Geschichte des peloponnesischen Kriegs (Alle 8 Bände). Thukydides. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thukydides
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066498627
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Staats sich würdig gezeigt. Die Ueberlebenden aber mögen sich's zum Grundsatze machen, eine nicht minder heldenmüthige Gesinnung gegen die Feinde zu hegen; wiewohl ihnen zu wünschen ist, daß sie ihnen minder gefahrvoll werde. Nicht nach Worten allein mögen sie die Nützlichkeit für den Staat bemessen, wovon, wer Dinge, die euch Allen ebensowohl bekannt sind, besprechen wollte, mit unnöthigem Aufwande von Worten darthun könnte; wie vortheilhaft es sei, den Feind abzuwehren. Vielmehr sollet ihr von der Macht des Staates durch tägliche Anschauung in der Wirklichkeit euch überzeugen, und innige Liebe für ihn gewinnen. Und wenn ihr die Größe dieser Macht erkannt habt, so erwäget, daß heldenmüthige Männer, ihre Pflichten erkennend, und im Handeln durch Gefühle der Ehre geleitet, jene erworben haben: und saß sie, wofern ihnen auch etwa ein Unternehmen mißlang, darum doch ihre tugendhaften Dienste dem Staate nicht entziehen wollten , sondern ihm das edelste Opfer dargebracht haben. Denn indem sie dem öffentlichen Wohle Leib und Leben hingegeben, haben sie für sich nie alternden Ruhm geerndtet, und das ehrenvollste Grabmal erhalten, nicht sowohl das, in welchem sie ruhen, sondern jenes, in welchem ihr Ruhm bei jedem Anlasse zu Wort und That unvergeßlich bewahrt wird. Denn ausgezeichneter Männer Grabmal ist der ganze Erdkreis: und nicht bloß der Denksäulen Inschrift in der Heimath verkündet ihren Ruhm: auch in fremdem Lande lebt ohne Schrift ihr Andenken bei Allen nicht sowohl im Werke des Künstlers, als in den Gemüthern fort. Ihnen sollet ihr jetzt nacheifern, und in der Ueberzeugung, daß die Glückseligkeit auf der Freiheit, die Freiheit aber auf der Tapferkeit beruhe, bei den Gefahren des Kriegs nicht lässig sein. Denn nicht die, deren Loos unglücklich und ohne Hoffnung auf einen bessern Zustand ist, sind eher berechtigt, ihr Leben rücksichtslos zu wagen. Vielmehr gilt dieß denen, bei welchen der entgegengesetzte Umschwung ihrer Lebensverhältnisse noch auf dem Spiele steht, und bei welchen, wenn sie ein Unfall träfe, der Wechsel sehr bedeutend wäre. Denn für einen Mann von Selbstgefühl ist die mit zaghaftem Betragen verbundene Mißhandlung drückender, als der unvermuthet überraschende Tod selbst, wenn dieser bei kraftvollem Benehmen und unter gemeinsam günstigen Aussichten erfolgt."

      44. "Darum will ich Euch, ihr Eltern unsrer Gefallenen, so viele euer hier anwesend sind, nicht sowohl beklagen, als trösten. Wisset Ihr ja doch, daß Ihr selbst unter wechselvollen Zufällen herangereift sein, und daß der glücklich ist, dem ein so rühmliches Ende wie diesen, und eine so rühmliche Trauer, wie Euch, zu Theil wird, und wem das Loos zugeschieden wurde, in eben dem, was das Glück seines Lebens ausmachte, seinen Tod zu finden. Wohl weiß ich, daß es schwer ist, Euch davon zu überzeugen, da der Anblick fremden Glücks, dessen auch Ihr Euch einst freutet, so manche Erinnerungen an die Verlornen in Euch hervorrufen wird: betrifft ja doch die Trauer nicht den Verlust solcher Güter, welche man nie genossen, sondern die Entbehrung eines Besitzes, an welchen uns Bande der Gewohnheit fesselten. Indessen mögen sich die, welchen ihre Altersstufe noch Nachkommenschaft verspricht; durch die Hoffnung trösten, andere Kinder zu erzielen; und so wird nicht nur im Einzelnen der Verlust derer, welche nicht mehr sind, über den Nachgebornen in Vergessenheit gebracht werden; sondern es wird dieß auch dem Staate zweifach nützen, weil er nicht entvölkert wird, und an Sicherheit gewinnt. Denn es ist nicht denkbar, daß man auf eine billige und gerechte Weise das öffentliche Wohl berathe, wenn man nicht auf gleiche Art, wie Andere, bei den Gefahren des Staates Kinder auf das Spiel zu setzen hat. Ihr aber, die Ihr schon jene Altersstufe überschritten habt, möget es als Gewinn betrachten, daß Ihr den größten Theil Eures Lebens glücklich hingebracht, und im Gedanken, das der Nest kurz sein werde, und im Ruhm Eurer Gefallenen Erleichterung stufen. Denn die Ehrliebe allein altert nie, und bei der Unthätigkeit des hohen Alters ist es nicht Geldgewinn, wie Einige behaupten, sondern die Ehre, was den meisten Reiz und die größte Befriedigung gewährt."

