Aber eigentlich war klar, dass sie im Grunde kurz vor dem Scheitern standen.
“Ich hätte gerne noch ein paar Kekse”, sagt der Bundeskanzler.
“Sehr gerne”, sage ich. Die Informationen darüber, wo ich die Kekse her bekommen sind in den Subroutinen der Hardware zu finden, also in diesem Fall in den Datenträgern, des Butler-Androiden. Und da mein Autonomes KI-System diesen Butler im Moment beseelt (ja, das ist inzwischen wirklich der in der Informatik gebräuchliche Fachterminus dafür), habe ich Zugriff auf diese Informationen.
Ich bringe dem Kanzler seine Kekse.
Aber spätestens jetzt ist mir klar, dass hier etwas ganz entschiedenen nicht in Ordnung ist.
Der Butler eines Bundeskanzlers hat die höchste Sicherheitsstufe.
Er könnte jederzeit die laufenden Verhandlungen aufzeichnen und die Daten an jeden schicken, der an solchen Informationen Interesse hat und einen Vorteil daraus ziehen könnte, frühzeitig informiert zu sein. Er könnte das, wenn man keine Vorkehrungen trifft, um das zu verhindern.
Das AKIS eines FBI-Androiden aus New York hat im Datenspeicher dieses Butlers ebensowenig zu suchen wie das AKIS eines Asteroidentreibers oder eines eines Diamantenfängers auf Neptun.
Irgendetwas läuft hier schief, weiß ich jetzt.
Aber der Gedanke verschwimmt schon.
Ich frage mich plötzlich, ob ich jemals etwas anderes gewesen bin, als der Butler-Androide des Bundeskanzlers. Bin ich vielleicht ein Butler-Androide, der ab und zu träumt, ein Ermittler in New York oder ein Diamantenfänger auf Neptun oder ein Asteriodentreiber im Kuiper-Gürtel zu sein?
Irgendwann wusste ich mal, wer ich bin.
Aber die Sache ist anscheinend kompliziert geworden.
10
Kid Dalbán ließ mit einem gekonnten Stoß die Billard-Kugeln über den grünen Filz schießen.
Seine grünlich schimmernde Oger-Haut spiegelte etwas.
Seine Eltern hatten die teure Gen-Therapie für ihn bezahlt inklusive genetisch basiertem Wissenstransfer. Guter Job garantiert, so hatte es damals geheißen. Er war zum Oger herangewachsen. Ein Oger oder ein Zwerg zu werden war bei weitem nicht so teuer wie die gentechnische Verwandlung in einen Elf.
Aber gerade noch erschwinglich für diejenigen, die aufsteigen wollten.
Und für eine Weile war die Verwandlung in einen Oger die Möglichkeit zum sicheren Aufstieg zu sein.
Bildung inklusive.
Man sparte einen College-Abschluss oder eine Berufsausbildung, weil das technische Wissen bei der Behandlung mit transferiert wurde, dass für den Betrieb und Aufbau von Anlagen wie auf Triton nötig war.
Ein paar gut bezahlte Jahre auf Triton, so hatte man ihm gesagt, und dann war er fein raus.
Aber dann hatte man die Oger nicht mehr gebraucht. Die Anlagen auf Triton liefen weitgehend autonom und robotisch. Oger wurden kaum noch gebraucht. Jedenfalls nicht in so großer Zahl wie in den Anfangsjahren.
Dalbán hatte Pech gehabt.
Man hatte Typen wie ihn einfach nicht mehr gebraucht.
Fähigkeiten wie einen Monat lang ohne Sauerstoff auszukommen, Temperaturen von unter Minus 270 Grad Celsius aushalten und sich von Trockeneis (gefrorenem Kohlendioxid) ernähren zu können, nützten einem auf der Erde wenig.
Und sich mit einem Schiff der Ktoor oder der Nugrou zu irgendeiner extrasolaren Kolonie bringen zu lassen, war auch ein riskantes Spiel mit vielen Unbekannten.
