Emanuel Schaffer. Lorenz Peiffer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lorenz Peiffer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783730705698
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1920er und 1930er Jahre. Das ist diejenige, aus der auch Schaffer kommt. Einige Spieler des legendären jüdischen Sportklubs Hakoah Wien wanderten nach Palästina aus und spielten im israelischen Fußball eine wichtige Rolle. Die andere Säule ist der Einfluss der englischen Mandatsmacht Großbritannien: In der Fußballliga Palästinas (d. h. bis zur Staatsgründung) spielten auch Mannschaften der britischen Polizei und des britischen Militärs.

      Die meisten jüdischen Fußballspieler, bis in die Mitte der 1950er Jahre, waren europäischer Herkunft, und der Neueinwanderer Emanuel Schaffer passte in dieses Ambiente. Doch bereits während Schaffers aktiver Zeit durchlief die israelische Gesellschaft, und somit auch der israelische Fußball, einen entscheidenden Wandel. Die israelische Bevölkerung verdoppelte sich zwischen 1948 und 1960 von etwa 800.000 auf 1.600.000 Einwohner. Die meisten jüdischen Neueinwanderer zu dieser Zeit kamen aus den arabischen Staaten im Nahen Osten und Nordafrika, wo die Fußballtradition nur eine marginale Rolle spielte. Im Zuge der Integration der sogenannten orientalischen Juden wuchs aber auch nach und nach die Zahl der Fußballspieler „orientalischer“ Herkunft, was dann zum Wandel des Charakters des israelischen Fußballs beigetragen hat. Dieser Prozess sollte auch für den Trainer Schaffer in den späten 1960er Jahre relevant werden. Von Bedeutung war auch die Tatsache, dass der Staat wenig in den Sport und auch nicht in den Fuß-ball investierte. In der ersten Liga spielten nur zehn Mannschaften, und die Spieler waren alle noch bis in die 1970er Jahre Amateure. Im Staat Israel standen der Landwirt und noch mehr der Soldat für den „Muskeljuden“ – mehr als der Sportler. Es ist also kein Wunder, dass Israel, der Staat des angeblichen „Muskeljuden“, im Sport, und auch im Fuß-ball, den Durchbruch zum internationalen Erfolg nicht geschafft hat. Die erste olympische Medaille gewann Israel erst im Jahr 1992 bei den Olympischen Sommerspielen in Barcelona.67 Vor dem Hintergrund dieses nur sehr bescheidenen Stellenwerts des Sports bildete die Zeit Schaffers als Trainer der Juniorennationalmannschaft, und später dann der Seniorennationalmannschaft, eine überraschende Ausnahme.

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       Rückkehr ins Land der Täter

      Es war immer Schaffers größter Wunsch, dem Fußballsport nach dem Ende seiner aktiven Zeit verbunden zu bleiben und die Trainerlaufb ahn einzuschlagen. Erste Erfahrungen sammelte er, wie bereits erwähnt, bei Hapoel Kfar Saba, seinem letzten Verein als Spieler. Dort hatte er die Jugendmannschaft übernommen und war als Co-Trainer der Herrenmannschaft aktiv. In einem Empfehlungsschreiben an die Sporthochschule Köln betonte der Verein, dass Schaffer als Trainer die Jugendmannschaft aufgrund „seiner aufopfernden Leitung und fachmännischen Kenntnisse zu einem hohen spielerischen Niveau gebracht“ habe. Mit dem Ergebnis, dass „unsere heutige erste Liga-Mannschaft nur aus diesen Jugendnachwuchsspielern besteht, ohne fremde auswärtige Kräft e“. 1956, offenbar nachdem er seine Spielerlaufb ahn verletzungsbedingt hatte beenden müssen, übernahm er als hauptverantwortlicher Trainer die 1. Herrenmannschaft .68 Gleichzeitig begann er am 1. August 1956 mit der Ausbildung zum Sportlehrer beim israelischen Sportverband Hapoel. Diese Ausbildung dauerte bis zum 1. Februar 1958. Nach Mitteilung des Verbandes absolvierte er den Kurs „auf eigene Kosten“.69 Entsandt wurde er zu diesem Lehrgang von seinem damaligen Verein Hapoel Kfar Saba70.

      Der überraschende Titelgewinn der westdeutschen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz hatte dem deutschen Fuß-ball in der Welt zu großem Ansehen verholfen. Da über den Verlauf des Turniers auch in der israelischen Presse berichtet wurde, konnte Eddy Schaffer den Weg der deutschen Mannschaft und die taktischen Tricks und Kniffe des Trainers Sepp Herberger zeitnah verfolgen. Allerdings überrascht aus heutiger Sicht die Art der Berichterstattung in der hebräischen Presse über die WM 1954 und ihren Ausgang: Nicht mal die Zeitung der Partei Herut, die 1951/52 vehement gegen die Wiedergutmachung aus der Bundesrepublik wetterte, hat die Erinnerung an die Shoah in diesem Zusammenhang zum Thema gemacht. Die Verquickung von Sport und historischer Erinnerung, die sogenannte Erinnerungspolitik, kam paradoxerweise erst später zur Geltung.71

      Schaffer war in Deutschland aufgewachsen, er beherrschte die deutsche Sprache, lag es da nicht nahe, seine Trainerausbildung im Land des Weltmeisters fortzusetzen? Deutschland war aber auch gleichzeitig das Land der Täter. Seine Eltern und Schwestern waren von Deutschen verfolgt, entrechtet und ermordet worden, er selbst war dem mörderischen Rassenwahn nur durch seine Flucht entkommen, die ihn bis nach Kasachstan geführt hatte. Konnte er vor diesem Hintergrund nach Deutschland zurückkehren?

      Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel gab es in den 1950er Jahren, auch nach dem Wiedergutmachungsabkommen im Jahr 1952, noch keine diplomatischen Beziehungen. Reisen von Israel nach Deutschland waren zwar möglich, aber nicht gerade erwünscht. Die israelischen Reisepässe trugen bis 1956 auf der ersten Seite den Stempel: „Alle Länder − Mit Ausnahme Deutschlands.“ Diplomatische Beziehungen nahmen beide Länder erst 1965 auf. Zwar waren insbesondere in Wissenschaft und Kultur bereits zuvor erste Kontakte geknüpft worden. Der erste Besuch einer Delegation der Bundeszentrale für politische Bildung in Israel fand 1963 statt, und der erste Besuch einer Max-Planck-Delegation 1964 im Weizmann-Institut in Rehovot, um nur zwei Beispiele zu nennen. Dennoch war, zumal in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, die Ausbildung eines israelischen Staatsbürgers in Deutschland alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

      In dem „klassischen“ Bereich der Massenkultur, dem Sport72, genoss die Deutsche Sporthochschule Köln auch international bereits einen guten Ruf durch die Diplomsportlehrer-Ausbildung sowie u. a. durch die Trainerkurse im Fußball, die der deutsche Bundestrainer Sepp Herberger leitete. David Schweitzer, gebürtiger „Sabra“, Nationalspieler, Rechtsverteidiger von Hapoel Tel Aviv und Hapoel Haifa, war 1957 der erste Israeli, der in Köln an einem Fußballlehrer-Lehrgang teilnahm.73 Er wurde später (1973-1977), also nach Eddy Schaffer, Trainer der Nationalmannschaft.

      Ende des Jahres 1957 erkundigte sich Eddy Schaffer in einem Brief an den Rektor der Sporthochschule Köln, Carl Diem, über die Voraussetzungen für die Teilnahme an einem Fußball-Trainerkurs, die Kosten „sowie alle anderen Details und Bedingungen“.74 In diesem Brief beschrieb Schaffer kurz seine Karriere als Fußballspieler und -trainer. Es war einzig und allein seine Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren und dort seine Ausbildung zum Fußballtrainer fortzusetzen. Mit seiner Familie hat er über diese Entscheidung nicht diskutiert. Sein Sohn Moshe war mit zwei Jahren noch zu klein, um die Zusammenhänge der Familiengeschichte mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands zu verstehen. Eddys Ehefrau Shoshana akzeptierte den Entschluss ihres Ehegatten.75 Er selbst hatte keine Probleme damit, nach Deutschland zurückzukehren, und er sah offenbar auch kein Problem darin, dass der Rektor der Sporthochschule der Mann war, der für Hitler die Olympischen Spiele 1936 in Berlin zum internationalen PR-Erfolg gemacht hatte.

      Bereits wenige Wochen später, am 7. Januar 1958, antwortete Carl Diem. Er, Eddy Schaffer, erfülle die Voraussetzungen, um an dem Fuß-ball-Lehrgang 1958/59 teilzunehmen, der sich „mit den Ferien über ein Jahr erstreckt und zwar beginnen wir mit dem Sommersemester am 1. Mai 1958 und enden am 31. Juli. Das Wintersemester beginnt am 1. November und Lehrgangsschluß ist am 28. Februar 1959.“ Die Kosten für den Lehrgang betrugen pro Semester 210,- DM. Dazu kamen noch Kosten für die Unterkunft mit 45,- DM und für Verpflegung in den drei Monaten im Sommer- und Wintersemester mit jeweils 450,- DM. Offensichtlich erschienen Diem die Gesamtkosten für die Teilnahme an dem Ausbildungskurs selbst sehr hoch, denn er machte Schaffer auf die Möglichkeit aufmerksam, sich als Trainer bei einem Amateurverein Geld zu verdienen: „Es bestehen in jedem Fall Möglichkeiten, daß Sie das Training eines Amateurvereins übernehmen können (DM 150,- bis DM 200,- monatlich), so daß Sie mehr oder weniger nur die Semestergebühren zu berücksichtigen haben.“76

      In seinem Antrag auf Zulassung zu dem Trainerlehrgang gab Schaffer als Geburtsdatum den 1. Februar 1923 an. Die Änderung seines Geburtsdatums nach dem Ende des Kriegs in Bielawa hatte nach Aussage seines ältesten Sohnes Moshe dazu geführt, dass sein Vater häufiger sein Geburtsdatum durcheinanderbrachte, was aber letztlich folgenlos blieb. Als seine „derzeitige Tätigkeit“ führte er „Trainer in Hapoel Kfar Saba“ an.77 Neben Emanuel Schaffer nahm