Wieder mußte der Profos grinsen. Hatte ihn der Hasard, dieses Rübenschweinchen, doch glatt einmal gefragt, wieso man diese verdammte Siri-Tong nicht einfach an Land setzen oder in den Harem stecken könne. Da gehörten nach Meinung des kleinen Hasard nun mal alle Frauen hin. Oh, verdammt, das war gar nicht so leicht gewesen, dem Bürschchen klarzumachen, was es mit Frauen wie Siri-Tong für eine Bewandtnis hatte!
Der Profos wurde aus seinen Gedanken gerissen. Vor dem Boot tauchte ein länglicher Schatten auf, der aber immer wieder im Schneegestöber verschwand.
„Boot Steuerbord voraus“, sagte Carberry, als er den Schatten wieder gesehen hatte. „Mehr nach Steuerbord, sonst laufen wir glatt vorbei!“
Siri-Tong drückte die Ruderpinne herum. Ed Carberry hob den Enterhaken. Bei diesem Seegang mußte man schnell sein. Wieder klatschte eine Woge gegen den Bug des Bootes und übersprühte seine Insassen mit einem Schwall eiskalten Wassers.
Aber dann tauchte das Fellboot vor ihnen auf, und Carberry erkannte, daß der Fockgast der „Isabella“ richtig gesehen hatte. Es handelte sich um eins der Boote, die die Eskimos Umiak nannten. Es war gut acht Yards lang, im Vorschiff stand noch der kümmerliche Rest eines Mastes, an dem die Fetzen eines Mattensegels hingen.
Der Profos schlug mit dem Enterhaken zu. Beim erstenmal verfehlte er durch eine hochgehende See das fremde Boot, aber der zweite Versuch gelang.
„Los, Kutscher, Leine, belegen!“ befahl er überflüssigerweise, denn der Kutscher hatte längst geschaltet und war an Bord des Fellbootes gesprungen und hatte dort eine der Bootsleinen um den Maststumpf geschlungen.
Carberry sprang ebenfalls hinüber, während die anderen Männer auf den Duchten blieben und das schwere Boot der „Isabella“ so gut es ging mit den Riemen zu manövrieren versuchten.
Siri-Tong hatte ihren Platz an der Ruderpinne ebenfalls verlassen und balancierte durch die Männer auf den Duchten nach vorn. Dann sprang sie in das Fellboot, wo der Kutscher und Carberry bereits neben einer wie leblos wirkenden Gestalt knieten.
Die Rote Korsarin drängte sich zwischen die Männer. Und dann blickte sie den Kutscher und Carberry verblüfft an.
„Ein Mädchen!“ stieß sie hervor. „Sie lebt, aber sie hat eine tiefe Wunde in der linken Schulter!“
Der Kutscher nickte nur, gleichzeitig wies er auf die Backbordseite des Fellbootes. Siri-Tong folgte seiner Armbewegung mit den Augen. Und da sah sie es. Die Bordwand war eingedrückt und wies Blutspuren auf. Der obere Rand der Bordwand war völlig zerfetzt. Nur dem Umstand, daß das Fellboot sehr leicht war und, wie ein Korken auf den Wogen trieb, war es zuzuschreiben, daß es noch schwamm und nicht allzuviel Wasser übernommen hatte.
„Was mag hier geschehen sein?“ fragte sie den Profos und ihre dunklen Augen versuchten, das Geheimnis zu durchdringen. Das Boot mußte mindestens fünf oder sechs Männer außer dem Eskimomädchen an Bord gehabt haben. Aber von ihnen fehlte jede Spur. Und woher stammte die tiefe Wunde in der Schulter des Mädchens?
Der Kutscher unterbrach ihre Überlegungen.
„Wir müssen sie an Bord nehmen. Hier kann ich die Wunde nicht versorgen. Außerdem übersteht dieses Boot den Sturm wahrscheinlich nicht, der sich anzubahnen scheint.“
Carberry nickte.
„Pack an, Kutscher, wir wollen sie erst mal in unser Boot hieven. He, Ferris, Batuti, langt mal mit zu! Hier ist ein verletztes Eskimomädchen, wir nehmen sie mit zur ‚Isabella‘.“
Ferris Tucker, der hünenhafte, rothaarige Schiffszimmermann der „Isabella“, erhob sich von der Ducht. Batuti, der ebenfalls aufstehen wollte, drückte er wieder auf die Ducht zurück.
„Bleib du an den Riemen, das ist wichtiger. Wenn uns eine See auf diesen Fellhaufen wirft, säuft der ab wie ein Stein. Ich erledige das schon.“
Ferris Tucker packte das Mädchen, das Carberry und der Kutscher ihm zureichten. Mit der Bewußtlosen balancierte er bis zur ersten Ducht. Er schob den Gambia-Neger zur Seite und reichte das Mädchen Big Old Shane an, der es auf die Achterducht bettete.
