Morgen wird ein guter Tag. Sir Thomas Moore. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sir Thomas Moore
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783854457060
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marschierten, nachdem man ihre Werft geschlossen hatte, eine bis dahin florierende Industrieanlage, in der über 1000 Schiffe gebaut worden waren. Die Männer in dunklen Anzügen mit mürrischen Gesichtern und flachen Mützen kamen nicht durch Keighley, sondern zogen von Jarrow nach Ripon, von dort über Harrogate nach Leeds und weiter über Wakefield, Barnsley und Sheffield in den Süden, wofür sie bis London einen Monat brauchten. Im Kino wurde berichtet, dass man die Marschierenden großzügig mit Essen und Unterkünften auf ihrer Route unterstützte. Auch auf lokaler Ebene war das Mitgefühl zu spüren, das man den Arbeitslosen entgegenbrachte, doch es gab ebenso viel Unverständnis. Ironischerweise und trotz großer Bemühungen war es letztendlich nicht das Handeln der Regierung, das den Männern aus Jarrow zu Hilfe kam, sondern der nächste Krieg.

      Ich war dankbar, in solchen Zeiten eine feste Anstellung zu haben. Der mögliche Aufstieg in eine Managerposition übte zudem eine starke Anziehung auf mich aus. Nach bestandener Führerscheinprüfung durfte ich nun endlich mit dem Motorrad auf öffentlichen Straßen fahren. Leider hatte ich meine Royal Enfield aus finanziellen Gründen verkauft und es dauerte noch eine Weile, bis ich mein nächstes Motorrad bekam.

      Nach dem Abschluss meiner Prüfung bei Mr. Wood übergab er mir feierlich einen 16-teiligen Ingenieurzeichenkasten, der zusätzlich Kompass und Winkelmesser enthielt. Die Arbeitsutensilien lagen in einem mit blauem Samt ausgeschlagenen Kasten und sind ein geschätzter Besitz, den ich immer noch aufbewahre. Kurz danach besuchte ich das Bradford Technical College, um Bauingenieurwesen zu studieren. Dort wurde ich Mitglied des Institute of Civil Engineers – nicht schlecht für einen Jungen, der die Differenzial- und Integral­rechnung hasste. Mein Traum war die Laufbahn eines Bauingenieurs, der Brücken oder Straßen konstruierte, doch zuerst musste ich meine Qualifikation nachweisen. Da Bradford 16 Kilometer entfernt lag, fuhr ich immer mit meinem Raleigh-Fahrrad dorthin, bis mir mein Vater ein neues Motorrad kaufte – eine 1936er BSA 600 ccm mit seitlichem, lang gezogenem Auspuff. Ich tuckerte damit Tag für Tag zum College – angesichts der Landschaft in Yorkshire eine wunderschöne Fahrt.

      Ich hatte auch eine neue Freundin, Marjorie Butterfield, deren Mutter den Black Bull Pub in Haworth führte. Marjorie war ein hübsches, süßes Mädchen, und sie trug gern Röcke, die ihre Ausstrahlung unterstrichen. Glücklicherweise hatte die Mode sich so entwickelt, dass Röcke nicht mehr bis zu den Knöcheln reichten, sondern bis knapp unterhalb der Knie „aufgestiegen“ waren. Ich brachte Marjorie mit nach Haus, um sie meinen Eltern vorzustellen, die sie zu mögen schienen. Solange es so aussah, als entstände aus der Beziehung zu meinen Freundinnen nichts Ernstes, bereiteten sie mir keine Probleme, nicht zuletzt, weil mein Vater auch hübsche Mädchen mochte.

      Ich war zwar kein von Natur aus begabter Tänzer, aber nahm mit 16 Jahren Unterricht in Walzer, Foxtrott und Quickstep. Ich machte das vor allem, um an die Damen heranzukommen, denn in Keighley gab es jede Woche Tanzveranstaltungen, auf denen ich mich beweisen musste. Im Winter richtete man die Tanztreffs in den Keighley Baths aus. Für die interessanteren – die privat stattfanden – benötigte man eine Einladung. Eins war klar – ob ich nun allein dorthin ging oder mit Marjorie –, ich musste mich herausputzen und gepflegt in einem schwarzen Anzug erscheinen und bloß nicht in der wollenen Arbeitskluft. Wir tanzten damals zur sogenannten Tanzsalon-Musik, zu deren Vertretern Joe Loss und seine Band gehörte. Sie wurde entweder live im Radio übertragen oder mit einem Grammophon abgespielt. Ich erinnere mich nicht, ob Freda mit zu den Tänzen kam, aber vermutlich nicht, was eine Schande ist, denn sie verpasste einiges. Sie hatte nur einen Freund gehabt, einen Kerl, den mein Vater nicht billigte, da er „nach nichts aussah“. Das war es dann auch schon. Aus Respekt vor Dad – das glaube ich zumindest – führte sie nie wieder eine Beziehung, was ich bedauerlich fand, denn sie hätte eine wunderbare Mutter abgegeben.

      Trotz der Normalität meiner sorgenfreien Jugendjahre, die ich am College, bei den Tanzveranstaltungen und in der Familie verbrachte, wusste ich, dass sich hinter meinem beschränkten Horizont ein Gespür für eine zunehmende Bedrohung zusammenbraute. Wir als Nation konnten das Gefühl nicht abschütteln, dass ein weiterer Krieg im Bereich des Möglichen lag. Die aktuellen Nachrichten aus Europa wurden regelmäßig über das Radio oder im Kino verbreitet und die neusten Meldungen aus Deutschland füllten die Seiten der Daily News, die mein Vater täglich las, wie auch der Keighley News an jedem Samstag.

