Da müssen alle mit anpacken.
Ein Kollege, der Journalist ist, schrieb uns mitten in der Quarantäne im April 2020. Was sei unserer Ansicht nach das übereinstimmende Gefühl der Lehrer? Waren sie aufgeregt? Glaubten sie, die Zukunft wäre schneller gekommen als gedacht? Oder waren sie eher zynisch? Dachten sie: »Oh nein, nicht noch eine Sache, die wir können müssen!«?
Nun, es war nichts von alledem. Eine treffende Zusammenfassung der durchschnittlichen Meinung der Lehrer war für uns: »Das ist beängstigend und ich vermisse die Welt, wie sie war – mich, mein Klassenzimmer, meine Schüler. Aber das ist die Realität. Die Kinder brauchen mich, ich muss gut darin sein, also muss ich mein Bestes geben.«
Natürlich kann man die Meinungen so vieler Leute nicht so einfach beschönigen, aber dieses Buch ist für Lehrer, die sich, wie wir, diese Art des Unterrichts nicht ausgesucht haben, die aber, wenn sie damit konfrontiert werden, entschlossen sind, einfache, reproduzierbare Methoden zu finden, um es gut zu machen und die Schüler bestmöglich zu unterstützen. Anders ausgedrückt, wir sind keine Futuristen. Wir werden keine TED Talks darüber veröffentlichen, dass die nahtlose, reibungslose, automatische Zukunft des Lernens auf uns wartet, wenn wir nur die Technologie annehmen würden.
Wie viele von Ihnen (Die meisten? Alle?) hoffen wir, bald zurück in den Klassenzimmern zu sein. Wir haben einen großen Teil unserer Berufslaufbahn damit verbracht, sie zu erforschen, weil sie unserer Ansicht nach so wichtig sind und weil wir glauben, dass nur Klassenzimmer geeignet sind, eine Umgebung für die Schüler zu schaffen, die das Beste aus ihnen herausholt. Klassenzimmer können ein »Kosmetikspiegel« sein: ein Ort, der Schüler in ein Klima einhüllt, das das Beste aus ihnen herausholt, aber sie auch positiv verändert. Die ideale Lernumgebung ist ein Klassenzimmer, in dem die Mitschüler einen Schüler ansehen, während er eine Idee mit ihnen teilt. Man sieht an ihren Augen, dass sie das zu schätzen wissen. Sie hören aufmerksam zu und bringen ihre Argumente an. Sie helfen, die Idee weiterzudenken und zu präzisieren. Schnell ist es nicht mehr die Idee eines Einzelnen, sondern der kollektive Gedanke der Gruppe. Zusammen kommen sie zu einem tieferen gemeinsamen Verständnis.
Menschen haben ein hoch entwickeltes Sensorium dafür, andere Menschen um sich herum zu beobachten und auf sie zu reagieren, da sie als Spezies überlebt haben, indem sie soziale Gruppen bildeten. Wenn wir in einem sozialen Gefüge zusammen sind, können wir auf alle Tools in unserem Gehirn zugreifen, die uns auf ein positives Klima reagieren lassen. Und obwohl ein virtuelles Klassenzimmer nicht all diese Dinge erfüllen kann wie ein echtes Klassenzimmer – man kann zum Beispiel nie dieses Gefühl einfangen, wenn 30 Leute in einem Raum gebannt den Worten eines anderen lauschen oder wenn man tatsächlich spürt, wie sie Aha‐Erlebnisse haben –, muss das Ziel sein, Fernunterricht so zu gestalten, dass er diesem möglichst nahekommt. Er muss die Kraft des Zuhörens und Gehörtwerdens vermitteln, Schüler mitnehmen und anregen, sich einzubringen, teilzunehmen und sich zu verpflichten, auch wenn ihnen gar nicht danach ist.
Unterm Strich sind wir der Ansicht, dass das Online‐Lernen für die meisten Schüler weniger produktiv ist als das Lernen im Klassenzimmer. Diejenigen, die sich mit dem Lernen am schwersten tun, betrifft das noch mehr als alle anderen. Es ist eine Art zweite, eine Bildungspandemie, die wir, wie wir glauben, am besten bekämpfen können, indem wir uns auf den Kern des Handwerks konzentrieren: die grundlegenden Schritte, die jede Interaktion mit jungen Menschen beeinflussen, die Erfahrung verbessern und alle Begrenzungen so gut wie möglich verringern können. Das Wort »grundlegend« spielt eine große Rolle. Wir suchen in Online‐Klassenzimmern, was wir in ihren Cousins aus Beton und Mörtel gesucht haben: das, was relativ klar ist und leicht nachgemacht, und das, was wiederverwendet und angepasst werden kann, um die Lernerfahrung der Schüler zu bereichern. Diese Dinge sind äußerst wertvoll und ihre Zeit wert. Wie Chip und Dan Heath uns in einem unserer Lieblingsbücher über Veränderungsmanagement, Switch, ins Gedächtnis rufen, ist die Lösung oft größer als das Problem. Kleine Veränderungen können weitreichende Folgen haben. Wir haben versucht, uns hierauf zu fokussieren.
