Nirvana. Michael Azerrad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Azerrad
Издательство: Bookwire
Серия: Rockbiographien
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454281
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dieselbe Art Musik interessierten – alles von AC/DC über Aerosmith und Led Zeppelin bis zu Punkrock. Auf Loftin wirkte Kurt „wie ein gewöhnlicher netter Junge mit Blue Jeans und ordentlichem Haarschnitt.“ Es überraschte ihn sehr, dass Kurt Musik machte. „Er war so sanftmütig und still“, sagte Loftin. „Sehr angenehm, sehr ernsthaft.“ Sie wurden gute Freunde.

      Kurt fiel zunächst nicht auf, dass Loftin homosexuell war. Loftin eröffnete es ihm sehr bald. „Er sagte: Ist schon gut, du bist noch immer mein Freund, ich liebe dich noch immer, kein Problem“, erinnerte sich Loftin. „Und wir umarmten uns.“

      Loft in übernachtete manchmal bei Kurt, und Wendy, ganz die „coole Mutter“, ließ ihnen im Haus freien Lauf, solange sie bis zum nächsten Morgen nicht wegfuhren. Einmal kam Wendy heim und erwischte sie beim Haschischrauchen. In einem sinnlosen Anfall, Kurt davon abzubringen, stopfte sie sich seinen ganzen Vorrat in den Mund, schluckte ihn und wurde davon völlig stoned. Außerdem wurde ihr sterbensübel. An ruhigeren Abenden blieben sie einfach in Kurts Zimmer, und Kurt brachte Loftin Led-Zeppelin-Riffs auf der Gitarre bei.

      Aber es war schwieriger, sich mit jemandem sehen zu lassen, der seine Homosexualität offen zugab, als Kurt geglaubt hatte. „Die Leute starrten mich noch seltsamer an als gewöhnlich.“ Man begann, ihn zu schikanieren. Fast immer passierte es in der Turnstunde. Wenn alle umgezogen waren, war es unausweichlich, dass irgendwer Kurt einen Schwulen nannte und ihn gegen einen Garderobekasten stieß. „Sie fühlten sich wohl bedroht, weil sie nackt waren und mich für homosexuell hielten“, sagte Kurt. „Sie hatten also zwei Möglichkeiten: ihre Schwänze zu verstecken oder mich zu prügeln. Oder beides.“

      Das Leben in der Highschool wurde immer härter für Kurt. Die Sportsknaben verfolgten ihn oft am Heimweg und rannten hinter ihm her. Manchmal erwischten sie ihn. Jeden Tag nach der Schule“, sagte Kurt, „drückte mich ein bestimmter Kerl in den Schnee und setzte sich auf meinen Kopf.“ „Als Folge davon wurde ich langsam stolz darauf, homosexuell zu sein, obwohl ich es gar nicht war. Der Konflikt machte mir wirklich Spaß. Es war sehr aufregend, weil ich ganz nah an mein wirkliches Selbst herankam. Ich war ein besonderer Ausgeflippter. Ich war nicht ganz der Punkrocker, der ich sein wollte, aber ich war immerhin besser als der Durchschnitts-Freak.“

      Letztlich wurde der Druck aber doch zu groß, und eines Tages kam Kurt sichtlich niedergeschlagen zu Loftin und teilte ihm mit, dass er die Freundschaft beenden müsste. Es hatte einfach zu viele Erniedrigungen verursacht, der „Freund eines Schwulen“ zu sein. Loftin verstand, und ihre Wege trennten sich.

      Kurt hatte im neunten Jahrgang begonnen, Haschisch zu rauchen, und rauchte bis zum Abschlussjahr täglich. Im letzten Jahr wartete er damit immer bis zur Dunkelheit. „Ich wollte meine ohnehin vorhandene Paranoia nicht noch durch Pot verstärken“, sagte er darüber.

      Er wurde in der Schule immer schlechter und begann mit dem Schwänzen einzelner Fächer. Der dauernde Schulwechsel war nur ein Teil des Problems. „Der Hauptgrund war, dass ich die Lehrer so sehr hasste. Es gab diesen religiösen Fanatiker, ein apokalyptischer Rassist. Er unterrichtete Sozialkunde und tat nichts, außer unsere Zeit damit zu verschwenden, seine Offenbarungen in die Geschichte hineinzuschmuggeln. Er war ein Verfechter des kalten Kriegs der Achtziger – die Russen kommen, so ein Verbreiter der Reagan-Mentalität. Ein Hurensohn. Ich wollte ihn andauernd nur umbringen. Ich stellte mir vor, wie ich ihn vor der versammelten Schulklasse umbringen würde. Der Rest der Klasse kaufte seine ganzen Redensarten, sie schluckten den ganzen Mist. Es war unglaublich, dass so viele das einfach hinnahmen.“

      Kurt probte auch daheim den Aufstand. „Er wollte zwar im Haus wohnen, aber nicht Teil der Familie sein“, sagte Wendy. „Er nörgelte über alles, was ich von ihm wollte, dabei war das gar nicht viel.“ Gleichzeitig räumte Wendy ein, dass ihre Geduld mit Kurt nicht sehr lang anhielt, weil sie auch mit Pats Trunksucht zu kämpfen hatte. Sie übertrug einen Teil ihrer Wut auf ihre Kinder.

