Die drei Männer enterten zum Hauptdeck ab. Sie sahen, daß der Seewolf auf dem Achterkastell mit Ben Brighton sprach und zur Küste deutete. Sie wußten auch, über was die beiden Männer miteinander sprachen. Es hatte sich mehr als einmal erwiesen, daß es gar nicht so leicht war, einen wirklich sicheren Ankerplatz mit gutem Ankergrund zu finden.
Doch dann geschah etwas, was alle ihre Pläne total über den Haufen warf.
„Wahrschau, Deck!“
Die Stimme Gary Andrews übertönte die Geräusche an Deck der „Isabella VIII..“ Gary Andrews befand sich zu dieser Zeit als Ausguck im Fockmars.
Carberry fuhr herum. Ihm schwante nichts Gutes, denn wem, zum Teufel, konnte man in dieser gottverlassenen Gegend schon begegnen?
Gary Andrews ließ den Profos nicht lange im unklaren.
„Treibendes Boot Backbord voraus. Etwa sieben, acht Yards lang, ich kann nicht erkennen, ob sich jemand an Bord befindet.“
Unwillkürlich warf Carberry einen Blick in die Richtung, und einmal war es ihm, als könne er einen Schatten an Backbord voraus erkennen. In diesem Moment durchschnitt die Stimme des Seewolfs das Stimmengewirr der Männer an Deck.
„An die Brassen, klar zum Manöver! Wir sehen uns mal an, wer dort in der See treibt. Vielleicht können wir irgendeinem armen Teufel aus Seenot helfen!“
Sofort stürzten die Seewölfe an die Brassen. Die Rahen schwangen herum, Pete Ballie, der am Ruder stand, griff kräftig in die Speichen des Rades.
„Los, wollt ihr mitten am Tage einpennen, ihr Bilgenläuse?“ brüllte Ed Carberry, als die Männer nach dem Segelmanöver erwartungsvoll nach Backbord starrten.
„Ein Boot zu Wasser, und, verdammt, beeilt euch, oder ich werde euch mal wieder ein bißchen anlüften. Das habt ihr wohl schon lange nötig. Oder wie, glaubt ihr, sollen wir zu dem treibenden Boot gelangen? Hinschwimmen, wie, was?“
Der Profos hatte die Arme in die Hüften gestemmt und funkelte die Männer an.
Batuti, Stenmark, Luke Morgan und Blacky gingen daran, eins der beiden Boote klarzumachen. Luke Morgan, der Carberry am nächsten stand, warf dem Profos einen schiefen Blick zu.
„Dir könnte jedenfalls ein kalter Hintern auch nicht schaden“, sagte er, „vielleicht würdest du dann langsam wieder normal!“
Carberry war das nicht entgangen. Mit ein paar Schritten war er bei Luke Morgan.
„Sag das noch mal, Luke“, forderte er drohend. „Ich bin heute gerade in der richtigen Stimmung, so einem lausigen Affenarsch wie dir das Fell zu vergerben, ich …“
„Mister Carberry!“ Die sanfte Stimme Siri-Tongs ließ den Profos mitten in der Bewegung erstarren. „Was ist mit euch verdammten Kerlen eigentlich los?“ fragte sie und sah die beiden Kampfhähne aus ihren kohlschwarzen Augen an. „Dreht ihr schon bei so ein bißchen Kälte durch? Es wird noch kälter werden, viel kälter sogar. Dies alles hier ist erst der Anfang. Also an die Arbeit, oder euch alle holt der Teufel, klar?“
Carberry ließ die Fäuste sinken. Luke Morgan kroch in sich zusammen. Es hätte dem hitzköpfigen Engländer überhaupt nichts ausgemacht, sich mit dem riesigen Profos herumzuprügeln – im Gegenteil, vielleicht hätte das die ganze Stimmung an Bord im Nu bereinigt. Aber mit der Roten Korsarin anzubinden, das war schon eine andere Sache. Erstens konnte man sie nicht behandeln wie irgend jemanden aus der Crew, zweitens gab das ganz bestimmt massiven Ärger mit dem Seewolf und drittens wußte sich Siri-Tong auch recht gut selber zu behaupten.
Luke Morgan warf Carberry einen Blick zu. Dann hob er resignierend die Schultern und ging zu den anderen hinüber. Auch Carberry verdrückte sich. Er hatte eine Schwäche für die Rote Korsarin, jedermann an Bord wußte das, auch wenn er niemals die Grenzen überschritt. Aber auch er wollte sich mit der Roten Korsarin nicht anlegen, zumal zu allem Unheil in diesem Moment auch noch die beiden Söhne des Seewolfs an Deck erschienen und natürlich prompt aufs Hauptdeck hinunterstürmten.
