The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Geisselhart
Издательство: Bookwire
Серия: The Who Triologie
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454151
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      Pete reagierte auf seine Verbannung mit bitterer Emigration und neuem Ehrgeiz. Seine Mutter betrieb inzwischen einen kleinen Antiquitätenladen, wo er eine brauchbare tschechoslowakische Gitarre mit eingebauten Tonabnehmern erstand – für drei alte englische Pfund. Er kam zur festen Überzeugung, dass seine Rückkehr in die Gemeinschaft nur mit Hilfe der Gitarre möglich war, und übte geradezu besessen: „Ich sagte mir, ich werde mich in mein Zimmer einschließen und Gitarre lernen. Und wenn ich wieder rauskomme, lieben mich alle!“

      Weitere Motivation bezog der pubertierende Pete aus der Hoffnung, mit der Gitarre um den Hals von der weiter aufblühenden Nase abzulenken und beim anderen Geschlecht Eindruck zu machen. Er träumte davon, „dass sich ein ­Mädchen wegen meines genialen Gitarrenspiels in mich verlieben würde“. Er beschloss, es allen zu zeigen, die ihn wegen seiner Nase von Kind auf ver­spottet­ hatten, und schwor sich: Aus jeder englischen Zeitung soll dieser Zinken starren,­ bis keiner mehr lacht!

      Die Ausdauer, mit der Pete zwei Jahre auf dem großmütterlichen Weihnachtsgeschenk dilettiert hatte, sowie seine Versuche auf dem fünfsaitigen Banjo wirkten sich plötzlich vorteilhaft aus. Pete stellte überrascht fest, wie gut sich sein Geklimper auf einer anständigen Gitarre anhörte. Wie alle Freunde hatte er Elvis Presley gehört, aber der Sound hatte ihm nie besonders gefallen. Er liebte den hellen­ Klang scharf angespielter Saiten, wie ihn die Banjospieler um Skifflekönig Lonnie Donegan praktizierten (Acker Bilk war wohl Petes erstes echtes Vorbild am Banjo). Als dann noch Chuck Berry mit seinen harten, prägnanten Riffs die Charts eroberte, wusste Pete, wohin er wollte. Er übertrug die Technik von Banjo und Mandoline auf seine Gitarre und versuchte, Berry dabei so nahe wie möglich zu kommen. Mit Hilfe eines kleinen Selmer-Gitarrenverstärkers, den er sich als Zeitungsausträger verdient hatte, entwickelte er im Jahr seiner Ächtung einen eigenständigen, toll klingenden Stil, der sogar Kumpel John beeindruckte.

      Seine im Haus lebende Großmutter zeigte sich allerdings nicht beeindruckt, wie Pete erzählt: „John und ich übten im Wohnzimmer, nicht sehr laut, als sie reinkam und verlangte: ‚Dreh den verdammten, abscheulichen Lärm leiser!‘ Ich sagte: ‚Raus hier, oder ich bringe dich um, verfluchte alte Schachtel.‘ – ,Wie redest du mit mir?‘ schrie sie. Da packte ich den Verstärker und schmiss ihn nach ihr. Sie rannte schnell aus der Tür, und der Verstärker landete dort in Trümmern, zischelte und ging aus. John schaute mich an und sagte mit seiner tiefen Stimme: ‚Gratu­liere. Du hast ihn erledigt.‘ Aber ich kriegte ihn wieder hin.“

      Das war wohl Petes erster Versuch, sich in der später so hingebungsvoll ritualisierten Instrumentenvernichtung zu üben.

      John hatte den Kontakt zu Pete immer gehalten. Loyal wie der etwas ältere, ritterliche Musikus war, hatte er sich nie über Petes langen Riecher lustig gemacht. John galt als vielversprechendes Talent und wurde öffentlich gefördert. Das Waldhorn, mit dem er 1958 seinen ersten kammermusikalischen Auftritt in der Stadthalle feierte, wurde aus Schulmitteln finanziert, weil sich seine Mutter eine solche­ Anschaffung nicht leisten konnte. Er spielte in mehreren Amateurbands gleich­zeitig,­ und als er einmal am Neujahrstag in Hammersmith mit einer namenlosen Truppe von Pub zu Pub zog, um ein bisschen Geld zu verdienen, traf er Pete, der spontan mitmachte und acht Pfund einnahm, nicht wenig für einen damals Vierzehnjährigen: „Ich kriegte die Hälfte dessen, was die regulären Bandmitglieder erhielten. Das heißt, sie müssen an diesem Abend viel Geld eingesteckt haben.“ Trotzdem war John mit seinem Blasinstrument nicht zufrieden. Er fühlte, dass ­Traditional Jazz einer vergangenen Epoche angehörte und dass ein Vollblutmusiker, wie er es werden wollte, sich mit den aufregenden neuen Stilrichtungen auseinandersetzen sollte: „Es irritierte mich zunehmend, dass Leute ihre Verstärker aufdrehten und mühelos lauter als ich spielen konnten. Ich wollte auch lauter ­werden. Da hörte ich Duane Eddy.“

      Duane Eddy hatte mit satt klingenden, fetzigen Instrumentalstücken wie „Rebel Rouser“ oder „The Peter Gunn Theme“, das ein Welthit wurde, einen neuen elektrischen Sound nach vorn gebracht, der nicht nur John faszinierte. Duane Eddy spielte vorwiegend die Bass-Saiten seiner E-Gitarre an und erzeugte mittels ­Tremolo und entsprechender Klangaussteuerung einen dunklen, aber klaren, ­vollen Sound, der John, den Waldhornbläser, auf ein völlig neues Feld führte: Er beschloss, wie Duane Eddy E-Gitarre zu spielen.

