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Der alte Mann hieß Allister Reagan, war 81 Jahre alt, verwitwet und hatte drei erwachsene Kinder, die er nur selten sah, weil ihre Jobs sie über die gesamten USA verstreut hatten. Innerhalb der fünf Minuten, die wir brauchten, um auf die Brücke zu gelangen, über die der East Drive geführt wurde, um die Transverse Road No.1 zu überqueren, erzählte er mir seine halbe Lebensgeschichte.
Schließlich standen wir auf der Brücke und Reagan beschrieb mir exakt die Position, an der er den Wagen gesehen hatte.
„Ich habe leider nicht weiter darauf geachtet“, bekannte er. „Ich meine, wer denkt denn auch daran, dass da vielleicht jemand eine Leiche aus dem Kofferraum holt und auf einem Spielplatz abgelegt. Das ist doch pervers!“
„Wie kommen Sie denn darauf, dass die Leiche dort abgelegt wurde und man das Opfer nicht auf dem Playground umgebracht hat?“
Er sah mich etwas verdattert an, nahm seine dicke Brille ab und putzte mit einem Taschentuch über die Gläser. „Das haben die Leute gesagt, die das Glück hatten eher da unten zu sein und mehr von den Ermittlungen mitzubekommen.“
„Ach, so. Wie stark ist übrigens Ihre Brille?“
„Fünf Dioptrien. Aber mit Brille sehe ich ausgezeichnet. Und das da ein Ford stand, da bin ich mir sicher!“
„Können Sie sich an das Modell erinnern?“
„Ich kenne mich mit den Bezeichnungen nicht so aus.“
„Wären Sie dann so freundlich, sich in unserem Field Office an der Federal Plaza ein paar Bilder verschiedener Ford-Modelle anzuschauen? Vielleicht gelingt es Ihnen ja, das richtige zu identifizieren.“
Allister Reagan nickte. „Aber nur, wenn Sie mich in Ihrem Wagen mitnehmen und mein Hund dabei sein kann. Ich besitze nämlich keinen gültigen Führerschein mehr und in der Subway fühle ich mich nicht sicher.“
„Kein Problem, Mister Reagan.“
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An der Stelle, die Reagan uns angegeben hatte, waren tatsächlich Reifenspuren zu finden. Ein Fahrzeug war dort an den Rand gefahren. Die beiden Räder auf der rechten Seite hatten dabei auf der Rasenfläche Spuren hinterlassen. Da der Boden sehr weich war, konnte man allerdings kein brauchbares Profil gewinnen.
Wir brachten Mr Reagan etwas später zum Bundesgebäude an der Federal Plaza 26. Milo quetschte sich dafür in den engen Fond des Sportwagens, während Reagan auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Der Hund befand sich zu seinen Füßen.
Während sich unser Innendienstkollege Max Carter um die Auswertung der Fingerabdrücke kümmerte, die man der Toten abgenommen hatte, verbrachten Milo und ich geschlagene zwei Stunden damit, Allister Reagan verschiedene viertürige Ford-Modelle auf einem Computerschirm zu zeigen.
Zunähst glaubte er, das Modell erkannt zu haben, dann wurde er jedoch unsicher, identifizierte schließlich auch einen von mir in die Bildreihe geschmuggelten Mitsubishi als Ford und wurde sich immer unsicherer.
Schließlich ließen wir ihn von einem Kollegen unserer Fahrbereitschaft nach Hause bringen.
„Wir wissen, dass da heute Morgen ein viertüriger metallicfarbener Wagen – wahrscheinlich ein Ford – mit zwei Reifen auf dem Rasen stand“, fasste Milo die Ergebnisse der Befragung von Allister Reagan zusammen. „Hast du eine Ahnung, wie viele es davon in New York gibt?“
„Hunderttausende“, schätzte ich.
„Optimistisch geschätzt. Wahrscheinlich sind es mehr. Und Metallic ist nun auch nicht gerade ein seltener Farbwunsch. Vom Nummernschild konnte Mister Reagan ja leider nichts erkennen und angesichts seiner Sehschwäche frage ich mich, was er überhaupt mitbekommen hat.“
„Möglicherweise wurde dieser Wagen ja noch von jemand anderem beobachtet. Wir wissen jetzt zumindest den Zeitpunkt, an dem die Leiche abgeladen wurde.“
Inzwischen hatte Max Carter die Identität der Toten anhand ihrer Fingerabdrücke herausbekommen.
Er suchte Milo und mich in unserem gemeinsamen Dienstzimmer auf und zeigte uns einen Computerausdruck.
„Ich habe euch die Daten auf den Rechner geschickt. Die Tote hieß Eileen Genardo. Es gibt mehrfache Verurteilungen wegen Prostitution, einmal wegen gemeinschaftlichen Raubes. Ein Freier wurde niedergeschlagen, um ihm die Geldbörse und diverse andere Wertgegenstände zu entwenden.“
„Gemeinschaftlicher Raub?“, echote Milo. „Wer war denn noch an der Tat beteiligt?“
Ich hatte inzwischen den Rechner hochgefahren, sodass wir die Daten auch auf dem Schirm hatten.
„Der Mittäter war ein gewisser Jack Mancuso, angeblich ihr Lebensgefährte – wahrscheinlich aber auch ihr Zuhälter. Eine Anklage wegen Förderung der Prostitution führte jedoch aus Mangel an Beweisen nicht zu einer Verurteilung.“
„Die letzte Adresse, unter der ihr Bewährungshelfer Eileen Genardo erreichen konnte, ist in der Boerum Street in Brooklyn“, stellte ich fest. „Hausnummer 21.“
„Das ist identisch mit der letzten Adresse, die wir von Jack Mancuso haben“, stellte Max fest. „Gleich um die Ecke am Broadway gibt’s einen Club mit der Bezeichnung ‚Hidden Joy’, in dem Mancuso längere Zeit als Rausschmeißer gearbeitet habe.“
Max meinte natürlich den Broadway in Brooklyn, nicht die gleichnamige Theatermeile im Herzen Manhattans. „Eileen war da mal Gogo-Tänzerin.“
„Scheint, als hätte man ihr dort nicht genug gezahlt, um sie in dem Job zu halten“, kommentierte Milo Max' Angaben.
„Ich schlage vor, wir schauen uns das traute Heim von Miss Genardo mal an“, meinte ich. „Und es wäre sicher auch ganz aufschlussreich mit Jack Mancuso zu sprechen.“
„Gute Idee, aber ich soll euch von Mister McKee ausrichten, dass vorher eine kurze Besprechung in seinem Büro ansteht.“