Jungsteinzeit. Silviane Scharl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Silviane Scharl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170367425
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dass es sich bei den vermeintlichen frühen Getreidenachweisen in Mitteleuropa ausnahmslos um fehlgedeutete Wildgraspollen (aufgrund mangelnder Bestimmungssicherheit von Getreidepollen, da es metrische und morphologische Überschneidungen mit Wildgraspollen gibt) oder aber um Kontaminationen bei der Probennahme handelt. Zudem weisen sie auf die häufige Fehlinterpretation der palynologischen Bezeichnung »Cerealia-Typ« durch Archäolog*innen hin, die methodisch insuffiziente vermeintliche Getreidenachweise bedingt. Dies wird gestützt durch die Beobachtung, dass vereinzelte Pollen vom Cerealia-Typ auch in pleistozänen und frühholozänen Pollendiagrammabschnitten vorkommen, diese aber nur dann als Indikatoren für Getreideanbau betrachtet werden, wenn sie in einer chronologischen »Verdachtszone« für (sensationell) frühe Landwirtschaft auftreten. In seiner geographisch weitgespannten Revision aller einschlägigen »Belege« kommt Karl-Ernst Behre zu dem Schluss, dass es bis heute keinen einzigen über alle Zweifel erhabenen Nachweis eines vorneolithischen Getreidebaus aus Nord-, West- und Mitteleuropa gibt, und warnt generell davor, einen solchen Nachweis ausschließlich auf palynologischem Wege erbringen zu wollen, ohne entsprechende Makroreste aus eindeutig datierten archäologischen Kontexten vorweisen zu können29.

      Fakt ist, dass es mittlerweile eine ganze Reihe von Pollenprofilen aus den genannten Regionen gibt, in denen Getreidepollen und Spitzwegerichpollen in den mesolithischen Abschnitten gehäuft auftreten, wie z. B. aus dem Wallis, dem Tessin und dem Schweizer Mittelland, wo diese ab ca. 6500 v. Chr. fassbar werden. Aber auch für Bayern wurden jüngst ähnliche Ergebnisse publiziert30. Dabei handelt es sich jedoch um Pollenprofile und damit off-site Befunde (Befunde außerhalb menschlicher Aktivitätszonen wie Siedlungen), die Pollendiagramme nun einmal typischerweise sind. Und da neben den pollenanalytischen Belegen weitere Indizien fehlen, insbesondere Funde von Getreidekörnern aus geschlossenen mesolithischen Fundkontexten – die es jedoch kaum gibt –, bleibt diese Diskussion weiterhin offen.

      Hinweise auf Wildtiermanagement?

      Vorangehend wurden vor allem pflanzliche Ressourcen in den Blick genommen. Nachfolgend soll nun die Fauna in den Fokus rücken und die Frage nach einem möglichen Wildtiermanagement gestellt werden.

      Grundsätzlich waren die Menschen während der Mittelsteinzeit Jäger, die ihre Beutetiere mit Pfeil und Bogen erlegten. Verheilte Schussverletzungen an Tierknochenfunden deuten zudem darauf hin, dass wiederholt die gleichen Territorien der standorttreuen Tiere bejagt wurden31. Darüber hinaus liegen potentielle Indizien für Fallenjagd vor. So wird für die sog. Schlitzgruben, die, wie der Name schon sagt, ein sehr schmales, fast schlitzartiges Profil aufweisen, eine Deutung als Jagdfallen diskutiert32. Einige dieser Grubenbefunde weisen ein mesolithisches Alter auf.

      Neben der reinen Jagd belegt der Hund, der zu dieser Zeit bereits domestiziert war (wie u. a. die spätpaläolithische Bestattung mit Hund aus Oberkassel/Bonn nahelegt), dass das Wissen um die Domestikation von Tieren durchaus vorhanden war. Wir kennen jedoch aus archäologischen wie auch aus ethnographischen Quellen Wildbeutergesellschaften, die gezieltes Wildtiermanagement betrieben bzw. betreiben (image Kap. 2). Die Frage ist, ob sich dies auch für das mitteleuropäische Mesolithikum nachweisen lässt.

      Angeklungen ist bereits, dass die Auflichtung von Wäldern sicherlich nicht nur der Förderung des Haselwachstums diente. Die artenreichen Waldlichtungen lockten auch Wildtiere an und erhöhten möglicherweise die carrying capacity, also die ökologische Tragfähigkeit, für Pflanzenfresser. D. h. es ist zu diskutieren, ob der Mensch gezielt die Landschaft manipulierte, um die Lebensbedingungen der für ihn interessanten Beutetiere und damit auch seine Jagdchancen zu verbessern. Darüber hinaus gibt es aus dem dänischen Mesolithikum Hinweise auf die gezielte Bejagung ausgewählter Altersklassen bei Hirschen, die als Beleg für die Hege von Wildbeständen interpretiert wird. Hier wurden gezielt die erwachsenen, fleischreichen Hirsche gejagt, während jüngere, kleinere Hirsche verschont wurden. Diese Jagdstrategie hält eine Herde auf dem Maximum ihrer Produktivität. Allerdings treffen die gemachten Beobachtungen nur auf Hirsche zu, während sich für Wildschweine zeigen lässt, dass hier oft Jungtiere gejagt wurden. Dies hängt möglicherweise damit zusammen, dass Wildschweine eine höhere Reproduktionsrate haben als Hirsche. Insgesamt sind die Daten über das mesolithische Jagdverhalten bzw. die Wildtiernutzung (Organisation und Intensität) jedoch gering, sodass weiterführende Überlegungen derzeit nicht möglich sind33.

