Über den Umgang mit Menschen (Enhanced, +Theaterstück). Adolph Freiherr von Knigge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolph Freiherr von Knigge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783940621764
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zu nehmen, wenn man wissen will, was ein Mensch uns wert ist. Es ist keine Kunst, alles zu leisten, was man nur wünschen mag, das einzige ausgenommen, was Überwindung kostet.

      59.

      Wenn Du in einer Gesellschaft von einem der Anwesenden mit Deinem Freunde reden willst (obgleich dies und das In-das-Ohr-Flüstern überhaupt unanständig ist), so gebrauche wenigstens die Vorsicht und Schonung, die Person, von welcher Du redest, nicht dabei anzusehn. Und ist Dir daran gelegen, etwas zu hören, das in einiger Entfernung von Dir gesprochen wird, so wende auch Deine Blicke nicht dahin. Man wird sonst aufmerksam auf Dich und man hört ja auch nur mit den Ohren, nicht mit den Augen.

      60.

      Alle diese allgemeinen, sodann die folgenden besondern Regeln nun, und viel mehrere noch, die ich, um mein Werk nicht über Gebühr auszudehnen, der eigenen Einsicht der Leser überlasse, zielen dahin, den Umgang leicht, angenehm zu machen und das gesellige Leben zu erleichtern. Es kann aber mancher seine besondern Gründe haben, warum er sich über einige derselben hinaussetzen will, und da ist es denn freilich sehr billig, jedem zu erlauben, auf seine eigene Art seine Ruhe zu befördern. Drängen wir niemand unsre Spezifika auf. Wer weder Gunst der Großen sucht, noch allgemeines Lob, noch glänzenden Ruhm, noch Beifall verlangt; wer seiner politischen und ökonomischen Lage oder andrer Rücksichten wegen nicht Ursache hat, den Zirkel seiner Bekanntschaft zu erweitern; wer Alters oder Schwächlichkeit halber den menschlichen Umgang flieht, der bedarf keiner Regeln des Umgangs. Wir sollen daher so billig sein, von niemand zu fordern, dass er sich nach unsern Sitten richte, sondern jedermann seinen Gang gehn lassen; denn da jedes Menschen Glückseligkeit in seinen Begriffen von Glückseligkeit beruht, so ist es grausam, irgendeinen zwingen zu wollen, wider seinen Willen glücklich zu sein. Es ist oft lustig anzusehn, wie ein Haufen leerer Köpfe sich über einen sehr verständigen Mann aufhält, der grade keinen Beruf fühlt oder nicht aufgelegt ist, den Ton ihrer Gesellschaft anzunehmen, sondern mit seiner abgesonderten Existenz sehr wohl zufrieden, seine teure Zeit nicht jedem Narren preisgeben will. Wenn wir nicht grade Sklaven der Gesellschaft sein wollen, so nehmen das die müßigen Leute, die nichts Bessers zu tun wissen, als aus dem Bette vor den Spiegel, von da an Tafel, von da an den Spieltisch, von da wieder an Tafel und von da endlich in das Bett zu wandern, sehr übel, dass wir nicht wie sie leben, der Geselligkeit nicht höhere Pflichten aufopfern wollen – das ist eine Unart, deren man sich enthalten soll. Es heißt nicht, sich absondern, wenn man zu Hause bleibt, um zu tun, was man tun soll, wovon man Rechenschaft geben muss.

      61.

      Von Deinen Grundsätzengehe nie ab, solange Du sie als richtig anerkennst! Ausnahmen zu machen, das ist sehr gefährlich und führt immer weiter, vom Kleinen zum Großen. Hast Du Dir also einmal aus guten Gründen vorgenommen, keine Bücher zu verleihn, keinen Wein zu trinken u. dgl., so müsse Dich Dein eigener Vater nicht bewegen können, davon abzugehn. Sei fest; aber hüte Dich, nicht so leicht etwas zum Grundsatze zu machen, bevor Du alle möglichen Fälle überlegt hast, oder eigensinnig auf Kleinigkeiten zu bestehn.

      Vor allen Dingen also handle nur stets konsequent. Mache Dir einen Lebensplan und weiche nicht um ein Tüttelchen von diesem Plane. Hätte dieser Plan auch allerlei Sonderbarkeiten – die Menschen werden eine Zeitlang die Köpfe darüber zusammenstecken und am Ende schweigen, Dich in Ruhe lassen und Dir ihre Hochachtung nicht versagen können. Man gewinnt überhaupt immer durch Ausdauern und planmäßige, weise Festigkeit. Es ist mit Grundsätzen wie mit jeden andern Stoffen, woraus etwas gemacht wird, nämlich dass der beste Beweis für ihre Güte der ist, wenn sie lange halten, und in der Tat, wenn man recht genau den Gründen nachspüren will, warum auch den edelsten Handlungen mancher Menschen nicht Gerechtigkeit widerfährt, so wird man oft finden, dass das Publikum deswegen Verdacht gegen die Wahrheit und den Zweck dieser Handlungen gefasst hat, weil sie nicht in das System des Mannes, der sie begeht, weil sie nicht zu seinen übrigen Schritten zu passen scheinen.

      62.

