Michel Palzfinger, ein dubioser Mensch, auf der Flucht
Weitere historische Persönlichkeiten:
Diverse Herzöge und Fürsten der Thüringer Länder
Alle im Roman vorkommenden Personen sind rein fiktiv. Sollte es zufällige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen geben, so ist das nicht beabsichtigt.
Im Herzen Deutschlands liegt ein ausgedehntes Ländergebiet, das gesegnete Fluren, blühende Städte, mäandrische Flüsse, ein hohes, höchst romantisches Waldgebirge umfasst und große, geschichtliche Erinnerungen bewahrt. Vor alten Zeiten war dieses Ländergebiet ein Königreich und hieß Thüringen. Sein Königtum versank in den Fluten des Zeitenstroms, das Land ward geteilt und zerrissen, es wurde vieler Herren Länder daraus, aber der alte Name blieb und lebt unaustilgbar fort.
Ludwig Bechstein
Thüringen ist und bleibt … mir der liebste Strich in Deutschland. Es ist so etwas Heimisches, Befreundetes in dem Boden; wie ein alter herzlicher Jugendfreund heißt er den Wandrer willkommen. Wenn man durch die freudenleere Leipziger Fläche sich müde und matt hindurchgearbeitet hat, dann empfängt den Pilger das freundliche Land mit seinen tausendfach wechselnden Reizen. Die Natur entfaltet sich mit jedem Schritt immer reicher, kühner, üppiger. Ich sagte Dir schon, die Bäume bekämen ein ganz andres Grün, so wie man Thüringens Boden betritt. Herrliche Berge krönen das Land mit unverwüstlichen Wäldern; romantische Gründe laden zu fröhlichem Lebensgenuss; kühne gigantische Felsen predigen mit ewiger Begeisterung die Allmacht der Natur und enthüllen auf kolossalen Blättern die urälteste Geschichte der Erde und das tiefe Wunder ihrer ewigen Metamorphose.
Über dem ganzen Lande schwebt der Geist der Vorzeit noch mit hörbarem Flügelschlag und mit prophetischen Stimmen; das Werk der Gewaltigen ist nicht dahin, in himmelanstrebende Bäume und Felsen ist es aufgegangen, aus den schauervollen Ruinen redet noch Heldenkraft und Ritterliebe in vernehmlichen Tönen. Manche Quadratmeile Thüringer Boden ist mehr wert, ist denkwürdiger, als die ganze Mark Brandenburg samt Pommerland.
Friedrich Gottlob Wetzel
Prolog
Rudolstadt
Montag, 27. November 2006
Das Wochenende war viel zu schnell vergangen. Der Mann, der sich gerade vor dem Spiegel kämmte, hatte einen flüchtigen Blick über den Spiegel nach hinten geworfen. Da lag sie, schön wie von Gott geschaffen. Weiße Haut, samtig weich, die blonden Haare wie eine Aureole um den Kopf, die Augen, die sonst immer etwas skeptisch blickten, waren noch geschlossen.
Seufzend riss er sich von dem friedlichen Bild los. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Noch zwei Stunden bis zum Wochenbeginn. Um neun Uhr wurde er bereits zu einem ersten Termin erwartet. Oben auf dem Schloss. So nannte er kurz seine Arbeitsstätte.
Einfach das Schloss.
Es war ja auch wirklich ein Schloss, und was für eins. Eines der größten in Thüringen. Wenn man noch dazu wusste, dass die Erbauer dieses Monstrums gerade mal über ein Ländchen verfügten, nicht größer als ein Drittel Luxemburgs, dann kam man schon ins Grübeln.
Heutzutage, da war er sich ganz sicher, wäre so ein gewaltiger Profanbau unmöglich. Die Prioritäten hatten sich gewandelt. Es gab neue Renommierstücke, um zu punkten. Superschnelle Autobahnen, Flughäfen, gewagte Brückenkonstruktionen, naja, alles eben immer dem Funktionalen unterworfen.
