Nachricht an ihn persönlich. Es gab keinen Zweifel, dass er der Empfänger war. Obwohl er seine Hundemarken seit Jahren nicht mehr getragen hatte, kannte er sie auswendig. Wie jeder Soldat. Von oben nach unten statt von links nach rechts gelesen war das erste Zeichen jeder Zeile auf dem Metallplättchen ein B für Blackshaw, noch ein B für Benjamin, die Zwei war die erste Ziffer seiner Sozialversicherungsnummer, A stand für seine Blutgruppe und M für Methodist. Nur wenige Auserwählte verstanden diesen Code, auf den man sich vor Ewigkeiten zu gefährlicheren Zeiten geeinigt hatte.

      Die Tatsache, dass der Code das Format der Army trug, war die Bestätigung, dass die Nachricht echt war.

      Dieser Geheimcode war auf dem Balkan während eines gemeinsamen Sondereinsatzes mit Soldaten der zehnten Gebirgsdivision entworfen worden.

      Der Rest der Nachricht erschloss sich Ben nach einer etwas genaueren Untersuchung. KIABNR stand für ›Killed In Action, Body Not Recovered‹ – Im Kampf gefallen, Leiche nicht geborgen – ein Ausdruck, der in Militärfamilien leider allzu bekannt war. Der Absender wusste, dass Ben sich versteckte, wusste wo, und wusste sogar, dass sein vorgetäuschter Tod durch Ertrinken in der Chesapeake Bay Monate zuvor keinen Leichnam hinterlassen hatte. MCG1300Z war der Aufruf zum Handeln, den er nicht ignorieren konnte. Er wurde von jemandem gebraucht, dem er sich einst mit Leib und Leben verschworen hatte. Es war nicht schwer, das zu verstehen. McGuire Air Force Basis. Da musste er hin. 1300Z war eine Angabe nach Zulu- oder koordinierter Weltzeit. Gemessen nach Ortszeit musste Ben irgendwie bis neun Uhr an diesem Morgen McGuire erreichen. Er hatte immer noch keine Ahnung warum, aber das würde sich zu gegebener Zeit herausstellen.

      Es war das RIPAU, das ihm am meisten zu schaffen machte, mehr noch als der Aufruf zu einer mysteriösen Mission. Rest In Peace – Ruhe in Frieden – das war deutlich genug. Aber warum das hinzufügen? Jeder, der dieses Format verstand und der sich die Mühe machte, es zu benutzen, anstatt ihn persönlich anzusprechen, hätte seine prompte Antwort erhalten. Der Absender teilte ihm zwei Dinge mit. Die erste Botschaft lautete, dass es bekannt war, dass Bens derzeitiges Unterfangen seine volle Aufmerksamkeit beanspruchte. Sein fingierter Tod und das Exil am letzten Ort der Welt, den er je besuchen, geschweige denn zur Heimat machen wollte, konnte nur etwas Großes beinhalten. Wie viel wusste der Absender wirklich? Das wurde in der zweiten Botschaft klar. Au war der Clou. Das chemische Symbol für Gold im Periodensystem der Elemente.

      Jemand wusste über Bens Machenschaften Bescheid. Falls die Loyalität und der Blutschwur, die von der Nachricht verlangt wurden, noch nicht überzeugend genug waren, erfüllte die Neugier darauf, wer ihn aufgespürt hatte, den Zweck. Es war möglich, dass noch ein oder zwei Kleinigkeiten erledigt werden mussten, bis er und seine Arbeit endgültig sicher waren. Die Erwähnung des Goldes wies darauf hin, dass der Absender annehmen konnte, dass es um Kubik-Dollar ging und vielleicht um andere Anspruchsberechtigte, die auf ihn angewiesen waren. Jemand schlich in seinem Kopf herum, in seinem Leben. Das machte Ben sauer. Er wollte die Schrift mit einem seiner Schnitzmesser von der Wand kratzen. Wer auch immer die Nachricht hinterlassen hatte, wusste, dass er fast alles tun würde, um sein derzeitiges Unterfangen und seine Tarnung nicht für das Unbekannte aufgeben zu müssen.

      Ben analysierte die gesamte Nachricht. Alles in allem sagten die scheinbar zufälligen Buchstaben und Ziffern: Ich weiß, wer du wirklich bist. Ich weiß, wo du bist. Du bist nicht tot. Du tauchst besser um neun in McGuire auf. Du kannst in Ruhe dein Leben mit deinem Gold genießen, nachdem du mir geholfen hast. Lass mich im Stich und es wird nicht friedlich werden.

      Es gab die geringe Chance, dass er die unausgesprochene Drohung nur hineindeutete, aber Ben nahm das nicht auf die leichte Schulter. Resigniert schaltete er den Schmelzofen aus. Das dumpfe Brummen der Energiemassen, die durch unzureichende Leitungen strömten, verstummte. In der neu entstandenen Stille sah er sich um. Das graue Morgenlicht kroch beinahe versehentlich durch schmutzige, schmale Fenster. Ein kleiner Vorrat an gestohlenen Goldbarren lag unter einer Packdecke. Nicht viel. Etwa vier Millionen Dollar wert laut heutigem Marktpreis. Innerhalb von fünf Minuten konnte derselbe boomende Markt das Gold bedeutend wertvoller machen, ein oder zwei Marktkorrekturen mehr oder weniger. Der Rest des Goldes lagerte auf Smith Island. Jeder Barren war mit einem schiefen Grinsegesicht geprägt. Bei jeder Lieferung wurden Ben nur kleine Mengen des Goldes gebracht, um das Risiko zu verringern, den gesamten Schatz durch Diebstahl oder eine Razzia zu verlieren. Man konnte nicht vorsichtig genug sein. Die früheren Besitzer des Goldes hatten ein gutes Gedächtnis und waren höchstwahrscheinlich ziemlich angefressen, so hereingelegt worden zu sein.

      Die anmutige, massive Goldskulptur eines Schwans, etwa fünfundzwanzig Zentimeter hoch, wartete unter einer weiteren Decke auf ihren Feinschliff. Das Gold war so rein, so weich, dass