Nirvana. Michael Azerrad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Azerrad
Издательство: Bookwire
Серия: Rockbiographien
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454281
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also blieben mir die Leute vom Leib.“

      Opiate wie Percodan verschafften Kurt Linderung; wenn er Opiate nahm, hasste er die Menschheit nicht mehr so sehr. „Ich bekam ein bisschen Gefühl für sie und konnte zumindest ein Stück hinter ihre Fassaden blicken und sie als wirkliche Menschen betrachten“, sagte er. „Vielleicht hatten sie eine verpfuschte Kindheit, oder ihre Umwelt hatte sie so gemacht. Die Opiate nahmen einen Teil der Feindseligkeit weg. Das war nötig, weil ich davon müde war, andauernd nur zu hassen. Sie erlaubten mir einige Tage Seelenfrieden.“

      In der Zwischenzeit hatte Kurts und Erics Freundschaft zu bröckeln begonnen, vermutlich wegen ihrer musikalischen Rivalität. Die Gegensätze bauten sich immer mehr auf, bis Kurt, Eric und Steve Shillinger eines Abends – acht Monate, nachdem Kurt eingezogen war – von drei verschiedenen Partys heimkamen – alle waren ziemlich betrunken. Steve meinte, es wäre um ein Stück Pizza gegangen, Kurt glaubte, es wäre passiert, weil er schlafen und Eric fernsehen hatte wollen – egal, aus irgendeinem Grund brach ein Kampf zwischen Kurt und Eric aus. Kurt rief zwar mittendrin eine Zigarettenpause aus, aber die Schlägerei wurde dann im Hinterhof fortgesetzt. „Es war sogar Blut an den Wänden“, sagte Steve. „Ich möchte mich nicht festlegen, wer gewonnen hat – ich weiß nur, dass es sehr blutig und schlimm war.“

      Als es vorbei war, zog Kurt überstürzt aus. Schon am nächsten Tag zahlte er Steve Shillinger zehn Dollar dafür, dass er seine Sachen in Müllsäcke stopfte und sie zu Dale Crovers Haus brachte. Kurt blieb einige Tage bei Buzz Osborne und zog dann für kurze Zeit wieder zu Wendy.

      Mr. Shillinger bot Kurt an zurückzu kommen, aber Kurt lehnte ab und ging wieder unter die Brücke, wo er von Zeit zu Zeit Fische fing und sie verzehrte, bis ihm eines Tages jemand erklärte, dass sie giftig wären. Manchmal schliefer auch in einer Wohnung über dem Schönheitssalon von Chris’ Mutter. Er musste dort allerdings um sieben Uhr aufstehen und verschwinden, ehe sie zur Arbeit kam.

      Im Herbst 1986 brachte Kurt Wendy dazu, Geld für eine klapprige Hütte auszulegen, die nur einige hundert Meter von ihrem Haus entfernt stand. Sie war für nur hundert Dollar im Monat zu mieten, wahrscheinlich, weil vorne schon die Veranda abbröckelte. „Es war so ziemlich die unterste Kategorie von Haus“, erinnerte sich Kurt, aber es war zumindest seines. Es hatte zwei kleine Schlafzimmer und zwei kleine Wohnzimmer. Sein Mitbewohner wurde der Bassist der Melvins, Matt Lukin, ein gelernter Tischler. Lukin musste eine Menge tischlern, damit der Schuppen überhaupt bewohnbar wurde.

      Wie üblich spielte Hygiene keine große Rolle. Wer ein Bier trank, warf die Dose einfach auf den Boden. Und nachdem ziemlich viel gefeiert wurde, war der Boden bald mit Party-Abfällen bedeckt. Sie hatten keinen Kühlschrank, also verstauten sie das ganze Essen in einer ausgesteckten alten Gefriertruhe auf der hinteren Veranda. Sie kochten mit einem Toaster. Manchmal kam Wendy vorbei und brachte Essenspakete.

      Eines Tages kaufte Kurt sechs Schildkröten und brachte sie in einer Badewanne mitten im Wohnzimmer unter. Ein Terrarium, das mit der Wanne verbunden war, nahm fast den gesamten Rest des Raums ein. Lukin sorgte für die nötige Entwässerung, indem er ein Loch in den Boden bohrte, durch den das gesamte Hamburger-Fett-faulige-Schildkröten-Scheiße-Abwasser einfach abfließen konnte. Aber das Fundament war schon so verrottet, dass das Wasser sich bald wieder in den Fußboden sog. „Man muss wohl nicht eigens erwähnen, dass es ziemlich stank“, sagte Kurt.

      Kurt hatte eine besondere Vorliebe für Schildkröten. „Sie haben eine Anziehungskraft, die ich nur schwer beschreiben kann“, sagte er. „Schildkröten haben diese ,Scheiß-drauf-Einstellung – ,Ich bin eingesperrt, mir geht’s dreckig, ich hasse euch, und ich werde euch nicht unterhalten.‘“

      Außerdem gibt es noch den schützenden Panzer. „In Wahrheit hilft dieser Panzer nicht viel“, betonte Kurt. „Er ist Teil des Rückgrats und sehr empfindlich – wenn man auf den Panzer schlägt, tut es ihnen weh, er ist nicht die schützende Hülle, die jedermann darin sieht. Wenn sie auf den Rücken fallen, zerbricht er, und sie sterben. Es ist, als würde man sein Rückgrat außen am Körper tragen.“

      Kurt bekam einen Job als Hausmeister und Hilfskraft im Polynesian Hotel in Ocean Shores, einem knapp zwanzig Meilen von Aberdeen entfernten Erholungsgebiet. Wiederum bemühte er sich nicht gerade, seine Arbeit gut zu machen. Anstatt zu reinigen oder Reparaturen durchzuführen, ging er einfach in ein freies Zimmer, drehte den Fernseher an und machte ein Nickerchen.