      Besiedlungsmuster und Landschaftsnutzung – Wandel der Schweifgebiete?

      Bis hierher haben wir uns vor allem mit ökonomischen Aspekten befasst. Nun soll noch das Siedlungsverhalten und die Landschaftsnutzung in den Blick genommen werden, die natürlich eng mit der Subsistenzweise verknüpft sind.

      Am Duvensee lässt sich beobachten, dass die Menschen diesen Platz im Präboreal und Boreal wiederholt genutzt haben. Die Auswerterin Holst interpretiert die über einen langen Zeitraum tradierte Nutzung der mutmaßlich immer gleichen Haselbestände als umwälzende Innovationen in der mesolithischen Landschaftsnutzung, die im Gegensatz zum vorangehenden paläolithischen Subsistenzverhalten steht. Denn Holst sieht hier eine platzkonstante Pflanzennutzung und arbeitsintensive Vorratswirtschaft belegt, die im weiteren Sinne an neolithische Subsistenzweisen erinnern34. Nicht überprüfbar ist dagegen, ob die platzkonstante Pflanzennutzung auch mit Besitzansprüchen einzelner Gruppen an bestimmte Lokalitäten im hier besprochenen Fall, dem Duvenseeufer, verknüpft wurden. Für die mesolithischen Wildbeutergruppen Mitteleuropas würde man dies tendenziell verneinen. Für andere gut untersuchte Regionen gibt es jedoch durchaus Überlegungen, ob bereits im Mesolithikum Territorien existierten. Dies ist vor allem für die spätmesolithischen Wildbeutergruppen (sog. Ertebølle-Kultur) im nördlichen Mitteleuropa und in Südskandinavien der Fall. Hier muss jedoch beachtet werden, dass die Voraussetzungen andere sind. Denn diese Gruppen existierten zeitgleich zu bäuerlichen Gruppen in den südlich angrenzenden Lössgebieten, zu denen aufgrund dokumentierter Importfunde durchaus Kontakte bestanden und zudem zeichnen sie sich durch eine intensive Nutzung mariner Ressourcen aus, die eine relativ platzkonstante Siedlungsweise ermöglichte. U. a. entstanden in dieser Zeit an der Nordostküste Jütlands riesige Muschelhaufen vorwiegend aus Austernschalen, die von einer länger anhaltenden Nutzung spezifischer Plätze zeugen. Ob diese Gruppen aufgrund der verfügbaren dichten und vorhersagbaren Ressourcen evtl. sogar sesshaft waren, ist jedoch nicht geklärt. Anhand des archäologischen Fundmaterials werden jedoch die Existenz zentraler Siedlungen sowie Territorialität diskutiert. So konnte Søren H. Andersen für die Ertebølle-Kultur auf der Basis seiner Untersuchungen im Limfjordgebiet zeigen, dass einzelne große von vielen kleinen Siedlungen umgeben sind. Er interpretiert dies als Indiz für die Existenz von Territorien, die sich auch in der räumlich spezifischen Verteilung von Schmucktypen und technologischen Unterschieden zeigen35. Den Grund für die Entstehung dieser Territorien sieht Peter Rowley-Conwy im Vorhandensein lokal begrenzter, dichter und vorhersagbarer Ressourcen, die die Entwicklung unilinearer Deszendenzgruppen, teilweise auch die Anlage von Gräberfeldern förderten. Eine damit unabdingbar verknüpfte sesshafte Lebensweise kann er hingegen nicht nachweisen36. Große Siedlungen (z. B. Rosenhof, Dabki, Hüde) innerhalb dieser Territorien werden als Plätze mit zentralörtlicher Funktion interpretiert. Kriterien hierfür sind die Größe bzw. Ausdehnung der Siedlung, infrastrukturelle Einrichtungen wie aufwendig konstruierte Bohlenwege (Hüde) als Indiz für deren Bedeutung im Kommunikationsnetzwerk sowie eine große Zahl an Importfunden37.

      Für die mesolithischen Wildbeutergruppen im zentralen Mitteleuropa, die zudem früher datieren, lassen sich diese Muster nicht erkennen. Interessant sind jedoch erste Ergebnisse der Arbeit von Thomas Richter zum Mesolithikum in Altbayern. Er kann anhand der Analyse der genutzten Rohmaterialquellen früh- und spätmesolithischer Fundstellen zeigen, dass die Größe der Schweifgebiete im Spätmesolithikum abnimmt (image Abb. 4.5). Die Schweifgebiete der Gruppen werden anhand der genutzten Feuersteinrohmaterialien rekonstruiert, die für die Herstellung von