The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Geisselhart
Издательство: Bookwire
Серия: The Who Triologie
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454151
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kreiselte Sputnik Moon weiter auf einer seltsam substanzlosen und wohl auch einsamen Umlaufbahn. „Ich kann mich nicht erinnern, dass er einen rich­tigen Freund gehabt hätte“, erinnert sich Wegbegleiter Keith Cleverdon. „Die meisten­ hielten wegen der ständigen Scherereien Abstand zu ihm.“

      Dabei waren Moons Streiche nicht direkt bösartig, sondern von einer fast naiv zu nennenden Neugier geprägt, was er wohl damit auslösen würde. Die Suche nach dem perfekten „Practical Joke“ wurde für Keith fast zur Manie, die ihn auch selbst an seine Grenzen führte. Er nahm sich nicht aus von seinen Späßen, ­sondern­ wirkte eben dadurch komisch und manchmal auch bemüht, wenn er versuchte, Opfer, Lacher, Gaffer auf seine kapriolenreiche Satellitenumlaufbahn mitzunehmen. Und nichts, was er tat, konnte seine Aufmerksamkeit länger fesseln, als bis es vorüber war. Ob er ältere Damen mit dem selbst aufgenommenen Geräusch eines heranrasenden D-Zugs erschreckte oder den ersten und einzigen Boxkampf seines Lebens in der Zeitung abgedruckt fand („es sah aus wie ein spektakulärer Knock-out, aber tatsächlich ist mein Gegner nur über seine eigenen Füße gestolpert“): Alle lachten, staunten, klatschten oder fürchteten sich; allein Keith schien zu fühlen, wie wenig Substanz in seinen Aktionen steckte, weshalb er sich augenblicks zum nächsten Streich rüstete.

      Im Sommer 1960 begann die Abnabelung von seiner Familie. Er war heimlich ein Muttersöhnchen gewesen, wie Cleverdon beobachtet hatte, und erst seine zweite­ große Liebe nach der Blödelei vermochte ihn von dieser emotionalen Abhängigkeit zu befreien: die Trommelei.

      Doch wie kam es, dass der rastlose, unbeständige, lerngestörte Junge zu einem so schwer erlernbaren und relativ selten gewählten Instrument fand?

      Die Legende vom klinisch verordneten Haudrauf-Schlagwerkzeug, das anstelle­ der eigenen Mutter bearbeitet wurde, haben wir bereits vernommen. Die biografische Wahrheit ist wohl eher bei einer Kette von Beobachtungen und Begegnungen zu finden, die Tony Fletcher in seiner sensiblen Biografie sehr ausführlich beschreibt – und sie lag wohl auch in Keiths kompromissloser Natur, die nach einem passenden Selbstausdruck suchte. Wie Roger Daltrey wählte er letztlich, was ihm half, die Grenzen seiner Herkunft zu überwinden, und was ihm die Möglichkeit zur Heilung bot. Selbst die unkritische Mutter zeigte sich verblüfft über die plötzlich einsetzende Hartnäckigkeit, mit der Keith das Schlagzeugspielen ­verfolgte: „Nachdem er einmal das Trommeln entdeckt hatte, wollte er nichts anderes­ mehr tun.“

      Es begann wohl mit einer damals nicht unüblichen Mitgliedschaft des Zwölfjährigen im örtlichen Spielmannszug der „Seekadetten“. Auch Townshend und Entwistle hatten einer solchen pseudomilitärischen Jugendkapelle in ihrem Stadtteil angehört, allerdings mit größerem Erfolg. Keith brachte es mit Mühe zum halbwegs brauchbaren Fanfarenstoß auf dem Jagdhorn und scheiterte grandios an der nächsten Stufe, der Trompete, und zwar begleitet von der ihm eigenen komischen Zurschaustellung vor dem Rektor seiner Schule, der jeweils besonders begabte Musikschüler zum Morgenappell bat: „Zwei oder drei Jungs brachten ihre Instrumente mit und spielten ganz ordentlich“, berichtet Mitschüler Roger Hands. „Dann kam Moon mit einer Trompete auf die Bühne und kündigte an, er werde jetzt ,When The Saints Go Marching In‘ spielen …“ Die Aufführung endete im Chaos, und alle bis auf den Rektor hatten ihren Spaß.

      Keith gibt in einer weiteren Anekdote preis, wie er zu Weihnachten mit der Trompete durch die Gegend zog und dadurch den finanziellen Aspekt des ­Musikmachens entdeckte: „Die Leute drückten mir eilig Geld in die Hand, damit ich weiterzog.“

      Der Wechsel zu einem anderen Instrument lag nahe. Doch welches? Schon das Jagdhorn hatte seine Konzentrationsfähigkeit überfordert. Die Seekadetten unternahmen den Versuch, das Energiebündel Keith an die kleine Marschtrommel zu stellen. Doch Moon tauchte sofort bei der viel lauteren Basstrommel auf und bestand darauf, künftig die Nachwuchstruppe der Seekadetten mit gewaltigem Tam-Tam durch ihre Paraden zu führen.

      Die nächste Inspiration war vermutlich ein Fernsehauftritt des Bigbandschlagzeugers Eric Delaney, der mitten im Stück auf seine Pauke sprang und zwei Basstrommeln mit den Füßen bediente. Das entscheidende Erlebnis für Keiths Erweckung­ zum Schlagzeuger war jedoch ein Kinofilm, den er besuchte: Drum Crazy, der Gene Krupa porträtierte, den ersten echten Star am Schlagzeug.

