Nixentod. Thomas L. Viernau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas L. Viernau
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967525137
Скачать книгу
Karolin und Brakel, natürlich erfolglos, resigniert fuhr er den Computer wieder herunter und schaltete ihn wieder aus.

      Im nächsten Zimmer, das direkt gegenüberlag, waren ein großes Doppelbett und ein Schrank, dessen Türen geöffnet waren. Wahllos stapelten sich diverse Kleidungsstücke in den Fächern.

      Auf dem Boden verteilt sah Linthdorf gebrauchte Unterwäsche und Papiertaschentücher, die zerknüllt herumlagen. Auch hier roch es durchdringend nach irgendwelchen schwer bestimmbaren Essenzen und ätherischen Ölen. Die Wände waren kahl, allerdings mussten dort mal Bilder gehangen haben.

      Helle Vierrecke zeichneten sich da ab, wo früher die Bilder waren. Die Vorhänge waren zugezogen. Linthdorf lupfte den Vorhang und spähte durchs Fenster auf die Straße. Unten war wenig Verkehr. Ein paar dunkle Gestalten hockten vor dem Musikgeschäft mit der eigenartigen Gruseldekoration und tranken aus großen Flaschen.

      Linthdorf zog sich zurück und verließ das Schlafzimmer. Der nächste Raum war wohl das Wohnzimmer. Ein großer, runder Tisch stand in der Mitte, Bücherregale ringsherum, zwei Korbsessel am Fenster, dazwischen eine kleine Konsole mit einer Musikanlage darauf. Ein Plattenspieler war aufgeklappt, eine schwarze Vinylscheibe lag noch auf, schon eingestaubt. Linthdorf suchte die Hülle. »Pogo Music« fand er unter dem linken Korbsessel. Die Platte war in den frühen Achtzigern gepresst worden. Er erinnerte sich schwach an die lauten Klänge der damaligen Zeit. Auch hier waren alle Bilder von den Wänden entfernt worden.

      Ein Durchgang führte zu einem weiteren Zimmer, in dem ein großes Sofa stand, ein kleiner Glastisch und ein Fernseher. Auf dem Glastisch standen diverse Gläser, deren Inhalt schon lange verdunstet war und eine Schale mit Nüssen, viele geknackte Schalenteile lagen herum. Etwas klebrig war die Glasplatte, unter dem Tisch lagen diverse Damenschuhe mit hohen Absätzen. Bei zweien waren die Absätze abgebrochen. Auf dem Sofa waren mehrere kleine Kissen aufgestapelt. Alle schon etwas zerschlissen, aber wahrscheinlich selbst gemacht. Auch hier fehlten wieder die Bilder an den Wänden. Ein kleiner Teppich war mitten im Raum als dunkles Rechteck auf den abgezogenen Dielen zu sehen. Linthdorf vermied es, seine Füße darauf zu setzen.

      Die Wohnung machte nicht den Eindruck, als ob sie verlassen worden war, und dennoch ging etwas zutiefst Trostloses von dieser stillen Welt aus. Ob das nun an den fehlenden Bildern lag oder an den von Staub bedeckten Dingen des Alltags oder an den vertrockneten Grünpflanzen, Linthdorf konnte es nicht genauer eingrenzen.

      Er spürte es körperlich, dass hier etwas nicht stimmig war. Für eine Person allein war die Wohnung einfach zu groß, aber nichts deutete auf das Vorhandensein weiterer Menschen hin. Er spürte, dass hier noch die Schatten anderer Mitbewohner geblieben waren. Aber er schaffte es nicht, diese Schatten sichtbar zu machen.

      Aus dem Wohnzimmer ging er wieder hinaus in den Flur. Noch zwei Türen waren zu öffnen. Wieder ein Raum, der allerdings fast vollkommen leer war. Eine Liege mit Blumenmuster stand dort quer inmitten des Zimmers, leere Regale und ein Schrank, in dem nur ein alter Teddybär lag.

      Von der Decke hing hier eine nackte Glühbirne. Die Vorhänge waren zugezogen, es roch muffig nach abgestandener Luft. Wozu dieser Raum einst genutzt wurde, ließ sich schwer nachvollziehen. Als Gästezimmer war es zu spartanisch eingerichtet und für eine Abstellkammer einfach zu groß.

      Linthdorf hob den Teddy auf. Es war noch einer der altmodischen Plüschbären mit der klassischen Teddybärenphysiognomie. Er hatte etwas Unschuldiges, blickte mit seinen Knöpfchenaugen zufrieden und stumm. Sein Bauch war rund und er machte das typische Geräusch, wenn man ihn bewegte. Moderne Familien kauften ihren Kindern grellfarbene Plüschmonster aus den aktuellen Disneyfilmen oder irgendwelche Softgummi-Saurier. Altmodische Teddys gehörten mehr in Antiquitätenläden oder in Glasvitrinen älterer Damen. Seltsam, dass ein solcher Bär hier so achtlos herumlag.

