Krawattennazis. Peter Langer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Langer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783942672870
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Torben Wagner alias David Kline, der dem Beamten bereits vom Hörensagen bekannt war. Am Vortag hatten sie zwar das Foto im Bücherregal gesehen, aber neben der etwas älteren Witwe sah der Bursche wirklich aus wie ein Kind. Emde hatte noch abgewartet, bis auch der junge Fotograf einen Parkplatz gefunden, das Auto, das ohne jeden Zweifel auf den Namen Constanze Lieberknecht zugelassen war, mit äußerster Vorsicht eingeparkt hatte und der Witwe in die Gerichtsmedizin gefolgt war. In der Zwischenzeit hatte er den Pressesprecher von Prospersoil erreicht und mit ihm einen Gesprächstermin für den frühen Nachmittag ausgemacht. Emde musste dabei seine Worte etwas harscher wählen: Johannes Döhrenbach erwies sich als äußerst strebsam darin, seine Ziele zu erreichen. Die Grußfloskeln waren noch nicht richtig verklungen, da befand sich Döhrenbach bereits in einem Monolog über die Verpflichtungen der Behörden, Auskünfte zu erteilen. Informationsfreiheitsgesetz, er, der Beamte, wisse darüber sicher Bescheid. „Aber nicht mitten in Ermittlungen“, hatte Emde ihn gestoppt. Sie hatten sich bis auf Weiteres geeinigt, in hoffentlich fruchtbarer Weise zusammenzuarbeiten und das gemeinsame Gespräch miteinander zu suchen. Emde war dennoch ein heftiger Fluch über die Lippen gekommen, nachdem er aufgelegt hatte. Was für ein Arschloch! Auf gute Zusammenarbeit!

      Er stieg aus und folgte dem vermeintlichen Starfotografen ins Foyer der Gerichtsmedizin. Er sah den jungen Mann dort in einer Sitzgruppe hocken und auf seinem Handy daddeln. Ein Youngster mit rasend machendem Restless-Legs-Syndrom. Muss jederzeit abchecken, was in seiner Community abgeht. Constanze Lieberknecht hatte sich nur einmal umgeblickt und den Ermittler grußlos gemustert wie ein lästiges Insekt. Nun schritt sie auf den Tisch zu, auf dem ihr ermordeter Mann lag. Mutmaßlich zumindest, korrigierte sich Emde. Die Leiche war von den Füßen bis zu den Schultern mit einem Tuch bedeckt, die Augenpartien waren dunkel unterlaufen und zeigten bereits sichtbare Spuren des Todes, der Bereich der schweren Kopfverletzung war unter einem OP-Tuch verborgen. Nach den strengen gesetzlichen Vorgaben war die Leiche an allen drei Körperhöhlen im Kopf, Brust- und Bauchbereich geöffnet worden. Den Anblick wollte man Angehörigen in der Regel ersparen. Constanze Lieberknecht blieb stehen und blickte auf den Toten herab. Sie schaut wirklich auf ihn herab. Emde spürte das, auch wenn er die Witwe nur von hinten sehen konnte. Die Blicke des Gerichtsmediziners, die er gut sehen konnte und die auch ihrerseits Kontakt zu ihm suchten, sprachen allerdings Bände. Die Temperatur im Raum schien durch die Anwesenheit der Witwe nochmals gefallen zu sein. Nach einem weiteren Augenblick wandte sich die Frau um, blickte Emde kurz und zornerfüllt an und ging zur Tür. Die Absätze ihrer Wildlederstiefel donnerten draußen ein Stakkato auf die Kacheln des Flurs, bevor die selbstschließende Tür wieder leise ins Schloss gefallen war. Emde, der verdutzt hinterher geblickt hatte, drehte sich nun zum Gerichtsmediziner um. Der zuckte mit den Schultern, während er ein grünes OP-Tuch über die komplette Leiche zog und den Verstorbenen so vollständig zudeckte. „Sie hat zumindest nicht gesagt, dass er es nicht ist, also ist er es.“ Er griff zu einem Klemmbrett, fingerte einen Kugelschreiber aus der Brusttasche seines Kittels und notierte etwas auf einem Formular. Emde nickte, er kannte das Prozedere für solche Fälle, das nicht so ganz den gesetzlichen Vorgaben entsprach. Lieberknecht war damit identifiziert, auch ohne ein theatralisches, tränenreiches „Er ist es“, wie man das ebenfalls aus Fernsehkrimis kennt. Emde trat an den Tisch. Ein weiteres Kopfnicken des Ermittlers. Der Mann gegenüber zögerte, verstand dann aber und entfernte noch mal das Tuch vom Kopf der Leiche. Emde pfiff leise, als er den mittlerweile dunkel umrandeten Krater in der Stirn sah. Wie viel Lieberknecht wohl noch mitbekommen haben mochte? Ob er gespürt hat, dass er ermordet wurde? Ein weiteres Nicken als Dank, dann folgte der Polizeibeamte der Witwe. Doch Emde sah draußen auf dem Parkplatz nur noch die Abfahrt der beiden. Irgendetwas im Verhältnis zwischen Constanze Lieberknecht und ihrem Mann war ganz und gar nicht so, wie es sein sollte und auch nicht so, wie sie es gestern versucht hatte, ihnen vorzugaukeln.