      Krupa hatte zu jener Zeit eine schier unglaubliche Karriere hinter sich. Zu Anfang des Jahrhunderts in Chicago geboren, zog er als junger Mann nach New York, um mit den besten Bands seiner Zeit zu spielen. In den dreißiger Jahren wurde er von Benny Goodman engagiert und erreichte wegen seiner explosiven und extrovertierten Show bald den Status des Publikumslieblings. Immer mehr Zuschauer kamen allein wegen ihm ins Konzert, und so gründete er eine eigene Big Band, die phasenweise die größte der Welt war.

      Sein Ruhm gründete jedoch nicht allein auf seiner außergewöhnlichen und stilprägenden Spielweise. Krupa war als Mensch wie auch als Pionier seines Instruments eine beeindruckende Persönlichkeit. Er trat in Filmen wie Manche mögen’s heiß an der Seite von Marilyn Monroe und Bob Hope auf und entwickelte das Schlagzeug mit enormer Lust und Verve zu jenem Instrument, das man heute darunter versteht. 1927 benutzte er als erster Drummer eine Fußmaschine, um die Basstrommel zu bedienen. In Zusammenarbeit mit dem Hersteller Slingerland setzte er den heute gängigen Standard, Hängetoms über die Fußtrommel zu ­montieren. Er vereinheitlichte den Gebrauch und die Namensgebung von Hi-Hat und Becken und erfand die Standtrommel mit stimmbaren Fellen – und nicht zuletzt auch das publikumswirksame Schlagzeugsolo.

      Dieser Titan an der Schießbude hatte es Keith Moon augenblicklich angetan. Wild gestikulierend, lachend, mit den Zuschauern flachsend, die Trommelstöcke meterhoch in die Luft schleudernd, während er anscheinend mühelos weiterspielte­ – Gene Krupa war das perfekte Rollenmodell für den Imitator und Entertainer Moon, der eine Mischung aus Goon Show und Rock’n’Roll in seinem Leben ansteuerte. Auf den Rock’n’Roll war er gekommen, nachdem er, wie alle Altersgenossen, Bill Haley und Cliff Richard im Kino gesehen hatte und einen etwas älteren Jungen­ namens Frederick Heath aus dem Nachbarort Willesden auf der Bühne eines wilden Rock’n’Roll-Konzerts entdeckt hatte. Heath nannte sich Johnny Kidd und seine Band The Pirates und landete mit „Shakin’ All Over“ einen Rockklassiker, den The Who später in ihr Programm aufnahmen.

      Die teils fernen, teils sehr nahen Vorbilder machten dem ziellosen Teenager Keith Moon aus Wembley, der aber hochfliegenden Träumen stets zugänglich war, deutlich, dass er durchaus die Chance hatte, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein. „,Shakin’ All Over‘ war für mich der Startschuss“, gestand er später. Und Gene Krupa lieferte ihm die erste Rollenvorlage, indem er bewiesen hatte, dass ein Schlagzeuger keineswegs bloß im hinteren, schlecht beleuchteten Bühnendrittel einen von Becken und Toms zudem noch halb verdeckten Rhythmusdienst zu verrichten hatte. Auch am Schlagzeug, dem Instrument, das Moons nach körper­licher Aktivität dürstender Natur am ehesten entsprach, konnte man ein Star werden.

      Aber noch besaß er nicht einmal ein solches Instrument. Genauer betrachtet, war da auch nur geringe Hoffnung, dass Keith jemals eines besitzen würde. Schlagzeugspielen war damals ähnlich exotisch wie die Zupferei am elektrischen Bass – aber es war zudem noch viel teurer. Ein Drumkit kostete rund zwei Monats­gehälter­ des Arbeiters Alfred Moon, und Keiths Eltern hatten berechtigte­ Zweifel, dass ausgerechnet diese neueste Leidenschaft ihres vierzehnjährigen Sohns länger anhalten würde.

      Außerdem gab es andere, wichtigere Probleme zu klären. Keiths letztes Schuljahr war angebrochen, und es stand nicht zum besten mit seinem Abschlussexamen. Nach den mageren Ergebnissen im Vorjahr hatte „Sputnik“ Moon den A-Zug verpasst und wurde in den B-Zug eingestuft, wo sich die Lehrinhalte aufs Wesentliche beschränkten und Literatur mit den von Keith so geliebten Marvel Comics gleichbedeutend war. Er überstand zwar die letzte Prüfung seiner Ausbildung im Frühjahr 1961 und wäre nun eigentlich gehalten gewesen, das Schuljahr im Juli in Ehren zu beenden. In der Praxis kam man jedoch überein, dass Keith, zusammen mit einigen anderen Rabauken, die allerdings das erforderliche Mindest­alter von fünfzehn Jahren schon erreicht hatten, vorzeitig entlassen wurde: „Ich wurde gefragt, ob ich gehen wollte. Das hieß, entweder man ging, oder sie warfen­ einen raus“, erklärte er später. „Mir war’s egal, ich hasste die Schule.“

      Da stand er nun also, keine fünfzehn Jahre alt, mit einem zweitklassigen Schulabschluss