Nixentod. Thomas L. Viernau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas L. Viernau
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967525137
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       ein Maulwurf seinen Haufen direkt an der Hausmauer auswirft,

       auf dem Grab eines nahen Angehörigen ein Maulwurf gräbt,

       man nachts von schlechten Zähnen träumt,

       nachts weiße Wäsche auf der Leine hängen geblieben ist,

       wenn zwei Messer gekreuzt auf dem Tische liegen.

      

      Freitag, 30. Dezember 2005

      Berlin-Wedding

      Wieder hatten sie gestritten. Immer machte ihr die Mutter Vorwürfe. Jetzt schon wieder! Als ob sie sich dauernd in ihr Leben einmischen dürfe. Jedes Mal begann sie mit dieser weinerlichen Stimme und dem vorwurfsvollen Blick auf sie einzureden.

      Und sie wusste, dass sie davon nur noch eigensinniger wurde und alles ignorierte. Ihr ganzes Leben lief dieser Ritus nach demselben Muster ab. Mutter begann mit einem tiefen Seufzer ihr Lamento. Karolin hatte diesen Seufzer innerlich schon so oft verflucht und sich vorgestellt, ihrer Mutter einen Knebel in den Mund zu stecken, damit sie endlich schwieg.

      Karolin wusste, dass ihre Mutter eine schwache Frau war, total überfordert mit der Aufgabe, eine große Familie zu organisieren und zu leiten.

      Der Vater war nie da. Der musste das Geld heranschaffen, was für den Hausbau und den Unterhalt der fünf Töchter benötigt wurde. Er war ständig unterwegs, von Baustelle zu Baustelle. Manchmal kam er nur einmal im Monat nach Hause, manchmal, und das war selten, jedes Wochenende. Je nach dem, wie weit seine Baustelle vom Wohnort entfernt war.

      Und wenn er dann da war, trank er. Mutter schloss sich dann in ihrem Zimmer ein, bis er wieder verschwunden war. Manchmal tat sie Karolin leid. Aber dann war da wieder dieser unterschwellige Hass. Sie sehnte sich so nach Normalität, bekam aber immer mehr Chaos.

      Ihre vier Schwestern waren da irgendwie immun. Sie waren ja auch schon viel älter und verkrümelten sich, wenn dicke Luft war. Sie musste als Nesthäkchen dableiben und bekam die ganzen Spannungen natürlich mit.

      Und jetzt waren Mutter und sie wieder eine Schicksalsgemeinschaft. Lange Zeit hatte Karolin ihre Mutter aus den Augen verloren gehabt. Die hatte nach der Flucht aus dem Hause wieder geheiratet. Aber auch diese Ehe hielt nicht lange. Wahrscheinlich lag es doch an ihrem etwas labilen Charakter.

      Plötzlich war Karolin einfach bei ihr aufgetaucht. Nachdem auch ihr Versuch, eine Ehe zu führen, schon nach nur zwei Monaten gescheitert war, musste sie weg aus dieser heimeligen Welt in Bayern.

      Onkel Georg gab ihr den Tipp, nach Berlin zu gehen. Dort würde sie auch ihre Mutter wiedersehen, die ihr vorerst unter die Arme greifen könne. Aus dem Provisorium war dann ein Dauerzustand geworden. Karolin teilte sich mit ihrer Mutter die Wohnung.

      Jeder hatte zwei Zimmer, dazu eine gemeinsame Küche und ein gemeinsames Bad. Man ging sich so gut es ging aus dem Weg. Mutter ignorierte die Männerbekanntschaften von Karolin, diese war dafür ein dankbarer Kaffeekränzchen-Partner.

      Dieses Ritual, in der kleinen Küche Kaffee zu schlürfen und dazu etwas Selbstgebackenes zu knabbern, war lebenswichtig geworden für sie. Wenn Karolin einmal den Zeitpunkt des Kaffeekränzchens verpasst hatte, war sie vollkommen niedergeschlagen und verzog sich für den Rest des Tages in ihr Schlafzimmer.

      Karolin wiederum bekam jedes Mal schlechte Laune, wenn Mutter wieder mal »spann«. So nannte sie deren Zustand selbst gewählter Isolation.

      Seitdem Karolin die Nachbarswohnung bezogen hatte, war das Verhältnis zu ihrer Mutter noch komplizierter geworden. Die lauerte ihr jetzt regelrecht auf, kam zu den unpassenden Zeiten einfach so vorbei, um irgendwelche banalen Dinge zu besprechen. Sie hatte Verlassensängste. Karolin fühlte sich regelrecht verfolgt von ihr. Jedes Mal, wenn sie sie darauf ansprach, kamen wieder dieser Seufzer und der mitleiderregende Blick.

      Heute war wieder so ein Tag, an dem sie Mutter am liebsten gar nicht begegnet wäre. Sie wollte aus dem Haus, weg von Arvid. Draußen stürmte es. Schneematsch und Regen kamen gleichzeitig herunter.

