Die Kinder vom Schmetterlingshof. Gisela Sachs. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gisela Sachs
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783967526073
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die Futterhäuschen reparieren. Damit die Vögel Eier reinlegen können. Im letzten Jahr waren die Futterhäuschen zwei Mal belegt. Und der Opa hofft, dass es dieses Jahr ebenso werden wird. Und es hat ja auch noch fast drei Jahre Zeit mit der Hundehütte.

      Ich schaue gerne den Meiseneltern zu, wenn sie ihre Kinder füttern. Und die Jungen um die Wette zwitschern im Nistkasten. Bei den Meisenfamilien geht es immer sehr fröhlich zu. Auch am Tag des Auszugs, wenn die Meisenmutter ein letztes Mal ihre Kinder füttert. Es sieht lustig aus, wenn ein Meisenkind nach dem anderen den Kopf aus dem Nistkasten streckt und rauskrabbelt. Und auch die ersten Flugversuche der Meisenkinderchen sehen lustig aus. Die Meisenfamilien verbringen den Tag noch bei uns auf dem Schmetterlingshof, bevor sie uns für immer verlassen. Und wenn die Vögelchen weggeflogen sind, waschen wir die Nistkästen mit heißem Wasser aus. Damit es die nächsten Vögelchen schön sauber haben und nicht krank werden.

      Mein Papa heißt Markus. Er ist ein starker Mann, er kann zwei Kartoffelsäcke auf einmal tragen. In jeder Hand einen. Der Papa ist groß und schlank. Er hat hellblaue Augen und strohblonde Haare. Und er lacht und pfeift fast immer, vom frühen Morgen an bis in den späten Abend. Obwohl er gar nicht schön pfeifen kann. Und seine Arbeit ganz schön schwierig ist. Heute hat die Kuh Berta dem Papa den Schwanz um die Ohren gehauen. Die Berta schlägt immer zu, seit sie gekalbt hat. Der Papa hat jetzt ein paar Striemen im Gesicht, aber er ist trotzdem fröhlich. Ich werde einmal einen Mann heiraten, der so schön, so stark und so lustig ist wie mein Papa. Und ich werde unseren Schmetterlingshof nie verlassen. Gar nie, in meinem ganzen Leben nicht!

      Meine Mama heißt Jessica, aber alle nennen sie Jessi. Außer dem Michel und mir. Wir sagen Mama zu der Mama. Meine Mama ist die schönste Frau weit und breit. Sie hat lange kastanienbraune Haare und grüne Augen. Die Haare hat die Mama zu einem Zopf geflochten bei der Arbeit. Aber wenn sie mit dem Kochen und Melken fertig ist, öffnet sie die Haare. Dem Papa gefällt es, wenn die Mama die Haare offen trägt. Er mag es auch, wenn die Mama bunte Sommerkleider trägt und Lippenstift und Nagellack benutzt. Und hohe Schuhe anzieht. Der Opa kann es nicht leiden, wenn die Mama sich schminkt und hohe Schuhe anzieht. Aber damit muss der Opa fertig werden, meint der Papa.

      Marco und Danielle haben eine italienische Mama. Sie heißt Simona und sie ist mit meiner Mama befreundet. Sie gehen jeden Dienstagabend zusammen in die Gymnastikgruppe. Und manchmal fahren die Beiden mit dem Auto in die Großstadt ins Kino. Oder zum Eis essen. Oder neue Kleider und Schuhe und Handtaschen kaufen. Frau Schmitz hat ganz viele Schuhe und ganz viele Handtaschen. Und auch viele Kleider. Und viel Haarschmuck. Und viele Ketten und viele Schals und viele Hüte. Sie hat sogar mehrere Armbanduhren. Für jeden Tag eine andere. Im Sommer trägt Frau Schmitz riesige Strohhüte, fast so groß wie ein Wagenrad. Und im Winter trägt sie bunte Hüte aus Fils mit Blumen an der Seite. Und im Sommer wie im Winter trägt Frau Schmitz eine riesige Sonnenbrille. Frau Schmitz hat viele Sonnenbrillen in allen möglichen Farben. Grüne, gelbe, rote, weiße, blaue und sogar eine lilafarbene. Und sie riecht immer nach Parfüm. Ich mag Parfümgeruch nicht leiden.

      Der Papa von Danielle und Marco heißt Christian. Er spielt zusammen mit meinem Papa Fußball im Fußballverein im Nachbardorf. Und nach dem Fußball spielen gehen sie meist noch ein Bier trinken. Herr Schmitz trinkt gerne mit dem Papa zusammen ein Bier. Oder zwei. Manchmal auch drei. Die Mama mag es nicht, wenn der Papa nach Hause kommt und nach Bier und Zigaretten riecht. Und ich auch nicht. Allemal besser als Parfümgeruch, sagt der Opa. Und der Papa lacht. Dann sind wir uns ja mal wieder einig, Vater.

