Ghosting. Sebastian Ingenhoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sebastian Ingenhoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955756147
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look for me / I’ll get ahead / Remember darling / Don’t smoke in bed.

      Es gibt nur zwei Personen, die Solana unmittelbar vor der Show ertragen kann, und das sind Ana und Nina Simone. Also hat sie verfügt, dass sie immer gemeinsam mit Ana zur Arena gefahren wird und sie dabei Nina Simone hören, da es beruhigend ist, Ana dabei zu haben und Nina Simone zu hören. Sie liebt die Art, wie Nina singt und die Wörter dabei langzieht, die Vokale dehnt, weil jedes Wort zählt. Wie sie Klavier spielt, die kleinen kunstvollen Pausen zwischen den Tönen.

      In einem Interview mit einem europäischen Magazin hatte Solana mal über Nina Simone gesprochen. Der Journalist fragte sie, warum sie denn nicht eine Coverversion von Nina Simone mache, da die doch ein modernes Update vertragen könne, und Solana widersprach und sagte, die Songs von Nina könne man mit einem modernen Update nur verhunzen, sie seien so perfekt komponiert und zeitlos, da gebe es nichts zu verbessern, und alle existierenden Coverversionen seien grottenschlecht. Man könne alles problemlos covern, aber nicht Nina Simone.

      Nicht mal mitsingen würde sie ihre Songs, sondern lediglich summen. Nicht, dass sich Solana für eine schlechte Sängerin hielte. Im Gegenteil, sie bekommt ja auch ständig erzählt, sie sei eine der besten Gesangskünstlerinnen, die es derzeit gibt auf der Welt. Aber sie ist keine Meisterin im dunklen Bereich.

      Der einzige Mensch, der Ninas Songs halbwegs adäquat singen kann, ist Solanas Mama, die eine ausgesprochen tiefe Stimme hat, die Ninas Songs immer gesungen hatte, ob beim Aufräumen, beim Solana-in-die-Schule- oder Solana- ins-Bett-bringen.

      So hatte Solana schon in frühester Kindheit Nina Simones Lieder lieben gelernt, wie sie später die Songs von Aaliyah, Lauryn Hill oder Björk lieben lernte. Ninas Songs seien Balsam für die geschundenen Seelen einer geschundenen Welt, hatte ihre Mama immer gesagt, und das war der zweitbeste Satz, den Solana über Nina Simone kannte. Der Beste kam von Lauryn Hill und ging: So while you are imitating Al Capone, I’ll be Nina Simone, and defecating on your microphone.

      Draußen rauscht Tokio vorbei. Solana mag es, dass Ana nicht viel redet vor der Show, weil Ana noch aufgeregter ist. Obwohl sie selbst nicht viel machen muss, außer dafür sorgen, dass alles läuft, wobei sie hauptsächlich dafür sorgt, dass Solana in Ruhe gelassen wird, weil sie Ruhe braucht vor dem Orkan, dem Geschrei, dem Flackern und den Gesichtern.

      Bei ihren Tänzern und Musikern ist das anders. Die pumpen Outkast oder Wu-Tang Clan in voller Lautstärke, um sich einzupeitschen, springen und tanzen und wirbeln wild durch den Backstage-Bereich, bis sich kein normaler Mensch mehr da rein traut. Solana liebt ihre Crew, aber kurz vor der Show sind Ruhe und Konzentration angesagt, weswegen sie oft erst in letzter Sekunde zu den anderen stößt, was das Tourmanagement manchmal wahnsinnig macht, weil ein Auftritt in einer so großen Arena nun mal sekundengenau getaktet ist und Verspätungen jeglicher Art einfach nicht vorgesehen sind.

      Aber wenn Solana sagt, dass das so gemacht wird, dann wird das auch so gemacht, und meistens geht ja auch alles gut.

      Der weiße SUV wird von den Securities am hinteren Bereich der Arena in die Unterführung gewunken, die zum Backstage-Bereich führt. Man hört schon die Bässe, und wenn man ganz genau hinhört, kann man auch die Stimme ihres Supports Young Moses hören, der gerade auf der Bühne steht. Der Wagen hält neben dem Eingang, an dem zwei stämmige Männer mit Funkgeräten postiert sind. Solana und Ana packen ihren Kram zusammen und steigen aus. Sie nicken den Männern kurz zu, die ehrfürchtig zur Seite treten. Eigentlich hätten Ana und Solana ordnungsgemäß ihren Zugangsberechtigungsausweis vorzeigen müssen, aber entweder haben die beiden Männer ihre Sprache verloren oder im Eifer der Aufregung einfach vergessen, danach zu fragen. Aber man sieht ja auch, wer da kommt.

      Sie werden von der gleichen durchorganisierten Frau mit dem akkuraten Pagenschnitt in Empfang genommen, die sie gestern schon im Hotel begrüßt hatte. Solana hat den Namen vergessen, aber Ana weiß ihn noch, weil sie nie was vergisst, was gut ist, da die Frau die örtliche Ansprechpartnerin ist, die sich um alles kümmert und deren Namen man sich besser merken sollte und die ihnen nun auch den Weg zu Solanas Garderobe weist.