Ein Blick nach draußen genügte, um die Stimmung zu dämpfen. Strömender Novemberregen hatte seit zwei Wochen die gesamte Natur mit seinen Wassermassen gepiesackt. Die Saale war zu einem schmutzig braunen Strom angeschwollen. Nichts erinnerte bei ihrem Anblick mehr an den klaren, friedlichen Fluss des letzten Sommers. Überall waren riesige Pfützen entstanden. Das Erdreich war wasserdurchtränkt, gesättigt von den Regenmassen, konnte kein Wasser mehr aufnehmen. Auch die Straßen waren zu glitschigen Schleuderbahnen geworden. Die Nachttemperaturen lagen manchmal schon unter Null.
Der Weg hinauf zum Schloss, eigentlich eine nette Fitnessübung, mutierte zu einem Schlammparcours. Sollte er wirklich?
Sein Haus lag direkt am Fuß des Schlossbergs. Normalerweise lief er den kleinen Weg mit den eingebauten Treppen täglich hinauf. Es waren nur fünf Minuten. Er sah auf seine frischgeputzten Schuhe und entschied sich, doch den Wagen zu nehmen. Das dauerte auch nicht länger, obwohl die Straße hinauf in ein paar großen Kurven weit ausholen musste.
Der Wagen parkte glücklicherweise direkt vorm Haus. Schnell war er im Wagen, steckte den Zündschlüssel ins Schloss und betätigte den Hebel für die Scheibenwischeranlage. Das Wasser lief in kleinen Sturzbächen vom Dach.
Der Montagmorgen hatte erst begonnen, war noch im trüben Dämmerlicht des Novembertags gefangen. Die Straßenlaternen verbreiteten ihr diffuses Licht, dass sich auf dem dunkel schimmernden Asphalt brach und helle Flecken erzeugte. Kaum eine Menschenseele war unterwegs. Die Stadt schlief noch.
Er mochte diese frühe Zeit, die blaue Stunde des Übergangs. Sie hatte etwas Magisches. Keine Nacht mehr, aber noch nicht Tag. Die Gedanken über die blaue Stunde sollten seine letzten normalen Gedanken sein. Gerade als er seinen Wagen auf dem weitläufigen Schlosshof parkte, löste sich ein dunkler Schatten von der lichtabgewandten Seite des Flügels.
Nur wenige Sekunden brauchte der Schatten, bis er dem Mann, der umständlich seinen Mantel und Regenschirm aus dem Wagen holte, präzise eine Injektionsspritze in den Hals rammte. Die Spritze war mit nichts gefüllt.
Es war Luft, was er dem Mann mit großer Kraft in die Halsschlagader injizierte. Die Kanüle war dünn, unter 0,6 Millimeter, das spürte man kaum. Ein winziger Schmerz nur. So schnell er die Injektion gesetzt hatte, so schnell zog er die Nadel auch wieder heraus. Es gab nicht mal einen Blutstropfen, der an der winzig kleinen Eintrittswunde austreten konnte. Der Kanal war einfach zu klein.
Der soeben noch vital wirkende Mann wandte sich um. Der Schatten verschwand wieder im diffusen Licht der Laternen, wurde eins mit der Fassade.
Am Fenster des beleuchteten Nordflügels waren für einen kurzen Moment die Silhouetten zweier Männer zu sehen, die den Vorfall beobachteten.
Etwas war geschehen.
Er spürte es.
Sein Herz, sein Herz …, es begann unruhig zu schlagen. Irgendetwas bewegte sich in seinem Inneren auf das unruhig schlagende Herz zu. Als ob es ahnte, dass es damit nicht fertig werden würde. Es waren fünfzehn Milliliter Luft, komprimiert in kleinen Bläschen, die sich ihren Weg durch die Blutbahnen suchten.
Nach wenigen Sekunden brach der Mann einfach zusammen. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen. Es sah aus wie ein natürlicher Schwächeanfall. Noch eine ganze Stunde würde vergehen, bis der Mann gefunden wurde.
Zu spät für Wiederbelebungsmaßnahmen. Seine Körpertemperatur war bei dem kühlen Novemberwetter bereits zu weit abgesunken. Das Blut kam zum Stillstand, keine Pumpe war mehr da, dass es in die entlegensten Winkel seines Körpers schickte. Der Mann war tot.
Ankunft
Määi schätze onse Geest sähr hooch, doch Hüts unn Broate höcher