“Es könnte ein ernstes Sicherheitsproblem mit deinem AKIS sein.”
“Das ist mir inzwischen auch klar, Tylo.”
*
Später war ich in meiner Wohnung. Ich ließ mir das Fernsehprogramm ins Bewusstsein projizieren. Einen Bildschirm brauche ich nicht.
Ich musste mich etwas ablenken.
Fernsehen ist Müll, sagt man. Aber das sagt man schon, seit es erfunden wurde.
Eine Sendung, die ich gerne verfolgte war die HÖR MAL WER DA SPRICHT SHOW.
In dieser Sendung wurden ungeborene Embryos interviewt.
Gehirnströme in Sprache zu übersetzen war schon lange möglich. Offenbar war die Kenntnis einer Sprache keineswegs eine Voraussetzung zur Kommunikationsfähigkeit, wie man lange geglaubt hatte. Gedanken ließen sich direkt in sprachliche Äußerungen übersetzen.
Zuerst profitieren sprachunfähige Behinderte davon.
Aber die Technik hatte sich verbessert.
In der Show führte Moderator Mike Muney Gespräche mit Embryos.
Seit die Show lief hatten inzwischen nahezu alle Bundesstaaten ihre Gesetzgebung im Hinblick auf Abtreibungen verschärft, weil sich die öffentliche Meinung dazu dramatisch verändert hatte. Muneys Sendung hatte dazu wohl maßgeblich beigetragen.
An diesem Abend hatte Mike Muney etwas besonderes für die Zuschauer seiner Show.
Er ging einen Schritt weiter.
Diesmal war es kein Embryo, den er interviewte und der in mehr oder minder kurzen Statements Auskunft darüber gab, wie wohl er sich fühlte und dass es ihn erschreckte, wenn seine Mutter einen Wecker an ihren Bauch hielt.
Diesmal interviewte Mike Muney ein anderes Wesen.
Ein Schwein, eine Woche vor der geplanten Schlachtung. Das Schwein war im übrigen noch einiges eloquenter als die meisten Embryos.
Ich weiß nicht, warum ich diese Show so mag.
Vielleicht deswegen, weil es da letztlich um Fragen geht, die auch mich betreffen.
Was ist ein Mensch?
Was ist eine Person?
Wen darf man töten?
Wen darf man abschalten?
Wem steht ein Recht auf Leben zu?
Zumindest bin ich froh, dass für mich als Androide die Frage, ob ich Vegetarier sein sollte, nicht relevant ist.
Und ja, ich bemühe mich darum, mich nur mit klimaneutral erzeugtem, fair gehandelten Strom aufzuladen.
Ich sehe meine Zimmerpflanzen an.
Ein paar habe ich.
Und ich pflege sie auch.
Ich frage mich, wann Mike Muney das erste Interview mit einer Pflanze führen wird und ob es Salat gefällt, dass er gegessen wird.
*
Am nächsten Morgen fuhren Tylo und ich zu Rezzolottis Penthouse in der Elizabeth Street. Zurzeit wohnte dort Evita Jackson 7788654 , die junge Frau, die sich während des Attentats neben Jack Rezzolotti auf dem Beifahrersitz befunden hatte.
Eine Androidin.
Die Kollegen der City Police hatten sie unmittelbar nach den Geschehnissen auf der Brooklyn Bridge vernommen und hatten ihren Speicher ausgelesen. Was den Tathergang anging, war sie eine der wichtigsten Zeugen für uns.
Möglicherweise konnte sie uns allerdings auch noch mehr über Rezzolottis persönliches Umfeld verraten.
Wir parkten den Sportwagen, den uns die Fahrbereitschaft des Field Office zur Verfügung stellte, in einer Nebenstraße und gingen die letzten fünfhundert Meter zu Fuß.