      Der Himmel war dunkelgrau, und man konnte vielleicht zehn Meter weit sehen. Genauso hatte sich Karolin das Wetter gewünscht für ihren theatralischen Auftritt. Da stand die Mutter an der Tür ... Ausweichen ging jetzt nicht, also kam sie mit in ihre Küche. Dort stand schon ein Pott Kaffee für sie bereit.

      »Kindchen, was hast du wieder angestellt?«

      Wieder diese weinerliche Stimme! Karolin schwieg. Dann antwortete sie: »Mama, lass mich in Ruh mit deinen nervigen Fragen.«

      Sie wollte es nicht so barsch sagen, war aber erstaunt, wie ruppig ihre Stimme klang.

      »Ach, Kindchen ...«

      Karolin äffte diese beiden Worte nach, zunehmend gereizt. Die Mutter schwieg betreten. Jetzt war die Zeit gekommen, endlich auch hier einmal reinen Tisch zu machen. All die Wut, die Karolin über Jahre in sich angestaut hatte, brach nun aus ihr heraus.

      »Immer hast du mir in mein Leben gepfuscht. Ständig dein Bemuttern und Getue! Es reicht ... Ich hab’s satt. Lass mich einfach in Ruhe! Ich will mir auch nicht länger deine schwachsinnigen Kommentare anhören, was mein Privatleben betrifft. Vielleicht denkst du mal nach, warum ich so geworden bin?«

      Für einen langen Moment herrschte betretenes Schweigen. Nur das Pfeifen des Windes in den Hausecken war zu vernehmen.

      Der Mutter ging durch den Kopf, was für ein Problemkind Karolin stets war. Sie war eigentlich nicht erwünscht gewesen. Als sie die Schwangerschaft bemerkt hatte, war es schon zu spät. Und Abtreiben im konservativen Bayern der Sechziger Jahre war undenkbar. Zwischen ihr und ihrem Mann war der letzte Funken Liebe schon längst zertreten, als es passierte.

      Sie hatte sich gewehrt, aber er war stärker ...

      Anschließend lag sie den Rest der Nacht wach und weinte, während er seinen Rausch ausschlief. Von diesem Zeitpunkt an hatten sie getrennte Schlafzimmer. Sie wollte nicht mehr mit so einem Tier ihr Bett teilen. Aber diese Nacht hatte Folgen.

      Karolin kam zur Welt. Und von Stund an machte sie Probleme. Wie ein kleiner bösartiger Dämon, der in dem Mädchen zu leben schien, schlich sich der Unfriede in ihr Leben. Die Kleine war ein regelrechter Kobold. Im Gegensatz zu ihren vier größeren Geschwistern, die allesamt harmonisch miteinander umgingen und auch sonst schon ziemlich selbständig waren, schien sie es regelrecht auf Streit und Aufruhr abgesehen zu haben. Keiner kam klar mit ihr.

      Die größeren Schwestern waren selten dazu zu bewegen, die Kleine mit in ihre Spiele einzubeziehen. Sie machte ihnen alles immer nur kaputt, riss den Püppchen die Arme aus oder zertrampelte einfach die mühsam aufgebaute Puppenstube.

      Selbst die Großmutter, zu der alle gern gingen, war mit dem Mädchen überfordert. Die Oma galt als grundgütige Frau, die den Kindern Märchen vorlas, ihnen ein Kasperletheater bastelte und sie in die nahen Berge zum Wandern mitnahm. Karolin schaffte es aber, dass die alte Frau ausrastete und ihr eine Tracht Prügel verabreichte. Etwas, was sie bei keinem ihrer anderen Enkelkinder jemals auch nur ansatzweise gemacht hatte. Karolin hatte die Katze der Großmutter in einen Schrank gesperrt und sie einfach darin vergessen. Als man nach langer Suche endlich das arme Tier gefunden hatte, war es jämmerlich erstickt und lag mit ausgestreckten Pfötchen auf dem Boden des Schrankes.

      Später dann in der Schule ging der Stress mit Karolin weiter. Sie musste sieben Mal in acht Jahren die Schule wechseln. Immer galt sie als verhaltensauffällig.

      Einmal hatte sie die Lehrerin mit ihren spitzen Fingernägeln so zerkratzt, dass die Polizei gekommen war. Ein anderes Mal provozierte sie, indem sie vor versammelter Klasse in den Schulraum pinkelte, oder sie schwänzte die Schule und verschwand einfach so für ein paar Tage. Ihrer Mutter erzählte sie stets neue Lügengeschichten. Das Klassenzimmer werde renoviert oder es sei Wandertag und sie fühle sich nicht wohl und bräuchte daher nicht mit.

      Als sie vierzehn wurde, wusste sich die Mutter nicht mehr anders zu helfen und meldete