      Solana hat sich die Kapuze ihres Hoodies tief ins Gesicht gezogen, da sie es nicht mag, von allen angestarrt zu werden, sobald sie einen Raum betritt. Aber natürlich wird sie auch hier von allen angestarrt, denn man erkennt sie auch unschwer mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze, weil sie eben Solana ist und nicht Anna Average oder deine Mutter.

      Einige unterbrechen ihre Arbeit, manche bleiben andächtig stehen, lächeln unsicher oder verbeugen sich sogar. Einer der Techniker, ein sehr junger Junge mit verwuschelter Frisur, höchstens achtzehn, möchte ein Foto mit Solana machen, wird aber von der Pagenschnittfrau auf Japanisch zurechtgewiesen, was den armen Kerl erröten und beschämt zu Boden gucken lässt. Solana wirft ein, dass es schon okay sei, ein Foto zu machen, und zieht ihre Kapuze ab, was den Jungen noch mehr erröten lässt, der schüchtern seine Kabel auf den Boden legt, das Handy zückt und sich neben Solana aufstellt, ohne den Arm um sie zu legen, wie man es meistens macht. Dann fixiert er mit der Kamera ihre beiden Gesichter, betätigt den Auslöser, verbeugt sich etwas hektisch und huscht mit seinen Kabeln von dannen.

      Wie auf Knopfdruck zücken plötzlich aber alle der anwesenden Techniker, Logistiker, Caterer und wer auch immer hier gerade durch die Katakomben wuselt, ihre Handys und machen Fotos von Solana, als sei die Entblößung des Kopfes das offizielle Signal dafür, dass man jetzt Fotos machen dürfe. Solana bemüht sich, möglichst galant zu lächeln, ehe die Frau mit dem Pagenschnitt wieder etwas auf Japanisch sagt, diesmal in noch resoluterem Ton, was einige, aber nicht alle der Anwesenden dazu bringt, die Handys wegzustecken und ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Dann bringt die Frau sie in die Garderobe und es herrscht endlich Ruhe. Ana und Solana sind allein.

      »Ich bin so scheißmüde«, seufzt Ana und hält sich die Hand vor die Stirn.

      »Ich auch. Ich brauch was zu rauchen«, sagt Solana.

      »Ich glaub, Rauchen wär nicht so die geilste Idee. Aber ich hab was von Moe gekriegt. Nur ein paar Krümel, doch der meinte, das sei megastark.«

      »Rollst du uns einen?«

      »Du musst gleich auf die Bühne. Lass lieber vorm Schlafengehen einen rauchen, dann sind wir morgen auch wiederhergestellt.«

      »Komm schon. Nur zweimal ziehen, versprochen. Rest rauchen wir später«, widerspricht Solana.

      Die Garderobe ist fast so groß wie eine Hotelsuite. Es gibt eine gemütliche Sitzecke. Eine lange Kleiderstange. Mehrere Spiegel mit unterschiedlich starker Beleuchtung. Einen Getränkekühlschrank. Einen Cateringtisch, der mit heißem Wasser, allerlei Teesorten, Nüssen, Früchten, rohem Fisch, Tapas und kleinen Salaten drapiert ist. So wie sie es in ihrem Rider stehen hat, der im internationalen Popstarvergleich jedoch nicht übermäßig exzentrisch daherkommt. Man muss sich klarmachen, dass es Künstler gibt, die sich Smarties nach Farben sortieren lassen. So etwas macht Solana nicht. Mehr als ein paar kleine Häppchen kann sie kurz vor der Show ohnehin nicht mehr essen. Kurz vor der Show kann Solana nicht mal mehr Pizza essen.

      Vor der Show will sie einfach nur ihre Ruhe. Das ist der wichtigste Punkt in ihrem Rider. Die Künstlerin bitte nicht in der Garderobe stören steht dick oben geschrieben, noch vor Verpflegung, Transport, Produktionsablauf und dem ganzen anderen Pipapo. Es gibt auch keinen Grund, die Künstlerin in der Garderobe zu stören. Ihre Visagistin trifft sie im Hotel kurz vor der Abfahrt. Sound checkt die Crew. Orga macht das Tourmanagement. Umziehen kann sie sich alleine.

      Nicht mal ihr Tourmanager Steve darf sie in der Garderobe stören. In die Garderobe darf nur Ana und sonst niemand.

      Solanas Bühnenoutfits hängen fein säuberlich in der korrekten Reihenfolge an der Kleiderstange. Anfangs trägt sie ein weißes Tuch über dem Kopf, dazu eine lange Perlenkette, den halboffenen Blouson mit Skorpionmuster zur weit geschnittenen, auf den Schuhen liegenden, aber nicht an den Beinen flatternden Hose. Nach dem Opener I started walking zieht sie das Tuch ab und zeigt den kreischenden Fans ihr Gesicht.

      Im weiteren Verlauf der Show wird sie den Blouson gegen eine elegante Anzugjacke austauschen und zu einer gleichfarbigen Hose wechseln mit einem Schnitt, der auch Marlene Dietrich gutgestanden