321 Elizabeth Street war ein zehnstöckiges Gebäude. In den unteren beiden Etagen fanden sich Geschäfte und Restaurants. Der Rest war mit Wohnungen der Luxusklasse belegt, deren Quadratmeterzahl den New Yorker Durchschnitt um mindestens das Doppelte übertraf. Die Sicherheitsvorkehrungen waren streng. Überall gab es Kameras. Eine Mannschaft aus gut bewaffneten Security Guards in schwarzen Uniformen bewachte das Haus.
Jack Rezzolotti schien bei der Auswahl seiner Residenz viel Wert auf Sicherheit gelegt zu haben.
Dafür gab es gute Gründe.
Wir fuhren mit dem Lift hinauf zum Penthouse.
Wenig später standen wir vor der Wohnungstür. Ich klingelte.
"Wer ist da?", meldete sich eine weibliche Stimme.
"Miss Evita Jackson?", fragte ich. "Hier spricht Special Agent Jesse Ambalik vom FBI. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen."
"Was für Fragen?" Evita Jacksons Stimme wirkte verschlafen. Das war natürlich nur Show. In Wahrheit brauchte sie keinen Schlaf. Nur Strom. "Ich habe doch schon alles Ihren Kollegen gesagt..."
"Sie möchten doch sicher auch, dass die Mörder von Mister Jack Rezzolotti gefasst werden, also helfen Sie uns bitte!"
Etwas knackte in der Leitung.
"Warten Sie einen Augenblick", säuselte Evita.
Wenig später öffnete sich die Tür einen Spaltbreit. Noch war sie durch eine Kette gesichert. "Geben Sie Ihren Dienstausweis herein!", forderte die junge Frau.
Ich reichte ihr meine ID-Card herein.
Einen Augenblick später erhielt ich sie zurück. Evita Jackson öffnete uns. Sie trug nichts weiter als einen Seidenkimono. Ihre wohlgerundeten Brüste zeichneten sich deutlich durch den fließenden Stoff ab. Das Haar war feucht. Offenbar hatte sie gerade geduscht.
Hygiene ist bei professionellen Sex-Androiden wichtig.
Auch als Prävention gegen Ansteckungen aller Art.
Wir traten ein.
Sie führte uns in das Wohnzimmer, das allein doppelt so groß wie eine durchschnittliche New Yorker Wohnung war. "Ich weiß nicht, was das ganze soll", meinte sie. "Ich habe Ihren Kollegen von der City Police ausführlich Rede und Antwort gestanden..."
"Die entsprechenden Protokolle haben wir gelesen", unterbrach ich sie.
"Ich fürchte, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann als dort drinsteht!" Sie atmete tief durch. Natürlich brauchte sie nicht zu atmen. Sie tat es aber trotzdem. Weil es gut aussah, wenn ihre Brüste sich dabei hoben und senkten. Sie verschränkte die Arme unter den Brüsten. "Ihre Leute haben hier alles auf den Kopf gestellt. Was glauben Sie, was ich für eine Arbeit hatte, hier wieder halbwegs Ordnung zu schaffen!", beschwerte sie sich.
"Eine Durchsuchung der Wohnung ist bei einem Mordopfer Routine", erklärte ich ihr.
Sie verzog das Gesicht, machte einen Schmollmund.
"Ich hoffe, es war der Mühe Wert und Sie haben auch etwas gefunden!", sagte sie mit einem bissigen Unterton. "Egal ob FBI oder NYPD - die Justiz hat immer nur versucht, Jack etwas am Zeug zu flicken. Und jetzt, da er tot ist..."
"...geben wir uns alle Mühe, seine Mörder dingfest zu machen", unterbrach ich sie ein zweites Mal.
Sie lachte bitter auf. "Und das soll ich Ihnen glauben?"
"Ein Mord ist ein Mord - selbst dann, wenn das Opfer vielleicht selbst ein Verbrecher gewesen ist!"
"Es gab kein einziges rechtskräftiges Urteil gegen Jack!", fuhr die Androidin mich an, und ich bereute meine