Elia war nach der Drohung Isebels, ihn umzubringen, in die Wüste geflohen, wollte nicht mehr leben, konnte nicht mehr weiter und fiel in eine handfeste Depression. Aber dann brachten ihm Engel Brot und Wasser – und in der Kraft dieser Speise vom Himmel ging er 40 Tage lang durch die Wüste bis zum Berg Gottes, dem Horeb. Dort befreite Gott ihn von dem Karmel-Erlebnis, denn Elia definierte sich und sein Leben bereits über diese Episode (1 Kön 19,10). Eine wichtige Berglektion!
Worüber wir uns definieren, das beherrscht unser Leben –das bestimmt uns. Gott löst uns auf seinem Berg von falschen Identifikationen und Identitäten. Er hilft uns loszulassen, bis wir wieder wir selber sind und er uns zeigen kann, was wirklich Sache ist. Dabei geht es nicht nur darum, Schlechtes und Traumatisches loszuwerden, sondern alles – auch das Gute.
Ich las einmal den Spruch: „Mancher will dafür, dass er einen Tag lang gut gewesen ist, sein ganzes Leben hindurch belobigt werden.“ Man kann an etwas Gutes ebenso gebunden sein wie an etwas Negatives. Jesu will aber, dass wir an IHN gebunden sind und nicht bei irgendetwas stehen bleiben und uns daran verlieren.
Die Versuchung, bei etwas Gutem und Großem, bei Erfolgen und Segnungen hängenzubleiben und uns damit zu identifizieren, kann ungleich größer sein als die Versuchung, an negativen Erfahrungen zu kleben, als wären sie unser Leben. Elia musste beides ablegen: sowohl den Sieg als auch die Niederlage.
Damit wir aus der Illusion in die Wirklichkeit gelangen, zieht Gott auch uns Christen heute, genau wie Elia damals, ab und zu aus dem Verkehr und lässt uns erkennen, wie depressiv und müde wir eigentlich geworden sind, wie fremdbestimmt und verloren an allerlei anderes als an Jesus. Und er gewährt uns eine Handvoll Manna und einen Schluck heiliges Wasser vom Himmel, damit wir den Weg durch die Wüste bis zu seinem heiligen Berg gehen können, wo er uns wieder zu uns selbst bringt – und zu sich selbst. Wo er uns abnehmen kann, was wir uns aufgeladen haben und was gar nicht unsere Aufgabe ist, es zu tragen. Wo er uns im Gegenzug wieder daran erinnern kann, was die eigentliche „Last“ ist, die uns mit uns selbst und unserer Bestimmung gegeben ist. Er wird uns zurück in die Wirklichkeit holen, zurück in die Wahrheit, zurück ins Leben. Er wird uns erneuern und daran erinnern, wozu er uns berufen hat, und dann den Weg wieder hinunter ins Tal zurück in die Welt schicken.
Meine Überzeugung ist: Wir brauchen heute wie damals dieses ganze Programm. Immer wieder. Dafür sind uns Geschichten wie die von Elia und Mose überliefert. Sonst verbeißen und verkämpfen wir uns an einer Stelle und bleiben beherrscht von einer einzelnen Situation – ob gut oder ob schlecht –, die uns nicht loslässt und anfängt zu bestimmen, wie wir denken und fühlen und wer wir meinen, dass wir sind. Schließlich bleiben wir erschöpft liegen und kommen aus der Wiederholungsschleife des Traumas nicht wieder heraus.
Der Berg Gottes hat therapeutische Dimensionen.
Auch von Jesus heißt es, dass er sich in die Berge und an einsame Orte zurückzog:
Da nun Jesus erkannte, dass sie kommen und ihn ergreifen wollten, um ihn zum König zu machen, zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein (Joh 6,15).
Jesus wartete nicht, bis der Dienst ihn mürbe machte und aufrieb, so wie Elia. Er ließ sich nicht von den Nöten nötigen oder den Umständen drängen, auch nicht von seinen Freunden oder Feinden lenken. Er ging von vornherein auf den Berg, wo er jenseits der Ansprüche des Dienstes und der Menschen an ihn mit Gott allein sein konnte.
Wenn wir nicht auch solche Rückzugsorte zum Gebet finden und freiwillig in die Einsamkeit gehen, werden wir meiner Meinung nach kein nachhaltiges geistliches Leben führen und keinen effektiven geistlichen Dienst tun können.
