Zweitsommer. Isolde Kakoschky. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isolde Kakoschky
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783967525502
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Hecke glichen. Wie hatten sie sich gefreut, diesen Bauplatz am Stadtrand gefunden zu haben! Das Gebiet war nach dem 2. Weltkrieg erschlossen worden, um dort Neubauern anzusiedeln. Doch nicht jede Parzelle war belegt worden. Als junge Familie hatten sie damals die Chance erhalten, ihr eigenes Häuschen zu errichten.

      Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, von hier weg zu gehen, viel zu sehr liebte sie ihre Heimatstadt, die sich in das enge Flusstal der Wipper zwängte. Die kleinen Häuser, in denen früher die Bergarbeiter gewohnt hatten, drängten sich rechts und links des Flusses an den Hängen dicht an dicht. Doch hier oben, wo die Stadt an die weitläufigen Felder grenzte, da war genug Platz gewesen. Der Bergbau war zu der Zeit schon als Geschichte in der näheren Umgebung abgehakt, lediglich die großen und weithin sichtbaren Abraumhalden kündeten von der jahrhundertealten Tradition. Doch das große Walzwerk und die Kupferhütten hatten den Einwohnern Arbeit und ein gutes Auskommen gesichert.

      Freilich, die jungen Leute hatten oft kämpfen müssen um das knappe Baumaterial, jeder Sack Zement, den man ergatterte, war ein Erfolg. Und nun rostete das Gartentor vor sich hin und die

      schwer errungenen Natursteinbodenplatten lagen lose auf dem Weg und zerbröselten wie ihre Beziehung.

      Berit drehte sich um. Der Bewegungsmelder hatte die Hausbeleuchtung aufflammen lassen, jedenfalls einen Teil davon. Im Schein der einzigen, funktionierenden Glühbirne sah sie zwei eng umschlungene Gestalten. Obwohl sie den Abnabelungsprozess eines Kindes bereits bei ihrem Sohn erlebt hatte, konnte sie sich doch jetzt bei Julia noch nicht damit abfinden, dass ihr kleines Mädchen eigene Wege ging. Und wenn sie ehrlich war, ihren zukünftigen Schwiegersohn hatte sie sich auch etwas anders vorgestellt. Sie war durch ihre Arbeit bei einer Jugendeinrichtung des Landkreises durchaus offen gegenüber den Erscheinungen der Jugendkultur, doch musste ausgerechnet ihre Julia einen Jungen anschleppen, der so düster wirkte, der gepierct und tätowiert war? Sie war froh, als die Tür klappte und ihre Tochter wohlbehalten in die Diele trat.

      Julia schaltete das Licht an. »Mama, du stehst ja hier im Dunkeln.« Das Mädchen drückte die Mutter an sich. »Wie geht es dir? Ich war auch den ganzen Tag heute so traurig, dass Opa nicht mehr lebt. Aber Basti hat mich ganz lieb getröstet. Wir haben Musik gehört und er hat mir Gedichte vorgelesen,

      das war voll schön! Ich bin so froh, dass ich ihn gefunden habe.«

      Berit unterdrückte eine erstaunte Bemerkung und versuchte ein Lächeln.

      »Ach, es geht soweit. Wollen wir noch etwas fernsehen und uns ablenken?« Julia nickte zustimmend und so kuschelten sich Mutter und Tochter gemeinsam in die Sofaecke und folgten einem Liebesfilm.

      Als Daniel vom Geschäft zurückkam, waren beide eingeschlafen. Während Julia sich später in ihr Zimmer zurückzog, blieb Berit auf dem Sofa liegen. Ihr unruhiger Schlaf war von Träumen durchzogen, in denen sie selbst ein Mädchen war, kaum älter als ihre Julia heute. Auch sie hatte an der Haustür gestanden und sich mit ihrem Freund geküsst. Doch ihr Empfang durch die Mutter war so ganz anders gewesen.

      »Was soll das?«, hörte sie die aufgebrachte Stimme ihrer Mutter wieder fragen. »Willst du wirklich mit einem dreckigen Schlosser zusammen leben?« Berits Tränen hatten die Mutter nicht erreicht. Erst als sich der Vater einmischte, hatte die Mutter eingelenkt, wohl in der Hoffnung, dass sich das Problem noch von selbst lösen würde.

      Als Berit aufwachte, schien ihr die Morgensonne ins Gesicht. Im Haus war es ruhig und kündete davon, dass Daniel im Geschäft und Julia in der Schule war. Bruchstückhaft kam ihr der Traum wieder in Erinnerung. Sie lächelte einen Moment in sich hinein. Heute war ihre Mutter überzeugt, dass es keinen besseren Schwiegersohn geben könnte als Daniel. Na ja, Kunststück, dachte Berit bei sich, schließlich hat sie ja nur einen! Jana war glücklicher Single aus Überzeugung und würde wohl auch nicht mehr heiraten. Dabei war sie eine sehr aparte Frau mit ihren nun auch bald 50 Jahren. Aber es war wirklich dem Vater zu verdanken gewesen, dass die Mutter bereit war, Daniel näher kennen zu lernen und ihre Vorurteile schmolzen wie Schnee in der Sonne. Durch seine strebsame, fleißige Art hinterließ er nur den besten Eindruck und war bald Schwiegermutters Liebling. Als Berit die Oberschule abschloss, konnte man schon sagen, dass die beiden ein festes Paar waren. Und daran sollte sich auch nichts mehr ändern.