      Doch John hatte zu dicke Finger und kam mit den dünnen Saiten auf dem schmalen Griffbrett der E-Gitarre nicht gut zurecht. Inspiriert von Eddy versuchte­ er sich am viersaitigen E-Bass – und das passte.

      Der E-Bass war damals ein recht neues Instrument, dessen gesamtes Spektrum von Möglichkeiten man noch gar nicht erfasst hatte. Entwickelt als Antwort auf die elektrische Gitarre, mit deren Volumen der herkömmliche akustische Kontrabass nicht mithalten konnte, war der E-Bass eigentlich eine Bassgitarre; doch die meisten Bassisten begnügten sich damit, ihre Band „mit etwas Dum-dum zu begleiten“, wie John schnell erkannte: „Ursprünglich wollte ich Leadgitarrist werden, das erschien mir die glanzvollste Rolle in einer Band. Aber mir hat der Bass-Sound stets besser gefallen. Und am Anfang lässt sich Bass auch schneller lernen. Nur wenn du ihn wirklich gut spielen willst, ist es viel schwieriger.“

      Am schwierigsten sollte es für John werden, überhaupt ein solches Instrument zu bekommen. Den ersten in Serie gebauten Elektrobass hatte Leo Fender ein paar Jahre zuvor, 1951, auf den US-Markt gebracht. Fender, der mit einigen anderen unerschrockenen Radiobastlern und Instrumentenbauern in der Geschichte des Rock’n’Roll eine ähnlich wichtige Rolle spielte wie die NASA-Ingenieure bei der Eroberung des Monds, hatte von arbeitslosen Gitarristen gehört, dass sie als ­Bassist problemlos einen Job finden könnten. Bassisten waren von jeher gefragt, nicht zuletzt deshalb, weil der Kontrabass mit seinem langen, bundlosen Hals ein umständlich zu spielendes Instrument war. Fender entwickelte auf der Basis seiner­ revolutionären E-Gitarre, der Telecaster, ein viersaitiges Pendant in der gleichen Grundstimmung wie der Kontrabass. Dieser Fender Precision Bass hatte Bundstäbchen wie eine Gitarre, womit der Spieler den Ton, anders als beim Kontrabass, auch ohne große Erfahrung genau treffen konnte. Für den vierzehnjährigen­ John war dieses neu entwickelte Importinstrument aus den USA ein unerfüll­­­­-ba­rer­ Traum: „Als ich auf dem Bass begann, gab es in England nur vier Bass­­gitarren auf dem Markt, alles billige Dinger. Man kriegte einfach keinen Fender- oder Gibson-Bass zu kaufen.“ Doch John war zielstrebig und hartnäckig wie Roger ­Daltrey, wenn es um die Musik ging: „Ich hatte ein paar Fotos von Fender-Bässen, die ich mir genau anschaute, und dann versuchte ich, einen nachzubauen.“

      Er besorgte sich einen flachen Mahagoniblock und ließ diesen von einem Schreiner in die Form des Fender-Basses bringen. Mit dem Hals ergab sich allerdings ein Problem: John hatte die Halslänge vom Fender-Bass abgekupfert, die Abstände der Bundstäbchen aber nach der Mensur der kürzeren Höfner-Violin-Bassgitarre festgelegt, die später als „Beatles-Bass“ berühmt wurde. Auf dem Wohnzimmertisch seiner Großmutter wurde dieses Problem kunstvoll gelöst – auf Kosten­ des dadurch beschädigten Essmöbels.

      Auch die Platzierung der selbst gewickelten Tonabnehmer und eine dem Precision Bass täuschend ähnliche Lackierung übernahm der hoffnungsvolle Nachwuchsbassist selbst. Das Ergebnis konnte einen Perfektionisten wie John allerdings nicht lange befriedigen. Sein Bass klang erstens nicht sonderlich gut, und er konnte­ zweitens auch nicht sauber gespielt werden. John überredete deshalb einen Arbeiter­ beim Gitarrenhersteller Fenton-Weill, dessen Fabrik in Chiswick sich nur einige­ Straßen weiter befand, einen soliden Rohling herauszuschmuggeln. Ein zweiter Arbeiter erklärte sich bereit, den Korpus fachmännisch zu besaiten, und so erhielt John für insgesamt acht Pfund ein fast professionelles Instrument. Dazu baute er sich eine mächtige Lautsprecherbox, die so schwer war, dass er sie kaum schleppen konnte, und verband alles mit einem damals recht beachtlichen Fünfzig­-Watt-Vortexian-Verstärker, der keinen Tonregler hatte. Das ganze Ensemble klang nach seinen eigenen Worten „diabolisch“, und er war damit lange Zeit sehr zufrieden, vor allem, was die Lautstärke betraf.

      John und Pete übten nun häufig gemeinsam im Haus der Townshends. Bass und Gitarre bildeten ein interessantes musikalisches Gerüst, das John auch für seine neue Schulband The Aristocats nutzen wollte. Er überzeugte den Rest der Gruppe davon, Pete aufzunehmen und die Verbannung des linkischen, unsicheren Jungen mit der großen Nase endlich aufzuheben.

      Aus