      Die letzte Tür. Linthdorf öffnete sie vorsichtig. Es war die Küche. Ausgestreckt auf dem Boden lagen zwei Katzenkadaver. Wahrscheinlich jämmerlich verhungert. Die zerfetzten Reste der Katzennahrungstüten waren verteilt auf dem Küchenboden. Im Regal standen fein säuberlich aufgestapelt flache Dosen mit Katzenfutter, welche allerdings für die beiden Tiere unerreichbar geblieben waren. Sie konnten den Dosenöffner nicht bedienen.

      Linthdorf atmete tief durch und zwang sich, die beiden Kadaver anzusehen. Sie schienen dehydriert zu sein, machten den Eindruck beginnender Mumifizierung. Im Waschbecken türmte sich Geschirr mit eingetrockneten Spuren diverser Lebensmittel. Die verzweifelten Tiere hatten versucht, essbare Reste noch abzuschlecken. Auch hier fehlten die Bilder an der Wand. Nur eine Uhr hing einsam über der Spüle. Auch sie war tot, stehen geblieben um zwölf Uhr.

      Von der Küche ging eine Tür ins Bad. Der Spiegelschrank beherbergte eine Sammlung kleiner Flakons mit mehr oder weniger eigenartig riechenden Substanzen. Das Schubfach unterm Spiegelschrank stand offen. Darin eine Plastiktüte mit etwas dunklem Gekrümel. Linthdorf schnupperte, eindeutig Marihuana. Im Bericht des Gerichtsmediziners wurde explizit darauf hingewiesen. Karolin Brakel war Kifferin.

      Nachdenklich zog er sich zurück, sorgsam darauf achtend, nichts zu verstellen oder etwas zu bewegen. Die Wohnung gab ihm Rätsel auf.

      Lebte Karolin Brakel hier allein? Unwahrscheinlich. Aber nichts deutete auf eine weitere Person hin.

      Wo waren die Bilder, die einst die Wände zierten?

      Was hatte es mit dem fast leeren Zimmer auf sich, wo nur ein Teddybär noch residierte?

      Linthdorf machte sich auf den Heimweg, draußen regnete es. Er schlug seinen Mantelkragen hoch und zog sich den Hut tief ins Gesicht, eilte zum Auto und fuhr ins Dunkel der Nacht.

      Berlin-Friedrichshain

      Samstag, 21. Januar 2006

      Wochenende. Draußen war der strenge Frost in Schmuddelwetter übergegangen. Es war trübgrau und nieselte. Linthdorf war wie üblich schon um halb acht wach geworden, saß in der kleinen Küche, lauschte den Klängen vom »Berliner Rundfunk«, der ein etwas nerviges Gewinnspiel zwischen den Musiktiteln seinen morgendlichen Hörern zumutete.

      Vor ihm stand ein großer Becher mit starkem Kaffee auf dem Tisch. Ein Glas Pflaumenmus und eine Packung mit acht einzeln verpackten Würfeln Frischkäse waren etwas achtlos auf dem karierten Tischtuch verteilt. Diese Momente der Besinnung waren in seinem Leben rar geworden.

      Er flüchtete sich in seine Arbeit und versuchte einen Sinn in seinem Tun zu finden, nachdem seine private Welt nun schon wiederholt Schiffbruch erlitten hatte. Die Trümmer seiner familiären Welt bekam er alle vierzehn Tage zu sehen.

      Das waren seine beiden Söhne, die inzwischen auch schon recht flügge waren und die kurz bemessene Zeit mit ihm nutzten, einmal richtig auszugehen in ein Restaurant und danach noch einen Kinofilm zu sehen. Linthdorf genoss diese kurze Zeit familiärer Vertrautheit. Er war eigentlich ein Familienmensch, litt immer noch unter der Trennung von seiner Frau. Keine neue Kandidatin hatte es bisher geschafft, den Platz in seinem Herzen einzunehmen, den Corinna einst innehatte. Privat kam er sich seither nur als halber Mensch vor. Die ersten Monate nach der Trennung waren eine einzige Hölle für ihn. Er betäubte sich mit Überstunden und einem Arbeitswahn, der ihn fast umbrachte.

      Seine sowieso nur knapp bemessene Schlafenszeit wurde auf drei bis vier Stunden verkürzt. Oft lag er nächtelang wach, grübelte über sein Schicksal und führte stille Gespräche mit Corinna, die wie eine Traumfigur immer mehr verblasste und feenhafte Züge annahm.

      Anfangs setzte er sich in solch schlaflosen Nächten ans Steuer seines damals noch neuen Dienstwagens und kurvte durch die Straßen Berlins, bis es wieder hell wurde. Sein Benzinverbrauch stieg und sein Nervenkostüm wurde immer dünner.

      Er lief tagelang gereizt herum, selbst gute Freunde machten einen Bogen um ihn.

      Inzwischen war wieder etwas Normalität in den Alltag gekommen. Diese Normalität war allerdings eine sehr fragile, brüchige Sache. Kleinste Dinge reichten oft aus, um Linthdorfs Lebensgefüge aus der Balance zu bringen. Die Folge waren erneut schlaflose Nächte.

      Linthdorf hatte sich mit dieser Situation arrangiert. Die Intimität der Dunkelheit wurde ihm eine Schutzhülle, in der er