Letztendlich sind wir in Bezug auf das Online‐Lernen pragmatisch, mit einer gewissen Skepsis, aber einem tiefen Glauben an Menschen, sowohl Schüler als auch Lehrer, was uns vielleicht zu guten Guides macht. Und selbst für unsere skeptischste Seite ist nicht alles schlecht. Es gibt ein paar Lichtblicke. Wir werden neue Dinge über uns selbst herausfinden und im Online‐Unterrichten besser werden. Dem werden wir uns gleich zuwenden. Lassen Sie uns aber zuerst einen Schritt zurück machen und wir erzählen Ihnen, wieso wir ein Buch über etwas schreiben, woran wir vor einer Weile noch nicht im Entferntesten gedacht hätten.
Das Handwerk des Unterrichtens
Das ist ein guter Zeitpunkt, um klarzustellen, dass wir auch Lehrer sind und nicht nur übers Unterrichten schreiben und es erforschen, sondern dass wir unsere meiste Zeit in Räumen mit Gruppen von Leuten verbringen und versuchen, ihnen beim Lernen zu helfen – unser Handwerk ist das Unterrichten.
Auch uns hat das plötzliche Verschwinden des Klassenzimmers unerwartet erwischt. Wir hatten einen Frühling voller Workshops vor uns und auf einmal, an einem Tag im März, wurden sie alle abgesagt. Wir fragten uns: Sollten wir den Laden dichtmachen? Uns in Sicherheit bringen und es aussitzen? Das Unterrichten geriet in eine Krise. Und letzten Endes glauben wir, dass unsere Stärke als Gruppe in der Gruppe selbst liegt – unsere Fähigkeit, gemeinsam zu lernen. Folgendes haben wir zehn Jahre lang gemacht: zweimal pro Woche zusammen ein Video von unterrichtenden Lehrern ansehen, ihre Bewegungen und Entscheidungen bis ins kleinste Detail analysieren, um dabei so viel wie irgend möglich zu lernen. Wenn man uns fragt, was wir machen, sagen wir, wir studieren Lehrer. Könnten wir diese Fähigkeit auf virtuelle Klassenzimmer übertragen? Immerhin ist einer der wenigen Vorteile des virtuellen Klassenzimmers, dass man leicht alles aufzeichnen kann. Es gibt ein Video dazu. Könnten wir, wenn wir uns das ansehen, daraus etwas lernen?
Zwei Tage, nachdem wir das Büro zugemacht hatten und nach Hause gegangen waren, trafen wir uns – bei Zoom –, um unsere ersten Videos über Online‐Unterricht anzusehen. Die Aufzeichnungen stammten von einigen Lehrern von Vorschulklassen und ersten Klassen an einer staatlichen Schule in Brooklyn. Über Nacht war die Welt eine andere geworden und sie lächelten für die Kinder, die dringend ein freundliches Gesicht sehen mussten, und gaben ihr Bestes, um ihnen Sichtwörter oder das Lösen von Textaufgaben aus ihren Wohnzimmern oder Küchen beizubringen. Sie machten das alle gut, aber eine stach besonders hervor. Sie heißt Rachel Shin. Wir wussten alle gleich, dass hier etwas doppelt Besonderes passierte. Durch ihr Lächeln und ihre Wärme hatten wir das Gefühl, sie wäre mit uns im selben Raum. Ihre Stunde war asynchron – vorab für die Schüler aufgezeichnet, die sie dann später sahen –, aber sie war eindeutig so gestaltet, dass die Schüler aktiv mitmachten, statt nur passiv zuzusehen. Sie sagte den Schülern, sie sollten das Video anhalten, um eine Aufgabe zu lösen. Sie sollten ihr abends als Hausaufgabe die Lösung einer anderen Aufgabe per E‐Mail schicken. Den Bildschirm verschwinden lassen, Pausenpunkte, verzögerte Bewertung: Von all diesen Ideen werden wir Ihnen später berichten und jede von ihnen entstand, wie alles in diesem Buch, aus der Untersuchung der Arbeit von Lehrern wie Rachel.
Wir posteten einen kleinen Artikel auf unserem Blog darüber, was wir beobachtet hatten. Das war der erste von vielen, denn nach diesem ersten Tag vereinbarten wir, alles andere auf Eis zu legen und uns zusammen fünf Tage die Woche Videos anzusehen, um so schnell wie möglich so viel wie möglich zu lernen und die Erkenntnisse, so oft und direkt wir konnten, mit Lehrern zu teilen.
Zu diesem Zeitpunkt war ein Buch das Letzte, woran wir gedacht hätten. Ein paar Wochen später boten wir versuchsweise ein Webinar zu wichtigen Lehrprinzipien an. Es war kostenlos, aber wir begrenzten die Teilnehmerzahl, um die Wechselwirkungen,