Das Geheimnis von Karlsruhe. Bernd Hettlage. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Hettlage
Издательство: Bookwire
Серия: Lindemanns
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783881908351
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hier etwas zu manifestieren, was dem oberflächlichen Betrachter verborgen bleibt? Haben Geheimgesellschaften ihr Wissen in dieser Stadt verborgen – zu einem höheren Zweck vielleicht? Ist hier womöglich der heilige Gral verborgen? Und was hat der arme Kaspar Hauser damit zu tun, der wahrscheinlich in diesem Schloss als badischer Prinz zur Welt kam, bevor sein Martyrium begann?“

      Die Männer schwenkten die Lichtkreise ihrer Lampen theatralisch über den Vorplatz. Arnold meinte, im Dämmerlicht ein Grinsen auf ihren Gesichtern zu erkennen. Im Gegensatz zum Publikum, das stockernst wirkte.

      „Wir werden versuchen, Ihnen so viel zu enthüllen, wie wir wissen. Löschen Sie nun Ihre Kerzen und folgen Sie mir und meinem Adlatus zunächst in den Schlosspark.“

      Die beiden Männer stiegen die Buntsandsteinstufen vor dem Schlosseingang wieder hinunter. Die Gesellschaft blies folgsam ihre Kerzen aus und folgte ihnen. Ein leises Klicken schien aus der Menge zu kommen, das Arnold kurz irritierte, weil er es nicht einordnen konnte. Vielleicht waren es nur Absätze, die gegeneinander stießen, dachte er.

      Die Mienen, die er aus der Nähe erkennen konnte, schienen teils belustigt, teils sehr ernst. Die Ernsten waren wahrscheinlich die Esoteriker unter den Besuchern – eine in Karlsruhe und Umgebung weit verbreitete Spezies.

      Das Badische Staatstheater, den Veranstalter dieses Rundgangs, hatte er weit langweiliger in Erinnerung. Aber der Regisseur Conrad Birkenmeyer, der breit gebaute Mann auf der Treppe, hatte zuvor ein Offtheater in Berlin geleitet. Arnold war zweimal in seinen Stücken gewesen. Unter anderem deshalb war er auch dem Aufruf zu diesem Theaterabend in seiner Heimatstadt gefolgt.

      Na ja, eigentlich gab es auch noch einen anderen Grund: Seine Familie beziehungsweise seine Vorfahren waren auf die eine oder andere Weise in ein paar entscheidende Vorkommnisse rund um die Stadtgründung und die Pyramide verwoben. Außerdem hatte er in der vorigen Woche ein Faltblatt in seinem Karlsruher Briefkasten gefunden, das auf die heutige Veranstaltung hinwies. Sonst hätte er vielleicht gar nicht davon erfahren. Es war neu, dass das Badische Staatstheater auf diese Art für seine Veranstaltungen warb. Das hatten sie, soweit er wusste, früher nicht getan.

      Von dem Abend war vorher nur das Datum bekannt gewesen. Wer die Veranstaltung gebucht und bezahlt hatte, wurde dann per SMS über Zeit und Ort in Kenntnis gesetzt. Das Ganze sah eher nach einer Art Performance aus.

      Vor dem hohen, schmiedeeisernen Tor zum Schlosspark bildete sich ein kleiner Stau. Arnold stieß versehentlich eine Frau mit langen, dunklen Haaren an, die ein rotes Tuch um den Hals trug.

      „Entschuldigung“, sagte er.

      Sie drehte sich kurz um, sah ihn aus blauen Augen an und nickte. Sie wirkte etwas jünger als er, so um die dreißig. Schnell verschwand sie in der sich im Park zerstreuenden Menge. Aus irgendeinem Grund hatte sie Eindruck auf ihn gemacht. Was war es? Ihr Blick? Ihr Geruch? Hatte er überhaupt einen wahrgenommen?

      Ach was! Arnold schüttelte den Kopf. Er war einfach schon zu lange alleine, fünf Monate jetzt. Fünf Monate kein Sex. Wahrscheinlich hatte er die Trennung von Christine doch noch nicht verdaut.

      Er konnte nicht mehr verstehen, was Birkenmeyer vorne erzählte, weil er ein wenig zurückgeblieben war. Neben ihm trat ein Gruftipärchen aus dem Gebüsch, beide trugen weiße Kontaktlinsen. Sie sahen ärgerlich aus, gestört bei was auch immer.

      „Was ist denn hier los?“, fragte der Mann Arnold.

      Er trug einen langen Ledermantel und offene Stiefel, beides in Schwarz. Seine Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab. Die Frau neben ihm trug schwarze Rüschen. Ihr Gesicht war weiß geschminkt.

      Ob sie zum Theater gehörten?

      „Wir sind den Geheimnissen Karlsruhes auf der Spur“, antwortete Arnold, als spiele er in dem Stück ebenfalls eine Rolle.

      „Badisches Staatstheater“, sagte in amtlichem Ton jemand neben ihm, ein kleiner Mann mit runden Schultern und dünnem, zauseligem Haar.

