Mit den Absätzen entspricht meine Größe etwa der Ihren. Wir stehen uns gegenüber, ich verfolge Ihre Augen. Ihr Blick geht über meine Brüste, die Sie sich nicht so voll gedacht haben; der Hauch von Verfallenheit spricht Sie an. Dann fliegen die Augen hinunter zum Schoß. Sie sind überrascht. Sie hatten auch hier mehr Verblühtheit erwartet. Anstatt geplatzter Äderchen springt Ihnen Reife in die Augen – und auch kein Blutbeutel weit und breit, keine eingesunkene Haut, keine Flecken. Und nun begreifen Sie auf einmal, wen Sie vor sich haben. Sie begreifen, daß mir die Helden Ihrer Bücher jahrelang den Mann ersetzt haben. Sie ersparten mir jedes Privatim. Hände, von Ihnen beschrieben, machten mir alle wirklichen Hände entbehrlich, Hände, unter deren Grobheit meine Haut gealtert wäre, wie unter zuviel Sonne. Ihre Bücher erlaubten es mir, so zurückgezogen zu leben, wie ich es mochte. Bis sie dann schlecht wurden. Sie wurden allgemeinverständlich, sie wurden fad. Und nur deshalb bin ich heute bei Ihnen, verlieren wir keine Zeit! Das rufe ich Ihnen zu, und Sie reichen mir nun ein Requisit nach dem anderen. Sie staffieren mich aus, ich bin Ihr Kunstwerk. Zuletzt verbinden Sie mir die Augen, ich weiß jetzt nicht mehr, wie Sie schauen. Es ist still um mich herum, es ist warm. Sie haben einen elektrischen Zusatzofen unter den Schreibtisch gestellt, seine Strahlen erreichen meine Kniekehlen. Langsam auf Zehenspitzen schleichen Sie um mich herum. Sie kommen mir so nahe, daß Sie mich riechen können. Ich rieche nach heißen Kissen und Zimt. Ich bin die Dame auf dem Bild, ich bin es, und Sie treten nun etwas zurück, mein lieber P. – tun Sie, ich warte; zwei Schritte, wenn ich bitten darf …
P. machte zwei Schritte zurück, den Brief in der Hand, die er kaum ruhig zu halten vermochte.
Lassen Sie sich Zeit, flüstere ich. Betrachten Sie jede Einzelheit meines Körpers. Genieren Sie sich nicht. Zeigen Sie Ihr Interesse für Falten und Poren, für den Flaum in meinem Nacken, für die Härchenleiter unterhalb des Nabels; seien Sie schamlos, verlangen Sie Stellungen, die Ihnen vorschweben, nehmen Sie keine Rücksicht auf mich. Sehen Sie das Weib in mir, nicht die Frau. Sorgen Sie für das richtige Licht, leuchten Sie mich so aus, daß mein Körper in den ansprechendsten aller Fleischfarben schimmert. Geben Sie sich nur mit einem blassen Rosa zufrieden, dem Ton des Schweins. Ich bin nichts als Ihre Vorlage. Ich bin Ihr Stoff, verwenden Sie mich nach Belieben. Springen Sie um mit mir! Das rufe ich Ihnen alles zu, und Sie setzen es in Szene, bis nur noch das Schwein fehlt. Ich stehe da wie auf dem Bild, die feine weiße Leine in den Fingern, Sie schärfen mir ein, mich nicht zu bewegen, und gehen ins Bad. Das Schwein liegt auf dem Boden, es zittert. Mit einem Tritt und etwas Futter bringen Sie es auf die Beine, mit frischen Trüffeln locken Sie es in den Wohnraum. Ich schnuppere und lausche; ich rieche das Tier und höre sein Schnaufen. Und Sie verstecken die duftenden Knollen an verschiedenen Plätzen, so daß unser Schwein nicht mehr weiß, wo es hinstreben soll. Die Nase am Teppich verharrt es, was Ihnen Gelegenheit gibt, die feine Leine um den breiten Hals zu schlingen. Das Schwein will weg, doch wird vom Duft gehindert, und so verharrt es erneut, in einem fast graziösen Schritt nach vorn, während ich das Band zu ihm in meinen ausgestreckten Händen halte, ohne es zu spannen, ohne es lockerzulassen. Ich vertraue dem Schwein, so wie das Schwein mir vertraut. Sie aber treten zurück, um das vollendete Bild zu betrachten. Tun Sie’s, ich warte …
Gut – was Sie sehen, ist kaum zu ertragen, das Maß an Vollendung übersteigt Ihre Kraft; Sie beneiden mich um meine Augenbinde! Sie suchen Halt auf mir, Sie suchen den springenden Punkt, Sie glauben, er sei außerhalb von Ihnen. Ihr Blick irrt umher. Von meinem Schoß zu meinen Brüsten, von meinen Schenkeln zu den Fesseln und wieder hinauf, zu den Sehnen, die durch den feinen Handschuhstoff drücken. Dann von der Nabelmulde rasch zu meinem unbedeckten Ohr, von meinem Nasenloch, in einem Sprung, zum Nasenloch des Schweins, von dessen Hals zu meiner Hand und retour. Sie gleiten an der Leine entlang, das Hin und Her der Augen läßt nach. Ihr Blick ruht jetzt auf diesem hellen, hingehauchten Band: Denn was verrät mich mehr als die Art, wie ich es halte. Sie erkennen darin meinen innersten Zustand, Sie sehen ihn als äußerste Blöße. Sie begreifen das und schließen die Augen. Sie wissen nun, daß es mich gibt: Ich bin die Dame mit dem Schwein und grüße Sie herzlich.
P. vergrub sein Gesicht in dem Brief. Das dicke Papier nahm seinen Schweiß auf, die Buchstaben verschwammen zu bläulichen Bächen; vor seinem inneren Auge lebte das Bild. Beschämt atmete er den Duft ihres Briefs, nach Bütten und Tinte, und ging dabei langsam durchs Zimmer, er ging zum Telefon. P. rief die Telegrammaufnahme an, er diktierte, ohne nachzudenken. Verehrteste, Ausrufezeichen. Brief erhalten, Komma, tief getroffen, Punkt. Ich gebe auf, Strichpunkt; die Welt hat Schwein gehabt mit Ihnen, sie wird mich los, Ihr P.
Ganz sachte legte er auf und zog die Vorhänge wieder zurück. Es war ein schöner Tag, das richtige Wetter für einen Ausflug aufs Land; dort wird man weitersehen.
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