      „Kinder, lasst uns mal zusammenfassen, was wir haben.“ Emde hatte seinen Bürostuhl hinter seinem Schreibtisch hervorgerollt. Seine Kolleginnen und Kollegen taten es ihm nach, nun saßen sie im Kreis zwischen ihren Tischen. Eigentlich wie eine Sitzgruppe in der Psychotherapie, hatte Emde immer wieder gedacht. Aber bei irgendeinem Fall hatten sie festgestellt, dass sie so am besten mit den Ermittlungen von der Stelle kamen. Keiner verbarrikadierte sich hinter einem Tisch oder Akten, keiner hatte etwas zu verbergen, Ideen und Vermutungen konnten frei geäußert werden. Irgendwann werfen wir uns sogar ein Wollknäuel zu. Emde musste immer wieder lächeln bei dem Gedanken daran, mit welchem Ernst sein Team an solche Gesprächsrunden herantrat. Neue im Team wurden schnell auf die Tradition eingeschworen. So war es auch jetzt. Seine ‚Neuen‘ aus Kassel gehörten schon fest dazu. Ohne jede Ränkespiele, was Emde wunderte. aber gleichzeitig auch freute. „Erstens: Lieberknecht ist identifiziert. Zweitens: Es war definitiv Mord von jemandem, der weiß, wie so etwas geht. Und auch, wie man danach spurlos verschwindet.“ Emde ging in Gedanken die Ermittlungsergebnisse der Tatortgruppe durch. Sie bestanden aus einem Wort. „Nichts“, hatte Meistermann ihm staunend berichtet. „Absolut überhaupt nichts.“

      Emde rieb sich die Stirn. Dass die Anwohner im nahen Heringhausen weder etwas gesehen, noch etwas gehört hatten, wunderte ihn nicht weiter. Häufig fiel den Leuten später noch etwas ein. Diese Informationen waren aber mit Vorsicht zu genießen, da oft die Wahrnehmungen von Nachbarn oder Bekannten mit hineingewoben waren. Was ihn aber ärgerte: Auch die Wabenüberprüfung der Mobilfunkanbieter hatte zu keinem nennenswerten Ergebnis geführt. Emde hatte in diese Abfrage viel Hoffnung hineingelegt: Zur Tatzeit am frühen Sonntagmorgen dürften nicht viele Mobilfunktelefone in den Netzen angemeldet gewesen sein. Aber alle Kontakte gehörten zu Nutzern, die am Diemelsee oder in der Umgebung gemeldet oder zumindest lückenlos nachverfolgbar waren, in der Mehrzahl Angestellte des Hotels am See. Ein weiteres Indiz dafür, dass sie es mit einem lautlosen Profi zu tun hatten. „Da kommen wir offenbar erstmal nicht weiter. Aber wir müssen darüber nachdenken, warum das Ganze auch wie ein Mord aussehen sollte. Also: Mord aus pädagogischen Gründen.“ Seine Leute lachten verhalten kurz auf. Emde ergänzte zunächst nicht, dass inzwischen eine Information über den Fall an das Landeskriminalamt gegangen war. Vielleicht kam von dort eine Idee, wo nach einem möglichen Täter zu suchen war. Ob einschlägige ‚Kunden‘ bekannt waren und wo sie sich gerade aufhielten. „Drittens: Seine Frau ist kalt wie ein Fisch und scheint beinahe nicht unglücklich, dass er abgetreten ist. Motiv? Irgendjemand eine Idee?“ Er blickte sich um. Gegenüber sah eine Kollegin auf. „Eifersucht?“ Emde schaute die Kollegin an. Sie sprach weiter. „Ich meine, können wir ausschließen, dass er fremdgegangen ist? Immerhin scheint ja auch die Frau über ausreichende Mittel zu verfügen, so jemanden zu casten.“ Vereinzeltes Nicken. Auch eine Idee, dachte Emde. Aber heuert man deswegen direkt einen Berufsmörder an? Trotzdem – er notierte diese Möglichkeit. Eifersucht. Er ließ etwas Platz für weitere Ideen zu diesem Motiv. „Was sonst noch?“ Eine weitere Stimme war zu hören: „Lieberknecht hatte konkrete Kenntnisse über irgendetwas, das irgendjemandem gefährlich werden könnte.“ Das war Bangert. Er hatte sich in die Informationen zum Thema Prospersoil eingelesen. „Und was könnte das sein?“, fragte Emde zurück. Tatsächlich hatten mehrere Kolleginnen und Kollegen die Ermittlungsakte, so dünn sie bislang auch war, genau studiert. Ja, Prospersoil war tatsächlich so etwas wie ein Enfant terrible in den Reihen der Rohstoffe erschließenden und fördernden Unternehmen. In mehreren Steueroasen rings um den Globus von Asien bis über die Cayman Islands, die Bermudas und den US-Bundesstaat Delaware wurden Steuersparmodelle hart an der Grenze der Legalität genutzt, doch nicht nur das. Emde hatte selbst mehrere Berichte gelesen, die den Rückschluss zuließen, dass mitunter auch mal mit den entsprechenden Mitteln nachgeholfen wurde, wenn wertvolle Rohstoffe in geschützten Arealen vermutet wurden. Wenn es sich nicht vermeiden ließ, wurde in nicht ganz befriedeten Regionen, etwa in afrikanischen Staaten oder deren Fragmenten, auch mal die Aufmerksamkeit nicht ganz der Demokratie verschriebener Regierungschefs, Warlords oder rivalisierender Rebellengruppen erkauft, wenn es der Sache nützte. Entsprechende Klagen wegen Korruptionsverdachts und Beteiligung an Waffenschiebereien und deren Finanzierung waren bei diversen Gerichten eingegangen. Und ja, Lieberknecht war durch seine Investitionen ein Teil dieser unglaublichen Erfolgsgeschichte. Doch das gehörte zunächst nicht zu diesen Ermittlungen. Noch nicht, dachte Emde und wusste intuitiv, dass er mit diesem unappetitlichen Teil der Geschichte des ermordeten Bankiers eigentlich nichts zu tun haben wollte – und doch irgendwann musste.

      Emde musterte eine weitere Kollegin interessiert.