      Einige Monate lang ging Kurt mit „einer Kifferin“, einer sehr hübschen jungen Frau namens Jackie. Nach Kurts Worten „hat sie mich nur gebraucht, bis ihr Freund wieder aus dem Gefängnis kam.“

      Eines Abends nahm Kurt Jackie mit hinauf in sein Zimmer. Er war knapp davor, seine Jungfräulichkeit zu verlieren. Sie hatten sich gerade ausgezogen, als plötzlich Wendy hereinplatzte, das Licht andrehte und zischte: „Raus mit der Schlampe!“ Kurt flüchtete zu einem Freund und blieb dort so lange, bis dessen Mutter anrief und sagte: „Wendy, ich habe das Gefühl, dein Sohn wohnt bei mir.“

      Kurt hörte mit dem Kiffen auf, „als Versuch, meinem Leben eine Wende zu geben“. Dann meldete sich Kurts Stiefmutter und wollte Kurt wieder zu sich holen. Don stellte die Bedingung, dass Kurt mit der Musik aufhören und aus seinem Leben etwas Sinnvolles machen musste, wenn er bei ihnen wohnen wollte. Irgendwie überredete er ihn, seine Gitarre zu versetzen und die Aufnahmsprüfung bei der Navy zu machen. Kurt erzielte beim Test eine hohe Punktezahl, und ein begeisterter örtlicher Rekrutierungsbeamter besuchte sie an zwei Abenden hintereinander. Am zweiten Abend, als sie kurz vor der Unterschrift standen, ging Kurt in sein Kellerzimmer, fand etwas Gras, rauchte es, ging wieder nach oben und sagte: „Nein danke.“ Dann packte er seine Sachen und verschwand. Er war insgesamt nur eine Woche dort gewesen. Die nächsten acht Jahre sollte er seinen Vater nicht sehen.

      Don sammelt alle greifbaren Zeitschriftenartikel über Kurt. Er hat ein großes Klebealbum und einen Schrank voller Andenken. „Alles, was ich über Kurt weiß“, sagte Don Cobain, „weiß ich aus Zeitungen und Zeitschriften. Ich habe ihn so erst kennengelernt.“

      Wendy schickte Kurt zu dessen Freund Jesse Reed. Er sollte bei dessen Eltern, die Anhänger einer christlichen Sekte waren, wohnen. Kurt war pleite und bot einem örtlichen Dealer seine Gitarre zum Kauf an. Er ließ sie auf Vertrauensbasis in dessen Haus. Eine Woche darauf überlegte er es sich anders, aber der Dealer rückte sie nicht mehr heraus, also musste er monatelang ohne Gitarre auskommen, bis Reed und er sie dem Dealer wieder entwenden konnten.

      Kurt war nicht gerade der ideale Gast im Haus der Reeds. „Ich war ein schlechter Einfluß für Jesse“, sagte er. „Ich rauchte Pot und wollte nicht zur Schule gehen.“ Einmal sagte Kurt in einem langen Telefongespräch eine Menge beleidigender Dinge über Jesses Mutter und kam erst beim Aufhängen darauf, dass sie die ganze Zeit auf einem anderen Apparat mitgehört hatte. Das Fass lief über, als sie Kurt eines Tages aus dem Haus gesperrt hatte und er darauf das für ihn einzig Logische tat: Er trat die Tür ein. Kurt erzählte, dass Reeds Vater an die Decke gegangen war: „Kurt, wir haben uns wirklich bemüht, aus dir einen guten Staatsbürger zu machen, aber es funktioniert einfach nicht. Du bist für die Gesellschaft verloren. Also pack lieber deine Sachen zusammen und verschwinde.“ Mrs. Reed erklärte Wendy, Kurt würde Jesse auf den falschen Weg führen“.

      Ein spezielles Notprogramm für die Schule funktionierte ebenso wenig. Sechs Monate vor Schulabschluss wurde klar, dass Kurt zwei Jahre Versäumtes nachzuholen gehabt hätte. Sein Kunstlehrer Mr. Hunter hätte ihm sogar die Möglichkeit für ein Kunststipendium am College verschafft, trotzdem entschied er sich im Mai 1985, nur wenige Wochen vor Schulende, zum Ausstieg.

      Kurt hatte beschlossen, Musik zu seiner Lebensaufgabe zu machen, doch Wendy hielt das für Zeitverschwendung. „Ich sagte ihm, er sollte lieber ein vernünftiges Leben beginnen“, erzählte Wendy. „Wenn du die Schule schon abbrichst, kümmere dich um einen Job – von uns wirst du nicht ausgehalten.“

      Aber Kurt lebte weiterhin von seiner Mutter, bis Wendy eines Tages der Kragen platzte. „Ich sagte ihm: Wenn das nicht besser wird und du nicht bald Arbeit findest, werfe ich dich hinaus. Eines Tages wirst du heimkommen und dein ganzes Zeug in einer Schachtel verpackt finden!“ Und so war es auch. Eines Tages kam Kurt von einer Probe der Melvins heim und fand seine ganze Habe in Kartonschachteln im Speisezimmer. „Ich versuchte es mit Liebe durch Härte“, sagte Wendy. „Das kam damals gerade auf, und ich wollte es an ihm ausprobieren.“

      Kurt zog zusammen mit Jesse Reed in eine Wohnung in Aberdeen. Für die Kaution verwendete er einen Teil der Alimente von Don, für die Miete arbeitete er in einem Restaurant in einem der Erholungsgebiete an der Küste Washingtons. Er versuchte, Reed zum gemeinsamen Musikmachen zu bringen. Bei ihrer allerersten Begegnung war es schließlich um Gitarren gegangen,