      Berit stieg die Treppe hinauf und ließ sich erst einmal ein Bad einlaufen. Dann stand sie suchend vor dem Kleiderschrank, schließlich hatte sie die Nacht in ihren Sachen verbracht. Sie musste sich so oder so von Kopf bis Fuß umziehen. Gestern hatte sie eine graue Jacke und einen grauen Pulli angezogen, das erschien ihr durchaus angemessen. Doch heute musste sie direkt zu ihrer Mutter gehen, die erwartete mit Sicherheit schwarze Trauer-

      kleidung. Berit mochte schwarz nicht. Gerade jetzt, im Frühling, hätte sie lieber luftige, bunte Kleidung getragen, doch bis zur Beerdigung kam sie wohl nicht um eine gewisse Kleiderordnung herum. Ganz hinten im Schrank entdeckte sie eine schwarze Bluse, die hatte sie einmal zur Beerdigung einer Tante angehabt. Ein Glück, sie passte noch! Dazu das schwarze Kostüm, welches für gelegentliche offizielle Anlässe parat hing, so konnte sie der Mutter entgegen treten.

      Jana hatte die Nacht bei der Mutter verbracht und Berit war ihrer Schwester dankbar gewesen. Nun machte sie sich auf den Weg in die Altstadt zur Wohnung ihrer Eltern.

      »Da bist du ja endlich«, empfing Jana ihre Schwester. »Mama hat schon nach dir gefragt.« Gemeinsam gingen sie ins Wohnzimmer, wo die Mutter auf dem Sofa saß und blicklos ins Leere zu starren schien. Der Tod ihres Mannes hatte sie schwer getroffen. Berit setzte sich zu ihr und legte den Arm um ihre Schultern. Sie hätte sie trösten wollen, doch eigentlich brauchte sie selber Trost. Stumm sahen sich Mutter und Tochter an.

      Jana durchbrach die Stille: »Ich mache uns jetzt mal einen Kaffee. Vielleicht kannst du die Mama überreden, dass sie auch etwas isst. Sie hat wahr-

      scheinlich seit vorgestern nicht viel zu sich genommen.«

      »Das ist eine gute Idee«, stimmte Berit ihrer Schwester zu. »Ich habe ja heute auch noch nichts gegessen. Vielleicht kommt gemeinsam der Appetit.«

      Wenig später stand der Kaffe auf dem Tisch und duftete mit dem frischen Toast um die Wette. Die Schwestern sahen sich aufatmend an, als die Mutter wirklich begann eine Scheibe Toast mit Käse zu essen.

      Später legte Jana den Katalog des Bestattungshauses auf den Tisch. Mit Klebezetteln hatte sie markiert, was sie gemeinsam mit Berit am Tag zuvor bestellt hatte. Sie hatten den Wunsch des Vaters respektiert und sich für eine Urnenbestattung entschieden, auch wenn die Meinung der Mutter eine andere gewesen war. Doch nun nickte sie zustimmend zu der ausgewählten Urne und dem Blumenschmuck. »Ihr beide habt das genau richtig gemacht, Heinrich hätte es wohl so gewollt.«

      Die Schwestern waren innerlich erleichtert. Nun mussten sie noch eine Grabstelle aussuchen.

      »Glaubst du, dass du mitkommen kannst zum Friedhof?«, fragte Jana ihre Mutter.

      »Ich sollte mich wohl dazu aufraffen«, antwortete die Mutter. So langsam schienen ihre Lebensgeister zurückgekehrt zu sein. Die drei Frauen zogen sich die Schuhe an und traten vor die Haustür.

      »Wo hast du denn das Auto geparkt?« Jana sah Berit fragend an.

      »Ich bin den kurzen Weg gelaufen«, entgegnete Berit ihrer Schwester. »So konnte ich nämlich ein wenig den Kopf wieder frei bekommen. Ich hatte so einen blöden Traum von früher, das war richtig wie echt. So was kommt einem wohl wieder hoch, wenn ein vertrauter Mensch plötzlich nicht mehr lebt.«

      »Dann musst du dich aber auf die Rückbank zwängen«, grinste Jana ihre Schwester an. Ihr schmuckes Cabrio hatte den Komfort auf die Vordersitze begrenzt. Aber Berit lachte nur und war schon nach hinten durchgerutscht. So ungelenkig war sie nun doch noch nicht.

      Die Fahrt führte aus der Innenstadt stetig bergauf. Oben auf der Anhöhe lag der Friedhof inmitten einer parkähnlichen Anlage. Hohe, alte Bäume säumten die Hauptwege und spendeten im Sommer erholsamen Schatten.

      In der Friedhofsverwaltung war wenig Publikumsverkehr und die Frauen wurden von der netten Mitarbeiterin sofort hereingebeten.

      »Ja, was soll es