Die Rote Korsarin, die das alles sehr rasch begriff, konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Doch dann wandte sie sich den Männern zu, die eben das Boot von der Persenning befreiten.
„Ich übernehme das Ruder“, sagte sie beiläufig. „Such ein paar Männer aus, Profos, die das Boot pullen.“
In diesem Moment, noch ehe Carberry etwas erwidern konnte, meldete sich Gary Andrews erneut aus dem Fockmars.
„Es ist jemand im Boot. Vielleicht ein Toter, er rührt sich nicht mehr. Soweit ich erkennen kann, handelt es sich um eins jener großen Fellboote, die die Eskimos Umiak nennen. Es ist beschädigt, der Mast ist gebrochen, das Segel zerfetzt, es liegt im Vorschiff und bedeckt eine Gestalt, die ebenfalls dort liegt.“
Der Seewolf gab abermals ein paar Kommandos, die „Isabella“ drehte in den Wind, die Rahen wurden vierkant gebraßt. Langsam verlor das Schiff an Fahrt.
Carberry klarierte die Talje an der Großrah, und inzwischen langten auch Ferris Tucker und Big Old Shane mit zu. Der alte O’Flynn humpelte heran, so rasch das mit seinem Holzbein ging. Düster starrte er auf die See hinaus.
„Ein Toter“, murmelte er, „das bringt Unglück, das ist der Vorbote herannahenden Unheils“, fügte er noch hinzu, wich aber geschickt zurück, als Carberry ihm einen finsteren Blick zuwarf.
Ferris Tucker grinste, ihm war das alles nicht entgangen.
„Los, hol den Kutscher, Donegal“, sagte er. „Wahrscheinlich werden wir ihn brauchen. Und beeil dich!“
Der alte O’Flynn stieß eine Verwünschung aus, aber dann humpelte er davon.
Das Boot wurde in Rekordzeit zu Wasser gefiert. Ferris Tucker, Ed Carberry, Luke Morgan, Big Old Shane und Batuti, der riesige Gambia-Neger, sprangen hinein. Ihnen folgte die Rote Korsarin und als letzter noch der Kutscher, der zusammen mit dem Profos Posten im Bug des Bootes bezog.
Das Boot legte ab. Ein Schneeschauer fegte über die See und eiskalter Gischt übersprühte die beiden Männer im Bug. Carberry quittierte das mit einem Fluch.
Batuti, Big Old Shane, Luke Morgan und Ferris Tucker pullten aus Leibeskräften. Die See ging hoch, ein eiskalter Wind, immer wieder vermischt mit dichten Schneeschauern, fegte über das Wasser.
Carberry dachte in diesem Moment wehmütig an die Sonne und die Wärme der Karibik. Obwohl er die See vor sich keinen Moment aus den Augen ließ, gaukelte ihm seine Phantasie Trugbilder von blauem Himmel, tiefblauer See und heller Sonne vor. Gewaltsam mußte er diese Phantasien abschütteln.
Aber Tatsache blieb, daß der eisenharte Profos der „Isabella“ dieses ewige graue Einerlei, den ewigen Schnee, die Kälte und Nässe, die immer weiter ins Schiff kroch und einen selbst im Schlaf noch verfolgte, haßte. Er hätte das nie zugegeben, aber er haßte sie. Und Carberry dachte mit Grauen daran, was ihnen bevorstand, wenn sie noch weiter nach Norden segelten.
Schnee, Eis, erbarmungslose Kälte, gegen die keine Kleidung schützte. Der einzige Ort, an dem man sich allenfalls aufwärmen konnte, war die Kombüse des Kutschers, und der sah, das absolut nicht gern, wenn man ihm dort auf die Nerven ging, zumal er schon zeitweise Sir John, den Papagei, und auch Arwenack, dem Schimpansen, Asyl vor der grimmigen Kälte gewährte, denn die Seewölfe wollten vermeiden, daß die beiden Maskottchen der Crew jämmerlich zugrunde gingen.
Außerdem hatte er so manchesmal die beiden Rangen des Seewolfs zu Gast – und die waren schlimmer, als Sir John und Arwenack zusammen. Denn so schnell, wie die beiden dem Kutscher irgend etwas klauten, Kandis oder ein Stück Fleisch oder Schiffszwieback, so schnell konnte er seine Augen gar nicht überall haben.
Bei dem Gedanken grinste der Profos plötzlich wieder. Sie waren schon eine ganz verdammte Bande, diese beiden Rübenschweine des Seewolfs! Aber helle waren die Kerlchen, so helle, daß sogar Siri-Tong, die sich viel um die beiden kümmerte, oft ihre liebe Not mit ihnen hatte und ihnen hin und