„Was wird mit dem Boot?“ fragte Ferris Tucker Carberry. „Nehmen wir es in Schlepp, das Ding wäre leicht zu reparieren. Und ich denke, daß so ein Boot für die Eskimos einen ungeheuren Wert darstellt, nicht einmal mit Gold zu bezahlen.“
Carberry sah den Schiffszimmermann überrascht an. Soweit hatte er noch gar nicht gedacht.
„Du hast verdammt recht, Ferris. Wir nehmen es mit. Ich fürchte, dieses Mädchen da hinten hat schon Schwierigkeiten genug. Also wollen wir wenigstens versuchen, das Boot zu retten!“
Ferris Tucker gab die notwendigen Anweisungen, er merkte nicht einmal, daß die Rote Korsarin ihn dabei aus schmalen Augen beobachtete, eine steile Falte über der Nasenwurzel. Es war nicht das erste Mal, daß ihr auffiel, daß auf der „Isabella“ niemand lange fragte, sondern eine als notwendig erkannte Sache durchgeführt wurde.
Die Männer der „Isabella“ waren in allen Dingen sehr selbständig, auch der Seewolf gab nur selten Befehle, jeder wußte grundsätzlich selbst, was er zu tun und zu lassen hatte. Lediglich das Gebrüll Carberrys, mit dem er notwendige Arbeiten oder Manöver gern begleitete, paßte in dieses Schema nicht hinein. Aber das schien nur so, denn Carberry wußte selber nur zu gut, daß er kaum jemals einen Befehl zu geben brauchte, nur konnte er eben nicht anders. Und den Seewölfen hätte auch ganz bestimmt etwas gefehlt, wäre es anders gewesen.
Siri-Tong konnte sich an diese nahezu perfekte Zusammenarbeit der Crew nur schwer gewöhnen. Sie hatte immer noch oft das Gefühl, daß die Männer sie einfach übergingen und sie als Frau hier und da von den Seewölfen nicht für voll genommen wurde. Aber sie hatte lernen müssen, daß auch das wiederum den Tatsachen nicht entsprach. Nur – ganz im Gegensatz zu ihrer Crew auf dem schwarzen Segler, auf dem sie oder der Wikinger oder der Boston-Mann manchmal gehörig dazwischengehen mußten –, hielt man sich an Bord der „Isabella“ nie mit irgendwelchen Überflüssigkeiten auf.
Siri-Tong sagte auch nichts, als Carberry kurzerhand ihren Platz an der Ruderpinne übernahm und sich der Kutscher neben die Verwundete kniete, während Ferris Tucker das Fellboot am Heck ihres Bootes mittels einer langen Leine befestigte.
Das Schneegestöber war dichter geworden, und die See ging hoch. Siri-Tong stand nunmehr im Bug des Bootes. Sie suchte die See nach der „Isabella“ ab, aber die schien verschwunden.
Auch der Seewolf hielt Ausschau nach dem Boot und den Männern und der Roten Korsarin. Längst hatte er Dan O’Flynn, der die schärfsten Augen an Bord der „Isabella“ hatte, als Ausguck in den Großmars geschickt. Zusammen mit Bill und Gary Andrews hielt er ebenfalls Ausschau nach dem Boot. Aber es blieb verschwunden.
Das Wetter verschlechterte sich von Minute zu Minute. Das Heulen des Windes in den Wanten, Pardunen und der übrigen Takelage wurde so stark, daß die Seewölfe sich nur noch brüllend verständigen konnten.
Hasard machte sich schwere Vorwürfe, und Ben Brighton, der neben Pete Ballie am Ruder stand, ging es nicht anders. Aber, zum Teufel, wer kannte sich denn schon in diesen tükkischen Breiten aus? Wer hatte wissen können, daß sich das Wetter innerhalb von weniger als einer halben Stunde so rapide verschlechtern würde?
Gischt sprühte über das Schiff, und immer noch war von ihrem Boot nichts zu sehen. Das Schneegestöber wurde immer dichter und nahm der „Isabella“ die Sicht. Außerdem drehte der Wind. Auch wieder innerhalb von Minuten trieb die „Isabella“ auf die hohen Felsen zu, die sie vor dem Unwetter schon beobachtet hatten.
Hasard enterte aufs Hauptdeck ab. Er mußte handeln, und zwar sofort. Es war das erste Mal, daß er von einem Unwetter derartig überrascht wurde, während sich einige seiner Männer und Siri Tong noch in einem Boot draußen befanden.
Der Seewolf lief zu Al Conroy hinüber, der sich bei seinen Geschützen auf dem Hauptdeck aufhielt und die Brooktaue kontrollierte.
„Rasch,