      „Hä?“, machte die Gruftifrau.

      „Ein Theaterabend“, sagte der Mann.

      Das Pärchen wirkte enttäuscht, sie schüttelten den Kopf und gingen ab. Ihre Mäntel und Rüschenkleider zogen sie wie Hochzeitsschleppen hinter sich her. Ein intensiver Duft nach Patschuli blieb zurück.

      Als Arnold sich wieder nach vorne wandte, kam Birkenmeyer auf ihn zu. Die Theaterbesucher folgten ihm, alles strebte dem Ausgang zu. Der Ausflug in den Park schien schon wieder vorbei zu sein. Arnold ärgerte sich ein wenig, dass er sich hatte ablenken lassen.

      Jetzt hatte er den Anfang verpasst.

      Er hielt Ausschau nach der Frau mit dem roten Schal. Sie stand am Rand und schaute weg, als er sie fixierte. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein.

      Er könnte sie fragen, was Birkenmeyer im Park erzählt hatte. Das wäre ein guter Ansatz, um sie anzusprechen.

      „Ich habe leider alles verpasst wegen dem Gruftipärchen.“

      Die Menge ging über den Vorplatz. Kies knirschte. Leises Gemurmel hing wie eine Wolke aus Worten über dem Pulk.

      Vor dem Denkmal des Markgrafen Carl Friedrich am Ausgang des Schlossplatzes hielt Birkenmeyer an. Er stieg auf den Sockel der grünspanigen Figur und wandte sich ans Publikum: „Ich stehe hier unter der Statue des Enkels des Stadtgründers, den Napoleon zum Großherzog kürte.“

      Birkenmeyer sah an ihm hoch.

      „Carl Friedrich war Freimaurer, ebenso sein Großvater, Karl Wilhelm, der Karlsruhe im Jahr 1715 gründet hatte. Der Schlossturm ...“, er wies mit ausgestrecktem Arm nach vorne und alle wandten sich um, „der Schlossturm ist das Zentrum dieser Stadt, die einen europaweit, ja weltweit einmaligen Grundriss aufzuweisen hat. Zweiunddreißig Straßen und Wege gehen vom Turm aus in die Landschaft wie die Strahlen einer Sonne. Sie alle weisen auf Kirchen, Klöster und Heiligtümer in der Umgebung. Es sind Leylines, Drachenpfade, wie die Chinesen sagen. Sie führen dem Schlossturm und damit dem Herrscher über den Turm die Kraft dieser Plätze zu. Wir stehen hier direkt auf der stärksten Linie. Sie verbindet den Schlossturm mit dieser Statue, der Pyramide und dem Obelisken auf dem Rondellplatz.“

      Alle schauten jetzt in Richtung Pyramide, die nachts ebenfalls angestrahlt wurde und matt im Dunkeln schimmerte.

      „Pyramide und Obelisk, ägyptische Herrschaftssymbole in Karlsruhe“, sagte Birkenmeyer, während ein Windstoß die über seine Stirnglatze gekämmten Haare in die Luft wirbelte. Er strich sich über den Kopf, um sie wieder an die alte Stelle zu befördern.

      „Über Deutschland, so eine Theorie, kann man ja ein Pentagramm legen“, fuhr Birkenmeyers Adlatus fort, der Regieassistent Ludo Fink, der neben ihn auf das Podest getreten war. Er war so schmächtig, dass er neben seinem Chef automatisch wie ein Lehrling wirkte, selbst wenn die Rollen vertauscht gewesen wären. „Die Eckpunkte dieses Pentagramms sind unter anderem die Karlsruher Pyramide und der Frankfurter Messeturm, der eigentlich ebenfalls ein Obelisk ist.“

      Ein leicht belustigtes Raunen ging durch das Publikum. Fink hob die Hände, zur Stille gemahnend.

      „Auch über Karlsruhe lässt sich solch ein Pentagramm legen. Die Eckpunkte sind dann die alte Dorfkirche in Eggenstein, der Bismarckstein in Ettlingen und Kirchen oder uralte heilige Stätten in den Orten Kleinsteinbach, Rastatt-Rheinau und Büchelberg in der Pfalz.“

      Das Raunen nahm zu.

      Fink wurde lauter: „Das Pentagramm – oder besser: das umgedrehte Pentagramm, also der Drudenfuß – gilt ja heute als Zeichen des Bösen. Es ist aber das Gegenteil. Es ist in Wirklichkeit ein Bannzeichen gegen das Böse. Nachzulesen schon bei Goethes Faust. Dort kann Mephisto nämlich Fausts Studierzimmer nicht mehr verlassen, weil ein Pentagramm auf der Tür zu sehen ist. ‚Das Pentagramma macht dir Pein?‘, fragt Faust den Mephisto.“

      „Meine Damen und Herren!“, übernahm Birkenmeyer wieder. „All diese Phänomene sind belegbar, ja sie sind sogar offen sichtbar im Stadtbild – für den, der sehen kann und will. Nehmen Sie die Straßen des sogenannten