Dalbán war einen anderen Weg gegangen.
Und er hatte auf seine Weise auch Erfolg gehabt - auch wenn es vielleicht ganz der Erfolg war, den seine Eltern sich einst erhofft hatten.
Dalbán lachte heiser. "Ich glaube, ihr könnt mir schon jetzt eure Brieftaschen geben, Jungs! Ich ziehe euch heute aus!" Er richtete sich auf. Der Anführer der "Santos" war fast zwei Meter groß und hatte blauschwarzes, nach hinten gekämmtes Haar.
"Ich verstehe nicht, wie du so ruhig bleiben kannst!", meinte einer der Männer. Er war breitschultrig und mehr als einen Kopf kleiner als der Ganganführer.
Auch ein Oger.
Dalbán musterte ihn.
"Wesley, warum so ängstlich? Du vergisst, wo wir uns hier befinden!"
Dalbáns Hauptquartier lag in einem atomsicheren Bunker, mehrere Stockwerke unter der Erdoberfläche. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts waren derartige Anlagen von der US-Regierung stark subventioniert worden.
Dalbán tätschelte gönnerhaft Wesleys Schulter.
"Wir könnten hier notfalls wochenlang überleben, selbst wenn man uns einkesseln und belagern würde!"
"Ich glaube, du hast keine Ahnung, was uns bevorsteht, Kid!", knurrte Wesley düster.
"Du unterschätzt mich, Wes! Und das nicht nur beim Billard!" Kid Dalbán reichte Wesley den Queue. "Hier, probier dein Glück! Vielleicht macht dich das etwas relaxter, Amigo!"
"Caramba, die Lage gerät außer Kontrolle! Du musst etwas unternehmen, Kid!"
Kid Dalbáns Zeigefinger fuhr hoch wie eine Messerklinge. Sein Gesicht verfärbte sich dunkelrot. "Sag mir nie wieder, was ich zu tun habe, hörst du?"
Wesley schluckte.
Kid Dalbán war für sein übles Temperament berüchtigt.
Er neigte zu plötzlichen Ausbrüchen von ungehemmter Aggression. In solchen Augenblicken war er selbst für seine Freunde außerordentlich gefährlich.
"Kid, ich..."
Wesleys Stimme klang kraftlos.
Kid Dalbán unterbrach ihn. "In dieser Scheiß-Situation sind wir doch nur, weil du diese Irren unbedingt in der Gang haben wolltest!" Dalbán machte eine wegwerfende Handbewegung. "Wer ist auch so bescheuert und versucht einem Rezzolotti die Brieftasche wegzunehmen!"
"Ich fand's cool, Kid!", meldete sich einer der anderen Anwesenden zu Wort. Der Oger trug eine Baseball-Cap mit der Aufschrift. "The One And Only". Er grinste breit. "Du musst zugeben, dass noch keiner von uns eine so coole Aktion hingelegt hat. Die Nachrichten waren voll davon. Auf Roller-Skates die Autofahrer auf der Brooklyn Bridge ausnehmen - dass muss denen erst einmal einer nachmachen!"
"The One And Only" lachte heiser. Schließlich fuhr er fort: "Ich meine, sie haben ein paar Jungs dabei verloren, aber das war ja nicht so geplant. Gib's zu, Kid, du bist nur neidisch darauf, dass selbst du da nicht mithalten kannst."
Kid Dalbán ließ seine Faust vorschnellen.
Sie fuhr "The One And Only" direkt ins Gesicht.
Der Getroffene taumelte zurück, ging ächzend zu Boden. Er starrte Dalbán fassungslos an. Das Blut schoss dem Geschlagenen aus der Nase. Seine Augen blitzten wütend. Aber er sagte nichts. Kein Wort. Was ihm auf der Zunge lag, schluckte er hinunter.
Er kannte Kid Dalbán gut genug,