Stolz zeigt Jost mir das Rindfleisch, welches hier an prominenter Stelle in der Frischetheke ausliegt.
„Biofleisch von unserer Estancia. Wir verkaufen nicht nur hier, sondern exportieren auch nach Europa – auch nach Deutschland.“
„Aha, ist es einträglich?“
„Man kann in einem Land wie Paraguay gut davon leben. Den Betrieb haben wir vor einigen Jahren von Isabellas Eltern übernommen – wir haben ihn damals als einen der ersten Betriebe in Paraguay auf Bio umgestellt“, erklärt er stolz, „ in Deutschland und Europa ist das jetzt ja der Zukunftsmarkt – ich schätze in zehn bis zwanzig Jahren wird Bio normal sein, aber zurzeit machen wir guten Umsatz mit unserem Konzept, vor allem in Deutschland, Frankreich und den USA. Da sind sie ganz wild nach südamerikanischen Rindern, die ein glückliches, freies Leben mit biologisch angebautem Futter oder auf unbehandeltem Weideland geführt haben. Dabei muss man wissen“, er gluckst etwas, „dass in Paraguay nahezu alle Rinderzüchter und Mäster ihre Tiere auf der Weide halten oder traditionell in großen Gebieten hüten. Wir mussten also nur das Futter und ein paar Kleinigkeiten ändern.“
„Nicht schlecht. Aber das klingt nach viel Arbeit“
„Wir haben zehn Angestellte und trotzdem haben Isabella und ich alle Hände voll zu tun.“
Ich suche mir noch eine paraguayische Limo und Kekse aus, die Jost wie selbstverständlich bezahlt, dann treten wir von dem gut klimatisierten Geschäft wieder in die warme Luft Asuncións.
Als wir weiterfahren, erzählt Jost:
„Asunción ist die älteste Stadt des südlichen Südamerikas. Sie wurde am 15.08.1537 als Festung gegründet.
Sie wird „Madre de Ciudades“ (Mutter der Städte) genannt, da von hier zahlreiche Expeditionen gestartet wurden. Viele Städte wurden von hieraus gegründet, auch Buenos Aires!“
„Wow, das ist wirklich spannend“, meine ich beeindruckt. „Über sowas haben wir im Geschichte-Leistungskurs, natürlich nichts gehört!“
Die Stadt ist sehr grün, was mir gut gefällt.
Wir passieren langsam die Außengrenzen und fahren Richtung Norden.
Dabei unterhalten wir uns angeregt.
Jost erzählt unterhaltsam, wie er im März 1981 in Paraguay ankam- es war damals noch im eisernen Griff von Alfredo Stroessner, der über drei Jahrzehnte lang totalitär regierte.
Die ersten Monate ging es ihm dreckig.
Nur durch die regelmäßigen Zuwendungen seiner Eltern sowie Gelegenheitsjobs wie Schuhputzer, Zeitungsverkäufer und Kellner, war er in der Lage zu überleben und ein heruntergekommenes Zimmer am Stadtrand zu bezahlen. Nebenbei lernte er weiter Spanisch, so dass er bald einigermaßen zurechtkam.
Dann lernte er andere deutsche Auswanderer kennen. Sie vermittelten ihn zu einem paraguayischen Estancia-Besitzer, der einen Nachfolger suchte. Seine neuen Freunde sahen in Jost das Potenzial und brachten ihn mit Juan Ortega Sánchez und seiner Frau Leticia Blanco Pérez in Kontakt.
Juan willigte ein, Jost eine Chance zu geben und ihn auszubilden.
Zunächst lernte er den Beruf des Viehzüchters von der Pike auf und ging bei Juan durch eine harte Schule.
Es gab Momente, in denen er am liebsten aufgegeben und nach Deutschland zurückgekehrt wäre.
Aber da gab es noch die junge Witwe Isabella, die Tochter von Juan und Leticia. Sie hatte ihren Mann vor einem Jahr verloren und war zu ihren Eltern zurückgekehrt.
„Als ich Isabella das erste Mal sah, war ich fasziniert von ihr. Allerdings hielt ich es für keine gute Idee, meine Gefühle sofort offen zu zeigen.
Sie war sehr unnahbar und noch in tiefer Trauer, denn sie war erst ein Jahr Witwe, als ich auf die Estancia kam.“
„Was war mit ihrem Mann? Hatte er einen Unfall oder war er unheilbar krank?“, bin ich neugierig.