      

      

       2

      Die Oma hat kräftig mitgeholfen beim Beerenpflücken und beim Einkochen. Und beim Kräutertrocknen. Und beim Tee verpacken. Und beim Einmachgläserbeschriften. Die Etiketten von der Oma sind etwas ganz Besonderes. Jedes Etikett hat die Oma ein bisschen anders bemalt. Aber dann wurde die Oma krank. Die Oma konnte auf einmal keine Etiketten mehr beschriften und bemalen. Und sie wusste plötzlich nicht mehr, wie man die Marmeladengläser zuschraubt. Oder sich die Schuhe bindet. Oder den Backofen und den Fernseher einschaltet. Am Anfang der Krankheit ist die Oma noch im Lehnstuhl gesessen und hat aus dem Fenster geschaut. Aber dann wollte sie immer öfter in ihr Bett. Und das am hellen Tag. Und eines Tages wollte die Oma überhaupt nicht mehr aufstehen. Sie wollte auch kein Radio mehr hören und kein Fernsehen schauen. Und sie wollte, dass die Fensterläden geschlossen bleiben. Immer. Auch am Tag. Die Oma wollte nicht mehr baden oder duschen. Sie hatte auf einmal große Angst vor dem Wasser. Und weil die Oma auch nicht mehr essen und trinken wollte, musste sie ins Krankenhaus. Und im Krankenhaus machte die Oma komische Sachen. Da meinte der Chefarzt, dass die Oma in einem Pflegeheim besser aufgehoben wäre als auf dem Schmetterlingshof. Da hat der Opa bitterlich geweint. Und die Mama und der Papa auch.

      Der Opa besucht die Oma jeden Tag im Pflegeheim. Und manchmal weiß die Oma sogar, wer der Opa ist. Sie sagt dann Helmchen zum Opa. Der Opa singt jedes Mal vor Freude ‚Großer Gott wir loben Dich’, wenn das so ist. Und die Oma singt immer laut mit. So laut, dass die Schwestern den Kopf zur Tür reinstecken und sich wundern, was da los ist. ‚Großer Gott wir loben Dich’ ist das absolute Lieblingskirchenlied von meiner Oma. Und das von meinem Opa auch. Die Oma weiß viele Gebete auswendig. Ihr absolutes Lieblingsgebet ist Vater unser. Und das von meinem Opa auch. Der Opa wünscht sich, dass die Oma wieder ganz gesund wird und zu uns auf den Schmetterlingshof zurückkommen kann. Das wünsche ich mir auch. Und der Michel und die Mama auch. Aber da wird nichts daraus hat der Papa zu der Mama in der Küche gesagt. Die Oma ist schon viel zu schwach. Sie wird nicht wieder gesund.

      Wir nehmen den Bello mit zur Oma. Die Oma mag den Bello sehr. Sie streichelt ihn immer ganz lange, vom Kopf bis zu den Pfoten und wieder zurück. Und manchmal fragt die Oma sogar nach Minka, der dicken Katzenmamma. Das ist aber sehr selten. Und die Oma weiß auch nicht mehr, dass die Minka schon wieder drei Babys hat. Obwohl ich ihr das schon dreimal erzählt habe. Aber der Papa hat Fotos gemacht von den Katzenbabys. Er wird sie der Oma zeigen.

      Der Opa, der Michel und ich gehen nach den Besuchen bei der Oma immer in die Kirche. Und wir brennen vor dem Marienaltar eine Kerze für die Oma an. Und wir beten darum, dass die Oma keine Schmerzen haben muss. Nach dem Kirchenbesuch gehen wir meist in die Eisdiele. Und beim Eis essen, erzählt der Opa jedes Mal von früher. Der Opa erzählt, wie es war, als er die Oma kennenlernte. Und wie es war, als er mit der Oma Hochzeit gefeiert hat. Und wie es war, als mein Papa auf die Welt gekommen ist. Und wie prima die Oma früher tanzen und singen konnte. Und dass die Oma einmal zur schönsten Frau gekürt wurde. Auf dem Dorffest im Nachbardorf. Und dass die Oma einmal einen Wettbewerb im Schwarzwälder Kirschtorte backen gewonnen hätte.

      Der Opa erzählt wie es war, als der einzige Sohn eine Frau mit nach Hause gebracht hatte. Eure Mutter, sagt der Opa. Und er lacht. Er lacht so laut, dass er sich den Bauch festhalten muss. Kinder, da hättet ihr dabei sein müssen. Was eure Mutter sich doch alles fragen lassen musste von der Oma. Eure Großmutter hat eure Mama sogar gefragt, ob euer Papa sie schon einmal geküsst hätte. Da ist eure Mama rot geworden wie eine Tomate. Und sie hat minutenlang auf den Boden gestarrt vor Scham. Natürlich hat er sie geküsst, mein Liebchen, hat der Opa zu meiner Oma gesagt. Ich habe dich doch auch geküsst, Zuckerännchen. Als wir noch nicht verlobt miteinander waren. Hast du das etwa vergessen? Da wurde meine Mutter, also eure Urgroßmutter ganz rot im Gesicht. Und am Hals. Und auch ihre Ohrläppchen glühten wie ein Feuerofen. Sie wurde noch röter als eure Mutter. Der Opa lacht. Lange. Wie immer, wenn er an dieser Stelle der Geschichte ankommt. Und wir lachen mit. Ich stelle mir die Urgroßmutter mit den glühenden Ohrläppchen und dem tomatenroten Hals vor. Wie muss die doch geschwitzt haben.

      Mir hat eure Mama gleich gut gefallen, erzählt der Opa weiter. Aber die Oma war erstmal ganz schön eifersüchtig auf eure Großmutter. Aber nicht lange. Die Oma hat schnell gemerkt, dass eure Mama die richtige Frau für unseren Sohn ist, sagt der Opa und nickt. Weil sie so gut kochen und backen und nähen kann. Und weil sie gut zu den Tieren ist. Und weil sie sich mit Blumen und Pflanzen auskennt. Und lieb zu allen Menschen ist. Und weil sie fleißig und hilfsbereit ist. Und als das erste Enkelkind, der Michel auf die Welt kam, haben der Opa und die Oma Rotz und Wasser geheult vor lauter Glück. Das erzählt uns der Opa immer wieder.

      Ich


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