Herz des Todes. Magret Kindermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Magret Kindermann
Издательство: Bookwire
Серия: Herz des Todes
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947147687
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Tod nahm sich gerne Zeit für die, die er kannte.

      »Hallo Tilonn«, sagte Zuje. »Schön, dass du derjenige bist, der mich holt.«

      »Du musst nicht mehr bei deinem Körper sein. Du hast wieder Kraft, weißt du.«

      Zujes Seele löste sich und ließ ihren Körper im Bett zurück. Ein Mann saß auf einem Stuhl neben ihr, hielt ihre Hand und schlief mit dem Kopf auf ihrem Bauch.

      »Das ist mein Mann, ihr habt euch nie kennengelernt, oder? Du warst ja immer schnell wieder weg.«

      »Ich kann meine Schwester nie lange ertragen.«

      »Ich auch nicht!« Zuje kicherte. »Gut, dass sie nicht der Tod wurde, sondern du. Es ist viel schöner, von dir geholt zu werden.«

      Der Tod blickte sie gerührt an. Ihre einstmals tiefschwarzen Haare wurden schon grau, aber sie war noch viel zu jung zum Sterben. Schon lange war sie krank, seit einigen Monaten bettlägerig. Wahrscheinlich war es besser so.

      »Brauchst du noch einen Moment?«, fragte er.

      »Das wäre schön.«

      Der Tod machte es sich auf der Kommode an der gegenüberliegenden Wand bequem. Zuje schwebte durch das Zimmer, betrachtete jeden Gegenstand eingehend und lehnte sich eine lange Weile gegen den Rücken ihres Mannes. Als die Sonne unterging, kam sie zum Tod.

      »Ich bin jetzt bereit«, sagte sie.

      »Sicher?«

      Zuje warf einen letzten Blick auf ihren Mann. »Unsere Liebe war ja so groß. Vielmehr hätten wir wohl nicht verkraftet. Ich lasse ihn gehen. Ich lasse ihn endlich gehen. Bring mich fort.«

      Und der Tod gehorchte.

      In Jui war es weit nach Mitternacht, als der Tod im Haus des Redners erschien. Er hatte sich im Hungrigen Stein Mut angetrunken und stank nach Wollgrasschnaps.

      Resis schrie hinter ihrer Schlafzimmertür. Diese Geburt würde sie umbringen. Doch sie hatte noch Zeit und der Tod steuerte das Kinderschlafzimmer an, in dem die Geschwister gemeinsam schliefen. Arus Bett stand gegenüber vom Fenster, gleich an der Tür. Ihr Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Auch ihre beiden Brüder schliefen.

      Nach einer Weile sagte der Tod: »Deine Mutter stirbt gerade.« Er pausierte und dachte nach. »Ich weiß nicht, ob du das gut oder schlecht findest.«

      Der Brustkorb bewegte sich nicht mehr und Aru setzte sich auf.

      »Ist das wahr?«, fragte sie.

      Der Tod sprang vor Schreck zurück und stolperte. Es krachte, als er in einen Korb mit Holzschwertern fiel.

      Der ältere Junge wurde wach. »Schon Morgen? Ich bin so müde.« Er gähnte und streckte sich. »Ich hab geträumt, dass ich eine riesige Kröte mit einem langen, leuchtenden Schwanz fand, und sie brachte mich heim.« Er sprang aus dem Bett. »Willst du wissen, was die Kröte mir gesagt hat?«

      »Nein!«, knurrte der Tod.

      »Sie sagte: ›Das Putzen hinter den Ohren ist überbewertet, weil da niemand hinguckt.‹ Versteht ihr? Kröten haben überhaupt keine Ohren!« Der Junge realisierte den Tod, der versuchte, sich aus dem Korb zu befreien. »Was ...?«, begann er, dann schrie er.

      Er erwartete, dass ein Erwachsener aus dem Haus ihnen zu Hilfe kommen würde, um den Eindringling in die Flucht zu schlagen, aber niemand kam. Jeder war mit der schwierigen Geburt beschäftigt.

      Arus Bruder hob ein zu Boden gefallenes Holzschwert auf und richtete es auf den Tod. »Was suchst du hier? Sprich!«

      Endlich schaffte es der Tod, wieder auf die Beine zu kommen. Er blickte auf den Knaben herunter, der ihm bis an den Bauchnabel reichte. Die Schwertspitze tanzte vor seiner Nase.

      »Er ist der Tod und hier, um Mutter zu holen«, sagte Aru. Sie saß noch immer im Bett. Ihr Gesicht war fahl.

