Pongo starrte den Fremden an. Der Schwarze war nicht mehr der jüngste, aber seinem riesigen Körper schienen die Jahre nichts ausgemacht zu haben. Die Haut war straff, sein krauses Haar noch dunkel, die Augen noch scharf.
Er trat noch dichter an den Fremden heran. Lange musterte er ihn. Dann wandte er sich zu seinen Männern um, suchend glitten seine Blikke durch das Gewölbe.
„Tonga – her mit dir!“ forderte er einen Kreolen auf, der fast so groß und so stark war wie er selber. „Du hast Caligu gekannt. Du bist mit Caligu gesegelt. Ich weiß, daß Caligu jenen El Diablo gekannt hat. Hast du jenen El Diablo und sein schwarzes Schiff nicht auch gesehen?“
Tonga erhob sich. Langsam ging er zu Pongo und dem Fremden hinüber. Dann starrte auch er den Fremden an.
„Ja, ich habe El Diablo noch gekannt, Pongo, auch sein Schiff, von dem behauptet wird, jener Nordmann, den sie hier den Wikinger nennen und der bei der Schlacht in der Windward Passage ums Leben gekommen sein soll, habe es mit Hilfe des Teufels aus der Todesbucht von Little Kaiman geholt und sei mit ihm in ein fernes Land gesegelt. Zusammen mit diesem dreimal verfluchten Seewolf. Laß sehen, Fremder, ob du mit El Diablo Ähnlichkeit hast.“
Er trat auf dem Fremden zu, der immer noch hochaufgerichtet vor Pongo stand. Eine ganze Weile starrte er den Fremden an. Dann nickte er.
„Ja, es könnte stimmen, Pongo. Er gleicht El Diablo sehr. Ich weiß, daß El Diablo viele Frauen hatte.“ Ein Grinsen huschte über sein verwüstetes Gesicht. „Und bestimmt auch viele Söhne, vielleicht auch viele Töchter. El Diablo hat sich in der gesamten Karibik herumgetrieben, aber niemand weiß, woher er kam. Er war ein finsterer, schweigsamer Mann. So, wie er lebte, soll er auch gestorben sein. Noch lange nach seinem Tod lag jenes schwarze Schiff in der Todesbucht von Little Kaiman, ich habe es dort selber gesehen. Auch die Skelette, die Jahr um Jahr an Bord des schwarzen Schiffes in der Sonne bleichten. Aber weder Sonne, Regen noch Sturm vermochten dem Schiff etwas anzuhaben, sein Holz war wie Eisen. Es wurde immer härter, mit jedem Jahr, das verging.“
Der Fremde trat auf Tonga, den Kreolen, zu.
„Und warum hat sich niemand diesen Segler geholt, wenn er dort lag?“ fragte er.
Tonga bedachte ihn mit einem Blick, der sogar Pongo, der die beiden nicht aus den Augen ließ, einen eisigen Schauer über den Rücken jagte.
„Du bist noch jung, El Diablo, du wirst noch vieles lernen müssen“, sagte er langsam. „Damals, als jener Segler noch dort lag, und das ist noch nicht einmal ein Jahrzehnt her, wenn ich mich richtig erinnere, wußte jeder, daß dieses Schiff verflucht war, verflucht von allen Göttern und allen Teufeln. Niemand hätte je gewagt, es sich zu holen. Du weißt auch nichts vom Auge der Götter, hoch über jener Bucht, nichts von den heiligen Wächtern, die El Diablo beraubt und dabei einige getötet haben soll, so daß sie ihn verfluchten. Und du weißt nichts von diesem schrecklichen Nordmann, der auch eine ganze Weile in jener Bucht gelebt und das Auge der Götter beschützt haben soll. Vielleicht ist er deshalb damals nach der Schlacht in der Windward Passage aus dem Reich der Toten zurückgekehrt und hat sich den schwarzen Segler geholt …“
El Diablo starrte den Kreolen an. Wie fast alle Piraten der Karibik war er sehr abergläubisch, und die Erzählung des Kreolen hatte ihn tief beeindruckt. Er konnte die richtigen Zusammenhänge zwischen dem schwarzen Segler, dem Wikinger, Siri-Tong und dem Seewolf gar nicht kennen, denn längst hatten sich um diese tollkühnen Korsaren die wüstesten Legenden gerankt. Aber es kam noch wilder, denn der Kreole senkte seine Stimme zu einem kaum wahrnehmbaren Flüstern.