Bergpredigt und Verklärung
Eine berühmte Predigt von Jesus nennen wir die Bergpredigt (Mt 5–7), die wohl zu den fundamentalsten und bekanntesten Texten der Weltliteratur zählt. Sie beginnt mit den Seligpreisungen, setzt mit einer revolutionär anderen Deutung der zehn Gebote fort, als die Tradition der Juden sie predigte bzw. auslegte (und die meisten Christen es heute immer noch tun), und endet mit dem berühmten Gleichnis vom Haus, das auf Felsen oder Sand gebaut ist. Am Ende der Bergpredigt heißt es:
Und es geschah, als Jesus seine Worte vollendet hatte, da erstaunten die Volksmengen über seine Lehre, denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten (Mt 7,23).
Der Anfang der Bergpredigt offenbarte den erstaunten Hörern, dass es nicht um Sünden und Beugung unter Gebote geht, sondern um Seligkeit. Dann stellt Jesus das Gesetz in einen Zusammenhang mit dem Herzen, denn es geht nicht um das korrekte, äußerliche Befolgen von Regeln um der Regel willen, sondern um unser Inneres, unser Sein. Sind wir richtig, dann handeln wir auch richtig. Sind wir nicht richtig, dann ist selbst das richtige Handeln verkehrt, nämlich heuchlerisch. Und richtig können wir nur sein, wenn wir mit dem Richtigen verbunden sind. Aus der Verbundenheit mit Gott heraus ist die Richtigkeit eine lebendige und keine gesetzliche Richtigkeit, die in Rechthaberei und Dogmatismus endet. Die Richtigkeit, die durchs Herz geht, beginnt nicht beim anderen, sondern bei einem selbst und will dem anderen so weit entgegenkommen, wie man wünschen würde, dass einem selbst auch entgegengekommen wird. Gott IST barmherzig. So ist es denn auch sein Gericht.
Die Volksmengen waren über diese „Herzens-Predigt“ überrascht. Auf einmal ging es nicht um „Richtig und Falsch“, sondern um ein Leben in Wahrheit und Freiheit. Die alte Botschaft der Gebote kam in einem völlig neuen Gewand daher und erschien darin so ganz anders, als sie es je gehört und verstanden hatten. Für die Pharisäer, die in ihrer Gesetzlichkeit eher Gefängniswärtern glichen als Wegweisern zur Freiheit, war das ganz unerhört.
Für jeden von uns muss der gesetzliche und gefängnisartige Rahmen, den die Religiosität gerne und schnell annimmt, von Zeit zu Zeit aufbrechen, denn das Reich Gottes ist lebendig und der Geist beweglich. Einseitige Auslegungen sind dafür untauglich und wir sind mit göttlichen Worten und deren Interpretation niemals fertig.
Der Geist wendet die Gebote sehr persönlich auf uns an und offenbart uns ihre eigentliche Absicht und Kraft. Tatsächlich halten nicht wir sie, sondern sie uns. In Wahrheit sind wir nicht dadurch gute Christen, dass wir die Gebote halten, sondern dadurch, dass die Worte Gottes uns verwandeln in sein Bild – in der Kraft des Heiligen Geistes.
Die Volksmengen wunderten sich über die Kraft des Heiligen Geistes (die Salbung) auf Jesu andersartiger Predigt bzw. seine Vollmacht. Seine Worte brachten die Kraft, sich auf sie einzulassen und von ihnen in richtige, Gott wohlgefällige Menschen verwandelt zu werden, gleich mit!
Eine höchst beeindruckende Erfahrung mit dem Berg Gottes machten drei seiner Jünger auf dem sogenannten Berg der Verklärung (Mt 17), dem „Tabor“. Eine sagenhafte Geschichte, in der unglaublich viele geistliche Prinzipien stecken.
Auf dem Berg offenbarte sich Jesus den drei Jüngern, die er beiseite genommen und mit denen er aufgestiegen war auf den Gipfel. Das Gesicht Jesu wurde dort oben leuchtend wie die Sonne und seine Kleidung durchscheinend, so hell war das Licht. Für die Jünger war es wahrhaftig ein dramatisches Erleuchtungserlebnis: Erst wurden sie sprachlos, dann ohnmächtig und schließlich „erwachten sie völlig“ und „sahen seine Herrlichkeit“ (Lk 9,32).
Damit nicht genug: Jesus erschienen „in der Herrlichkeit“ (hier wurden die natürlichen Gesetze aufgehoben, Raum und Zeit übersprungen bzw. beweglich) Mose und Elia, die mit ihm „seinen Ausgang, den er in Jerusalem nehmen sollte“, besprachen (Lk 9,31). Dadurch wurde den Jüngern gezeigt, dass Jesus Teil der Heiligen Geschichte war.
Schlussendlich überschattete auch noch die lichte Wolke Gottes, die Schechina1, die Israel durch das Meer und die Wüste begleitet hatte und aus der heraus Gott mit Mose von Angesicht zu Angesicht wie mit einem Freund gesprochen hatte (vgl. 2 Mose 33,9-11), den Bergesgipfel, und eine