      Auf eine befremdliche Art machte uns diese stetig steigende Anspannung hinsichtlich der tatsächlichen Möglichkeit eines Konflikts taub. Man rechnete schon so lange damit, dass man mit der Zeit abstumpfte. Außerdem waren wir eine Familie, in der große Sorgen nie offen gezeigt wurden. Erst jetzt wird mir klar, wie erschreckend der Gedanke, dass man mich in den Krieg schicken könnte, für meine Eltern gewesen sein musste. Davor ängstigte sich vermutlich vor allem mein Vater, der uns alle zusammenhalten wollte, sicher und in guter Verfassung. Meine Mutter muss wohl auch meine Einberufung befürchtet haben, doch sie hätte mir das niemals anvertraut. Ich bin sicher, dass meine optimistische Natur von ihr kommt. Meine Eltern schauten immer auf die freudigen Seiten des Lebens und näherten sich dem, was da wohl kommen mochte, in derselben geistigen Grundhaltung wie ich: Mach dir mal nicht zu viele Sorgen vor morgen. Morgen wird ein guter Tag.

      Ich war damals wahrscheinlich viel zu sehr mit der Lektüre meiner Motorradmagazine beschäftig oder damit, mich mit Mädchen zu vergnügen, um die politischen Entwicklungen zu verfolgen. Und auch wenn ich es gemacht hätte, hätte ich den Krieg in meiner Naivität als ein Abenteuer betrachtet. Davon abgesehen, fanden in diesen Jahren einige Ereignisse in unserer unmittelbaren Nähe statt, die die Aufmerksamkeit auf sich zogen. 1935 kam die Nation zusammen, um das Silberne Jubiläum von Georg V. zu begehen, zu dem sich meine Eltern extra eine Gedächtnis-Porzellantasse kauften, die sie ihrer Sammlung royaler Memorabilia hinzufügten. Die Stadtverwaltung hatte eine Feier in der Riddlesden Hall organisiert, mit Tee, Kuchen und einem Übermaß an Dekorationen. Kurz danach, im Januar 1936, verstarb der König im Alter von 70 Jahren. Ich erinnere mich an sein Ableben, aber nicht an die Beerdigung, abgesehen von der Tatsache, dass ich an dem Tag nicht arbeiten musste und mich mit Billy in die Moore aufmachte. Am Ende des Jahres fand ein weiterer Einschnitt statt, denn Edward VIII. verzichtete auf den Thron, da er die amerikanische Schauspielerin und zugleich auch noch geschiedene Wallis Simpson liebte. Das stellte eine höchst unpopuläre Entscheidung dar, und es gab zahlreiche Diskussionen darüber, allerdings keinerlei Mitgefühl. Die vorherrschende Meinung lautete, er sei selbstsüchtig und illoyal, er hätte bleiben und seiner Verpflichtung nachkommen müssen. Doch – wie so oft im Leben – hatte alles letztendlich einen Grund, denn Edward war nicht sonderlich für so eine Aufgabe geeignet und hatte bereits eine ausgeprägte Neigung für die Nazis entwickelt, die ihre Macht erheblich ausbauten. Edwards stotternder Bruder [George VI.] war eine angenehme Frohnatur, wollte aber zuerst nicht König werden. Er schlug sich mit Hilfe seiner Frau jedoch ganz ordentlich. Hätte Edward VIII. nicht auf den Thron verzichtet, hätten wie keine Queen Elizabeth II. bekommen, die beste Monarchin, die unser Land je gehabt hat.

      Obwohl die Nachrichten aus Deutschland immer schlimmer wurden und deutsche Truppen 1938 in Österreich einmarschierten – was man als den „Anschluss“ an das Reich bezeichnete –, nahm mich Onkel Arthur mit zu meinem ersten Auslandsurlaub. Es ging in die Schweiz, nur wenige Hundert Kilometer von den Nazis in Salzburg entfernt. Alle verspürten ein beklemmendes Gefühl, da die Deutschen Teile von Europa an sich rissen, aber niemand schlug einen Abbruch der Unternehmung vor, was ein eindeutiger Beleg dafür war, wie sehr wir die Gefahr unterschätzen. Arthur und ich reisten mit dem Schiff und dann der Bahn zur mittelalterlich geprägten Stadt Luzern und überquerten den Luzernsee, um uns das Denkmal des Schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell in Altdorf anzusehen. Wir besuchten einen durch das Eis gefrästen Tunnel unter dem Rhônegletscher und wanderten durch die Aareschlucht mit ihren spektakulären Bergpässen. Die Reise war für mich ein ganz besonderes Ereignis und öffnete mir die Augen für eine Welt abseits von Großbritannien. Außerdem liebte ich die gemeinsame Zeit mit Arthur, denn er zeigt sich durch und durch freundlich und zuvorkommend. Nicht ein einziges Mal hatte ich Angst, dass uns etwas in Europa zustoßen konnte, doch als wir schließlich nach Riddlesden zurückkehrten, hörte ich, wie Arthur meiner Mutter gestand: „Ich habe mir die ganze Zeit über Sorgen gemacht.“ Sie hatten sich mit demselben Gefühl herumgeplagt, wie ich unschwer an ihrem Gesichtsausdruck ablesen konnte.

      Durch den sich bedrohlich abzeichnenden Krieg in