      Was aber noch heiliger als jene Vorschrift ist – habe immer ein gutes Gewissen! Bei keinem Deiner Schritte müsse Dir Dein Herz über Absicht und Mittel Vorwürfe machen dürfen. Gehe nie schiefe Wege und baue dann sicher auf gute Folgen, auf Gottes Beistand und auf Menschenhilfe in der Not. Und verfolgt Dich auch wohl eine Zeitlang ein widriges Geschick – o, so wird doch die selige Überzeugung von der Unschuld Deines Herzens, von der Redlichkeit Deiner Absichten Dir ungewöhnliche Kraft und Heiterkeit geben; Dein kummervolles Antlitz wird im Umgange mehr, weit mehr Interesse erwecken als die Fratze des lächelnden, grinsenden, glücklich scheinenden Bösewichts.

      63.

      Und nun weiter zu den besondern Umgangsregeln – doch vorher noch eine Erinnerung. Wenn ich allein, oder auch nur vorzüglich, für Frauenzimmer schriebe, so würde ich eine Menge der schon gegebenen und noch folgenden Vorschriften teils gänzlich übergehn, teils modifizieren, teils andre an deren Stelle setzen müssen, die alsdann für Männer weniger brauchbar wären. Das ist indessen nicht der Zweck meines Buchs. Weise Frauenzimmer allein können den Personen ihres Geschlechts die besten Lehren über ihr Betragen im gesellschaftlichen Leben erteilen; das ist eine Arbeit, die Männern nicht gelingen würde. Findet jedoch das schöne Geschlecht auch etwas für sich Brauchbares in diesen Blättern, so wird das meine Zufriedenheit über mein eigenes Werk sehr vermehren. Übrigens haben Frauenzimmer in ihrem Umgange in der Tat Rücksichten zu nehmen, die bei uns gänzlich wegfallen. Sie hängen viel mehr vom äußern Rufe ab, dürfen nicht so zuvorkommend sein. Man verzeiht ihnen von einer Seite weniger Unvorsichtigkeiten und von der andern mehr Launen; ihre Schritte werden früher wichtig für sie, indes dem Knaben und Jüngling manche Unvorsichtigkeit verziehn wird; ihre Existenz schränkt sich ein auf den häuslichen Zirkel, dahingegen des Mannes Lage ihn eigentlich fester an den Staat, an die große bürgerliche Gesellschaft knüpft; deswegen gibt es Tugenden und Laster, Handlungen und Unterlassungen, die bei einem Geschlechte von ganz andern Folgen sind als bei dem andern. – Doch über dies alles ist den Damen so viel Gutes in andern Büchern gesagt worden, dass jede weitere Ausführung dieses Gegenstandes hier am unrechten Orte stehn würde.

       Zweites Kapitel: Über den Umgang mit sich selbst

      1.

      Die Pflichten gegen uns selbst sind die wichtigsten und ersten, und also der Umgang mit unsrer eigenen Person gewiss weder der unnützeste noch uninteressanteste. Es ist daher nicht zu verzeihn, wenn man sich immer unter andern Menschen umhertreibt, über den Umgang mit Menschen seine eigene Gesellschaft vernachlässigt, gleichsam vor sich selber zu fliehn scheint, sein eigenes Ich nicht kultiviert und sich doch stets um fremde Händel bekümmert. Wer täglich herumrennt, wird fremd in seinem eigenen Hause; wer immer in Zerstreuung lebt, wird fremd in seinem eignen Herzen, muss im Gedränge müßiger Leute seine innere Langeweile zu töten trachten, büßt das Zutrauen zu sich selber ein und ist verlegen, wenn er sich einmal vis à vis de soi-même befindet. Wer nur solche Zirkel sucht, in welchen er geschmeichelt wird, verliert so sehr den Geschmack an der Stimme der Wahrheit, dass er diese Stimme zuletzt nicht einmal mehr aus sich selber hören mag; er rennt dann lieber, wenn das Gewissen ihm dennoch unangenehme Dinge sagt, fort, in das Getümmel hinein, wo diese wohltätige Stimme überschrien wird.

      2.

      Hüte Dich also, Deinen treuesten Freund, Dich selber, so zu vernachlässigen, dass dieser treue Freund Dir den Rücken kehre, wenn Du seiner am nötigsten bedarfst. Ach, es kommen Augenblicke, in denen Du Dich selbst nicht verlassen darfst, wenn Dich auch jedermann verlässt; Augenblicke, in welchen der Umgang mit Deinem Ich der einzige tröstliche ist – was wird aber in solchen Augenblicken aus Dir werden, wenn Du mit Deinem eignen Herzen nicht in Frieden lebst, und auch von dieser Seite aller Trost, alle Hilfe Dir versagt wird?

      3.

      Willst Du aber im Umgange mit Dir Trost, Glück und Ruhe finden, so musst Du ebenso vorsichtig, redlich, fein und gerecht mit Dir selber umgehn als mit andern, also dass Du Dich weder durch Misshandlung erbitterst und niederdrückest, noch durch Vernachlässigung zurücksetzest, noch durch Schmeichelei verderbest.

      4.

      Sorge für die Gesundheit Deines Leibes und Deiner Seele; aber verzärtle beide nicht. Wer auf seinen Körper losstürmt, der verschwendet ein Gut, welches oft allein hinreicht, ihn