„Er wurde vom Stroessner-Regime ermordet, weil er sich zu sehr in der Opposition engagierte.
Leider wurde er erwischt und verhaftet. Zwei Tage nach seiner Verhaftung, fand man ihn und seinen besten Freund, der ebenfalls verhaftet worden war, erschossen in ihrer gemeinsamen Zelle.
Man behauptete, sie hätten sich eine Pistole beschafft und Enrique hätte erst seinen Freund und dann sich selbst erschossen, um nicht in einem Schauprozess hingerichtet zu werden.
Aber alle wussten, dass sie umgebracht wurden. Sie wollten nicht, dass sie zu Helden des Widerstandes stilisiert werden würden. Er war damals erst 24“, erzählt Jost bekümmert.
„Nein wie schrecklich!“
Es wird mir immer rätselhafter, wie mein Vater in so ein gewalttätiges Land einwandern konnte und dort immer noch lebt.
„Ich war auch so zurückhaltend, weil ich nicht wollte, dass Isabellas Vater mich wieder entließ, die Gelegenheit, hier Fuß zu fassen, war zu günstig. Ich hatte damals unheimliches Glück, denn anders wäre ich nicht zu einem so lukrativen, sicheren Einkommen gekommen.
Ich lernte also alles über Rindermastzucht, das Führen einer Estancia und eben alles, was mir Don Juan, Donna Leticia und ihre Mitarbeiter beibringen konnten. Isabella erledigte damals wie heute die Verwaltung und Buchführung, kümmerte sich um die Angestellten.
Es war auch ein Glücksfall, dass ich mich mit Leticia und Juan so gut verstand. Abends durfte ich mit ihnen am Familientisch sitzen und essen, nicht im Angestelltentrakt, wie sonst üblich. Ich hatte sogar ein Zimmer im Haupthaus.
Nach einiger Zeit bemühte ich mich dann immer augenscheinlicher um Isabella.
Ich versuchte, sie während der Mahlzeiten in Gespräche zu verwickeln, machte ihr Komplimente und brachte sie zum Lachen.
Letzteres war sehr schwierig, aber der kleine Ramón war eine große Hilfe.“
„Wer ist Ramón?“, möchte ich wissen.
„Das ist Isabellas Sohn aus erster Ehe. Er war damals vier, als ich zu Juan kam. Als Isa und ich 1983 heirateten, adoptierte ich ihn.“
„Oh cool, noch ein Halbbruder!“, rufe ich begeistert aus.
„Eher ein Stiefbruder, aber ja“, antwortet er lächelnd. „Ich mochte den Kleinen sehr. Für seine vier Jahre war er schon recht aufgeweckt und er schien mich auch zu mögen. Er war ein lebendiger, kleiner Bursche, aber natürlich litt er auch unter dem Verlust seines Vaters.
Er war und ist uns eine Quelle der Freude und des Stolzes, aber leider hat er uns auch immer wieder heftigen Kummer und Sorgen bereitet.“
„Oh, das tut mir leid.“
„Es ist der Verlust seines Vaters; obwohl ich immer versucht habe, ihn zu ersetzen, konnte es mir nicht gelingen. Ich bin so anders, als Enrique es gewesen sein muss.“
„Er war wohl ein richtiger südamerikanischer Revolutionär“, rufe ich begeistert aus.
„Ja, aber ich würde es nicht so positiv und bewundernd ausdrücken, Valeska. Du siehst, wohin es geführt hat.“
„Aber er wollte seinem Land und auch seiner Familie helfen, eine schreckliche Diktatur zu beenden!
Was ist daran falsch?“, beharre ich.
„Ich bewundere deinen jugendlichen Enthusiasmus und deinen Glauben an das Gute“, erwidert er, „aber er hat es mit seinem Leben bezahlt und – seien wir ehrlich – mit dem Sturz der Regierung hätte er es billigend in Kauf genommen, dass Menschen sterben – egal auf welcher Seite.“
Ich schweige und kann Josts Argumentation nur bedingt zustimmen.
„Wie dem auch sei“, fährt er fort. „Ramón war ein entzückender, hochintelligenter Junge, sehr extrovertiert und wie viele begabte Kinder langweilte er sich schnell in der Schule, so dass er Blödsinn