„Hast du denn nie davon gehört, daß der Wikinger damals bei der Schlacht in der Windward Passage mit seinem Schiff, das Blitze schleuderte und das nach einem fremden Gott benannt war, der weit im Norden dieser Welt lebt, plötzlich gerade zu dem Zeitpunkt aus der See aufgetaucht ist, als der Seewolf und seine Männer bereits verloren und dem Tode und ihrer Vernichtung nahe waren? Er hat sie gerettet, und anschließend verschwand er mit seinem Schiff wieder unter Donner und Blitz und unter vollen Segeln in der See! So war das, Maria-Juanita, die meine Geliebte war nach Caligus Tod, hat es bezeugt, und andere haben es auch gesehen, noch während sie flohen!“
Um die drei Männer hatte sich längst ein Ring von Neugierigen gebildet. Alle hatten atemlos vor Spannung dem Kreolen zugehört. Oft war in dieser Felsengrotte von Caligu und jener erbarmungslosen Schlacht in der Windward Passage gesprochen worden, es gab auch noch immer Männer, die an dieser Schlacht teilgenommen hatten. Nur befanden sich die meisten zur Zeit auf See, um das spanische Geleit zu überfallen.
Daß Pongo sich auf Tortuga aufhielt, hatte einen besonderen Grund. Er war mit seinem Schiff zu spät zurückgekehrt, um seiner eigenen Flotte noch nachsegeln zu können, nachdem sie von einem ihrer Spione die Nachricht über jenes Geleit und seine wertvolle Beute erhalten hatten.
Besonders die Frauen, die sich an Bord der Schiffe befinden sollten, hatten es den Piraten angetan. Denn Frauen waren auf Tortuga immer noch – genau wie zu Caligus Zeiten – rar. Aber wie dem auch war, wenn über jene Zeiten geredet wurde, dann lauschte jeder Mann voller Spannung. Und jetzt war sogar ein leibhaftiger Sohn jenes El Diablo nach Tortuga gesegelt, um mit Pongo zu kämpfen!
Die Männer drängten sich noch dichter zusammen, um sich ja nichts von dem, was sich nun unweigerlich ereignen mußte, entgehen zu lassen.
Aber sie erlebten eine riesige Enttäuschung.
Auch Pongo war zutiefst beeindruckt von dem, was sein Unterführer Tonga berichtet hatte. Gleichzeitig witterte er jedoch eine Chance, diesem bevorstehenden mörderischen Kampf zu entgehen. Denn der Ausgang war dieses Mal keineswegs sicher, das hatte Pongo ganz klar erkannt. Dieser Sohn des El Diablo – gleich ob das nun stimmte oder nicht – würde ein Gegner sein, vor dem er sich höllisch in acht nehmen mußte. Denn erstens war El Diablo wesentlich jünger als er, zweitens verstand er sich bestimmt darauf, zu kämpfen, drittens aber irritierten Pongo die Augen dieses Kerls, denen nichts, aber auch gar nichts, zu entgehen schien, die immer voller Wachsamkeit die Umgebung im Blick behielten.
Und Pongo hatte nicht die geringste Absicht, seine Herrschaft über die Schildkröteninsel an diesen El Diablo zu verlieren. Was der an Jugend und vielleicht sogar an Kraft mehr hatte, das mußten seine Gerissenheit und seine Erfahrung ausgleichen. Außerdem konnte ihm dieser El Diablo noch sehr nützlich sein, denn in Pongo reifte in diesen wenigen Sekunden, die ihm zum Überlegen blieben, ein Plan heran, ein Plan, den er allein nie gefaßt haben würde.
Aus halb geschlossenen Augen beobachtete er El Diablo. Doch, der würde den Köder annehmen und nach dem Brocken schnappen, den er ihm jetzt vorwerfen würde.
Entschlossen trat er auf El Diablo zu.
„Du willst mit mir um Tortuga kämpfen? Was hättest du von dieser Insel, wenn du der Herr über die Caicos-Inseln bist? Wenn wir das täten, dann wären wir beide die größten Dummköpfe, die je über die Wasser der Karibik gesegelt sind.“
El Diablo fuhr zurück, und wieder zuckte seine Rechte zum Messer an seiner Seite.
„Bist du zu feige, mit mir zu kämpfen, Pongo?“ fragte er drohend. Aber Pongo lachte nur dröhnend. Blitzschnell hatte er sein Messer herausgerissen, und ebensoschnell saß es El Diablo an der Kehle.
„Sag so etwas nie wieder, El Diablo! Niemand darf Pongo, den Herrscher über Tortuga einen Feigling nennen. Wärst du nicht der Sohn El Diablos, bei allen Meergeistern, du wärst bereits tot.“
Mit einem Ruck entriß Pongo El Diablo das Messer. Dann trat er einen Schritt zurück. Er starrte den hochgewachsenen Mann an und warf ihm plötzlich sein Messer wieder zu. El Diablo fing es auf und wich blitzartig einen Schritt zurück.
„Halt, El Diablo“, sagte Pongo. „Hör mich erst an. Wenn du dann noch darauf bestehst, mit mir zu kämpfen, dann sollst du deinen Kampf haben. Du bist jung und stark, ich werde mich hüten, dich zu unterschätzen. Aber wir beide, du und ich, sind noch zu etwas anderem gut, als uns gegenseitig die Bäuche aufzuschlitzen. Setz dich! Bis wir miteinander gesprochen haben, soll Friede zwischen uns herrschen, einverstanden?“
Er