      Durch die Hektik, die ausbrach, wachte Kamur, der kleine Bruder, auf und weinte.

      Das Schwert tippte dem Tod auf die Brust und der Schwertführer sagte im gebieterischen Ton: »Das lasse ich nicht zu!« Der Kleine zog an seinem Ärmel und schluchzte.

      »Seid doch mal leise!«, sagte Aru und jeder lauschte.

      Durch die Wände drang das verzweifelte Schreien ihrer Mutter. Die Kinder rannten los, allen voran Aru, und ihr ältester Bruder hatte noch immer das Holzschwert in der Hand. Der Tod hastete hinterher, so war das nicht geplant! Als die Horde das elterliche Schlafzimmer stürmte, blieb er unsichtbar.

      »Raus hier!«, brüllte die Geburtshelferin. »Raus hier, ihr Plagen!«

      Die blutdurchweichten Laken ließen die Kinder fahl werden. Ihre Mutter war bewusstlos.

      »Der Tod ist hier«, sagte der älteste Bruder und seine Stimme versagte.

      »Es ist schon so weit«, sagte der Tod, obwohl er wusste, dass ihn niemand hören konnte, wenn er unsichtbar war.

      Da ergriff eine kleine Hand die seine. Er schaute hinunter und erblickte Aru, die mit ernster Miene die Tragödie beobachtete.

      Ich weiß. Sei gut zu ihr.

      Sie hatte die Worte nicht ausgesprochen, doch sie erreichten ihn. Es gab nicht viele Menschen, die ihn immer sehen konnten, vor allem waren sie nie so jung. Normalerweise mussten sie diese Fähigkeit erst erlernen.

      Mit einem Schrei löste sich Resis’ Seele vom Körper. In ihren Augen leuchtete eine irre Wut.

      »Geh in euer Schlafzimmer und nimm deine Brüder mit«, sagte der Tod.

      Nein!

      Er seufzte. Wie auch immer, er hatte keine Zeit, jemanden in Sicherheit zu bringen. Nicht jemanden, Aru. Trotzdem!

      Während die Geburtshelferin den Tod der Mutter feststellte und ihren Bauch aufschnitt, um wenigstens das Neugeborene zu retten, kam die entkommene Seele auf den Tod zu. Sie blickte ihn mit gesenktem Kopf an, sodass ihre Augen hervorzutreten schienen. Obwohl sie keine physische Macht ausüben konnte, löste ihr Verhalten Panik beim Tod aus.

      »Ich bleibe hier! Hier ist mein Platz und ich bin lange noch nicht fertig!«, zischte Resis.

      Der Tod streifte Arus Hand ab, packte die Seele und warf sie von sich. Resis wurde durch den Raum geschlagen und schlug Funken. Der Tod rannte ihr hinterher und packte sie an den Haaren, doch sie riss sich los.

      »Du willst mich haben, nicht wahr? Aru hat dich geschickt, dieses energiesaugende Monster hat dich geschickt, um mich zu töten!« Resis entwischte ihm immer wieder. »Ich bleibe und räche mich! Du kannst mich nicht fangen!«

      Der Tod bekam ihren Fuß zu packen. Sie wand sich schreiend, doch er hielt sie fest. Mit der anderen Hand öffnete er ihre Flasche und stopfte den Fuß hinein. Die wildgewordene Seele zappelte, doch der Tod zog immer mehr von ihr zu sich und drückte sie ins Glas, bis er hinter ihrem Haaransatz den Korken hineindrücken konnte.

      Es wurde still.

      Der Tod drehte sich um.

      Aru stand an der offenen Tür und starrte sie mit geweiteten Augen an, ihre Mundwinkel zuckten. Sie konnte nicht nur ihn sehen, sondern auch die Seele ihrer toten Mutter.

      »Aru«, sagte er hilflos.

      Nicht.

      Aru drehte sich um und rannte hinaus.

      Hinter ihm schrie das neugeborene Kind, doch er lief dem einen Kind hinterher, vor dem er sich zuvor nur verstecken wollte. Er konnte sich nicht fernhalten. Selbst ohne die Liebe, die weggesperrt in seinem Herzen unter den Bäumen ruhte, blieben seine Empathie und Neugierde.

      Wer war dieser sonderbare Mensch, der über allen Regeln der Magie zu stehen schien? Hatte er sie durch seine stümperhafte Weihung so gemacht oder war sie schon vorher so gewesen?

      Er