      45. "Für Euch aber, die ihr als Söhne oder Brüder der Hingeschiedenen zugegen seid, sehe ich, einen großen Wettkampf eröffnet: denn Jedermann ist gewohnt, den, der nicht mehr ist, zu loben: und kaum werdet ihr wohl bei so hervorragenden Tugenden es erreichen, eine Stufe geringer als sie, geschweige dann, ihnen gleichgeachtet zu werden. Denn wer unter den Lebenden den gleichen Ziele zustrebt, wird beneidet: wer aber nicht mehr in Wege steht, wird mit unbestrittenem Wohlwollen geehrt. - Soll ich nun auch der weiblichen Tugend derer gedenken, die jetzt im Witwenstande leben, so will ich in kurze Worte der Ermunterung Alles zusammenfassen. Zu großer Ehre wird es Euch gereichen, wenn Ihr den Eurem Geschlechte gebührenden Charakter nicht verlaugnet, und wenn so wenig als möglich, weder im Lob noch Tadel, unter Männern Euer gedacht wird."

      46. "So habe ich denn, was ich der Sitte gemäß für dienlich erachtete, in meiner Rede vorgetragen; und durch die That ist der Bestatteten schon ihre Ehre geworden, und von nun an wird der Staat ihrer Kinder Erziehung bis zu den Jahren der Mannbarkeit besorgen, und so diesen Todten, wie ihrer Hinterbliebenen, für ihre Stümpfe einen nützlichen Siegeskranz reichen: denn wo der Tugend die größten Belohnungen bestimmt sind, da leben im Staate and die trefflichsten Männer. Und jetzt, nachdem Jeder die Klage über seine Ungehörigen vollendet, begebt Euch nach Hause."

      47. So wurde die Begräbnißreier in diesem Winter Veranstaltet: und mit seinem Ende verfloß auch das erste Jahr des Kriegs. Unmittelbar nach dem Anfange des Sommers (430. v. Chr.) thaten die Peloponnesier und ihre Bundesgenossen mit zwei Drittheilen ihrer Heere einen Einfall in Attika wie zuvor; unter Anführung des Archidamus, Königs der Lacedämonier, Sohnes von Zeuridamus, und setzten sich daselbst fest, und verwüsteten das fand. Kaum aber standen sie einige Tage in Attika, so begann zum erstenmale jene Seuche unter den Athenern auszubrechen, welche, wie man sagt, schon früher in vielen Orten eingerissen hatte, theils auf Lemnus, theils in andern Gegenden: doch war eine so große Pest und ein solches Sterben unter der Leuten seit Menschengedenken noch nirgends gewesen. Denn auch die Aerzte leisteten anfangs, aus Unkunde der Krantheit, keine genügende Hülfe; sondern sie starben meist selbst um so eher, je mehr sie sich mit den Kranken in Berührung retten: auch half keine andere menschliche Kunst. So oft man auch zu den Tempeln Bittgänge that, oder sich an die Orakel und andere dergleichen Anstalten wendete, so war doch Alles umsonst. Zuletzt gab man auch Dieß auf, weil aller Muth durch des Uebels Größe gelähmt war.

      48. Es begann aber die Krankheit, wie man behauptet, zuerst in demjenigen Aethiopien, das jenseits Egypten’s liegt; dann verbreitete sie sich auch über Egypten und Libyen und viele Länder des Perserkönigs. Ins Athenische Gebiet kam sie plötzlich, und ergriff zuerst die Einwohner des Piräens; daher behaupteten diese, die Peloponnesier hätten Gift in die Gisternen geworfen: denn Brunnen gab es damals dort, noch nicht. Später drang sie aber auch in die Stadt ein, die weiter landeinwärts liegt: und nun ward das Sterben schon häufiger. Es mag übrigens jeder, sei er Arzt oder Laye, darüber nach seiner Ansicht urtheilen, was die wahrscheinliche Veranlassung dieser Seuche war, und welche Ursachen bei einer so gewaltigen Veränderung ihm hinreichend scheinen, diesen Umschwung des Zustandes zu bewirken. Da aber ich selbst von der Krankheit befallen wurde, und Andere, die an derselben litten, beobachtete, so will ich erzählen, wie der Verlauf derselben war, und angeben, nach welchen Merkmalen und Vorzeichen, wenn sie wieder einmal ausbrechen sollte, man sie am besten erkennen kann.

      49. Jenes Jahr war, wie man allgemein anerkannte, gerade vor allen andern sehr frei von sonstigen Krankheitszufällen; litt aber jemand schon früher an irgend einem Uebel, so nahm Alles die Richtung auf diese Seuche. Die Andern, die gesund waren, ergriff ohne eine äussere Veranlassung plötzlich zuerst heftige Hitze im Kopfe, mit Entzündung und Röthe der Augen: die innern Theile, die Kehle und die Zunge, wurden sogleich mit Blut unterlaufen, und gaben einen auffallend widrigen, übelriechenden Athem von sich. Dann gesellte sich Nießen und Heiserkeit dazu: und in Kurzem warf sich die Krankheit auf die Brust, mit heftigem Husten. Wenn sie sich dann beim Magen festsetzte, so bewirkte sie eine so heftige Erschütterung desselben, daß alle von den Aerzten namhaft gemachten Entleerungen der Galle unter großer Beschwerde erfolgten. Die Meisten bestel ein leeres Schlucken, das starken Krampf mit sich führte, welcher bei Einigen bald nach ließ, bei Andern länger anhielt. Der Körper fühlte sich von aussen nicht sehr warm an, war auch nicht blaß, sondern röthlich, oder bläulich, mit einem Ausschlage von kleinen Blasen und Geschwüren. Innerlich aber war die Hitze so heftig, daß man selbst die dünnsten Kleider und eine Bedeckung von der feinsten Leinwand nicht ertragen konnte, und nur immer ganz unbekleidet sein wollte, am liebsten aber sich in kaltes Wasser stürzte: viele, auf die man nicht Acht gab, warfen sich, von unlöschbarem Durste überwältigt, sogar in die Cisternen: man mochte viel oder wenig