      Kurt war immerauf der Suche nach einem billigen neuen High. „Damals hatte keiner von uns genug Geld für Kokain oder ähnliches Zeug“, erinnerte sich Lukin. „Viele waren auf Hustensirup und holten sich so ihren Rausch. Und ich erinnere mich an einen, der Aspirin in rauen Mengen aß und davon high wurde.“

      Viele der Kids in Aberdeen nahmen damals Acid, ganz zu schweigen vom ziemlich starken selbst angebauten Marijuana – es hatte den unerklärlichen Spitznamen „Affy Bud“. Lukin, Jesse Reed, Kurt und ein paar andere Kiffer saßen eines Abends herum und beklagten sich, wie öde die üblichen Highs langsam wurden. Plötzlich fielen Reed die Rasierschaumdosen ein, die Kurt begleiteten, seit die beiden zusammengewohnt hatten. Am Boden jeder Dose war ein kleines Ventil mit Treibgas. Wenn man das einatmete, hatte es eine ganz gute Wirkung. Die Hersteller änderten diese Konstruktion übrigens später, um den Missbrauch zu stoppen.

      Das Problem war, dass meistens der größte Teil des Gases verlorenging, also zeigte ihnen Reed eine Konstruktion mit einer leeren Toilettenpapierrolle, bei der man mit einem Schraubenzieher die Dichtung aufbrach und so das ganze Zeug wie mit einer Pfeife inhalieren konnte. Sie stürmten sofort den 7-Eleven-Supermarkt und kauften so viel Rasierschaum, wie sie nur bekommen konnten. Es gab kurz Panik, als alle davon plötzlich tiefere Stirnmen bekamen, aber das verflog bald wieder, und das High war sehr anständig. „Wir schimpften Kurt, dass er so viel Rasierschaum für seine Puppendekoration im Sommer verbraucht hatte – wir wären ordentlich high davon geworden!“, sagte Lukin.

      Und dann kam Kurt eines frühen Wintermorgens zu Wendys Haus. „Mom“, sagte er mit ängstlicher Stimme, „Ich habe meine Hand verloren. Ich habe mich verbrannt, sie ist einfach weg.“ Er brach in Tränen aus. Er hatte Pommes frites – sein Standardessen – gemacht und sich dabei mit dem heißen Fett schwer verbrannt. „Es war furchtbar“, sagte sie. „Die Hand war komplett verbrannt – es machte mich völlig krank, und ich musste zwei Mal täglich die Bandagen wechseln, und die verbrannte Haut – es war schrecklich.“

      Kurt war schon im Krankenhaus bei einem Arzt gewesen. Der hatte die Hand verbunden und ihm gesagt, dass er nie wieder Gitarre spielen würde. Aber Wendy brachte ihn zu einem Spezialisten, den sie von der Arbeit im Grays-Harbor-College-Betreuungsprogramm kannte. Ein paar Jahre später war nicht einmal mehr eine Narbe zu sehen.

      Während der Genesung blieb Kurt daheim und versuchte vergeblich, Gitarre zu spielen. Weil er keinerlei Arbeitseinkünfte hatte, musste er monatelang großteils von Reis leben. Manchmal leistete er sich ein gefrorenes Salisbury-Steak als Luxus. „Ich verhungerte fast in diesem Schweinestall“, sagte Kurt, „ich konnte nicht Gitarre spielen, und die Vermieterin kam jeden Tag und verlangte ihr Geld. Es war eine wirklich komische Szene.“ Bald wusste Kurt nicht mehr, wo er wohnen sollte.

      Er wollte unbedingt zusammen mit Chris eine Band aufmachen, aber Chris schien nicht sehr interessiert. „Ich sagte immer ganz deutlich, dass ich jemanden suchte, mit dem ich in einer Band spielen konnte“, sagte Kurt, „aber Chris antwortete nie etwas darauf.“ Kurt borgte Chris sogar eine Woche lang seinen Verstärker. Aber Chris reagierte nicht darauf und bat Kurt bald, den Verstärker wieder abzuholen. „Er klang wirklich gut“, sagte Chris, „aber ich gab ihn ihm trotzdem zurück.“

      Als Nächstes gab Kurt als deutlichen Wink mit dem Zaunpfahl Chris eine Kopie des Fecal-Matter-Demobandes, aber auch darauf reagierte Chris nicht. Erst ein ganzes Jahr, nachdem die Aufnahme entstanden war, und drei Jahre nach ihrer ersten Begegnung sagte Chris zu Kurt: „Ich habe mir gerade deine Kassette angehört. Sie ist ziemlich gut. Wir sollten eine Band machen.“

      Kurt besaß eine Gitarre und einen Peavey-Verstärker. Chris hatte früher selbst einen Verstärker gehabt, aber er hatte ihn Matt Lukin dafür geben müssen, dass er ihn nach einer Rauferei mit ein paar Rednecks auf dem Parkplatz des 7-Eleven von