Doch fremde Organismen sind längst nicht mehr die einzige tägliche Herausforderung unseres Körpers. In den vergangenen Jahrzehnten sind unzählige chemische Verbindungen, schädliche Substanzen und Strahlungen in unserer Welt dazugekommen, die unsere Gesundheit zusätzlich beeinträchtigen und die ich hier nicht einmal annähernd alle beschreiben kann. Doch einen kleinen Auszug möchte ich hier geben.
Fangen wir bei der Ernährung an – in unseren Lebensmitteln finden sich Spuren von Pestiziden und Ackergiften, darüber hinaus in tierischen Produkten Antibiotika und in vielen Fischen Mikroplastik, Quecksilber und andere Metalle. Verarbeiteten Nahrungsmitteln werden Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Geschmacksverstärker und Aromen zugesetzt; in vielen Plastikverpackungen finden sich Weichmacher, in manchen Produkten wie zum Beispiel Schokolade auch Mineralölrückstände. Wenn wir auf die Straße gehen, atmen wir möglicherweise Feinstaub ein; zünden wir uns dann noch eine Zigarette an, nehmen wir neben Teer über 250 giftige Substanzen wie Kohlenmonoxid oder Cyanid-Verbindungen auf. Die Liste dieser Gesundheitsgefahren lässt sich beliebig verlängern. Mittel zur Körperpflege und Kosmetika beinhalten unter anderem möglicherweise krebserregende Aluminiumsalze, Parabene, Weichmacher wie Phthalate und Emulgatoren. Schuhe, Kleidung und Textilien weisen giftige Chromverbindungen, polyzyklische aromatische Wasserstoffe, Formaldehyd und Tenside auf.
Und zu allem Überfluss sind wir seit einigen Jahren Elektrosmog durch schnurlose Telefone, Smartphones und W-Lan in allen Räumen ausgesetzt. Von vielen dieser Dinge wissen wir nicht einmal genau, welche Auswirkungen sie langfristig auf uns haben und wie sie aufeinander einwirken.
Doch nicht nur in der Außenwelt, auch im Inneren unseres Körpers passiert so einiges. Unser Körper besteht aus ca. 30 Billionen Zellen, die sich regelmäßig erneuern. In welchem Zeitraum sich dieser Prozess vollzieht, ist sehr unterschiedlich – auf den Lippen geht das in zwei Wochen, in der Leber dauert es 30 Jahre. Jeden Tag sterben 50 Millionen Zellen ab. Im Zuge dieser lebenslangen Zellteilung können immer wieder Fehler auftreten: Es entstehen entartete Zellen, die zu Krebs und Tod führen können.
Sieht man sich allein diese kurze und unvollständige Liste einmal an, stellen sich einem natürlich sofort die Fragen: Warum sind wir eigentlich nicht dauernd krank? Und wie können wir es schaffen, 80 Jahre und älter zu werden, wenn wir permanent diesen Krankmachern ausgesetzt sind? Was befähigt uns, mit diesen vielfältigen Herausforderungen fertigzuwerden?
Die Antwort ist einfach: Es gibt ein großartiges Verteidigungssystem, das uns schützt – unser Immunsystem.
Ein System aus vielen Bausteinen
Zur Verteidigung gegen infektiöse Mikroorganismen und zur Beseitigung entarteter Zellen hat unser Körper über den langen Zeitraum der Evolution ein höchst wirkungsvolles Abwehrsystem aufgebaut. Dieses System besteht aus verschiedenen Stufen, die je nach Gefährdung Schritt für Schritt zum Einsatz kommen.
Die erste Verteidigungslinie ist die äußere Barriere, bestehend aus der Haut und den Schleimhäuten, die für viele Angreifer nicht oder zumindest nicht leicht zu überwinden ist. Sie schottet unseren Körper weitgehend von der Außenwelt ab – mit Ausnahmen selbstverständlich: Durch die Atmung gelangen Substanzen oder Organismen in den Nasen-, Hals- und Rachenraum und möglicherweise bis in die Lunge, durch die Nahrungsaufnahme können Erreger und Gifte bis in den Magen-Darm-Trakt vordringen, durch geschlechtlichen Kontakt werden Krankheiten übertragen genauso wie durch den Biss oder Stich von Insekten und Spinnentieren. Und manchmal schneiden, kratzen oder schürfen wir unsere Haut aus Versehen auf, was zum Beispiel Bakterien den Weg in das Körperinnere ebnet.
Doch hinter der Hautbarriere wartet eine riesige Armada aus hochspezialisierten Zellen und chemischen Substanzen auf feindliche Organismen, Eindringlinge und Stoffe jeder Art. Warten ist allerdings das falsche Wort: Diese körpereigene Verteidigungstruppe ist permanent in Bewegung. Sie patrouilliert durch die Blut- und Lymphbahnen und sucht überall nach Zeichen einer möglichen Invasion durch Bakterien oder andere feindliche Organismen, aber auch nach entarteten Zellen oder Abfällen, die im Stoffwechselprozess entstehen. Glücklicherweise werden fehlgebildete Zellen fast immer sofort entdeckt und vernichtet, lange bevor sie Krebs herausbilden können. Das Gleiche gilt für alte, nicht mehr funktionsfähige Zellen, die ebenfalls konsequent zum Absterben gebracht und dann beseitigt werden. Wird ein unbekannter Organismus gefunden oder eine Verletzung oder andere Störung festgestellt, reagiert der Sicherheitsdienst des Körpers blitzschnell und versucht, die Situation zu entschärfen.
Ein einfaches Beispiel
Ehe ich die etwas komplizierte Bekämpfung von Bakterien, Viren und Co. näher betrachte und erkläre, wollen wir uns erst einmal ein einfaches Beispiel ansehen: Was passiert denn eigentlich, wenn wir uns in den Finger geschnitten haben oder von einer Bremse gestochen werden?
In beiden Fällen kommt es an der betreffenden Hautstelle zu einer Entzündungsreaktion. Der geschädigte Bereich wird wärmer und röter, weil er stärker durchblutet wird. Diese stärkere Durchblutung ist notwendig, damit der Heilungsprozess überhaupt stattfinden kann. Die verbesserte Durchlässigkeit der Blutgefäße sorgt nämlich dafür, dass mehr Flüssigkeit aus dem Blut in das Gewebe übergehen kann. Auf diesem Weg treffen die Hilfstruppen zur Bekämpfung einer Infektion und die Gerinnungsproteine zum Schließen der Wunde ein. Die größere Menge an Flüssigkeit wird außerdem benötigt, um giftige Substanzen zu verdünnen und zusätzlichen Sauerstoff und Nährstoffe für den Heilungsprozess anzuliefern.
Das Gleiche geschieht übrigens auch in viel dramatischeren Situationen, bei einem Schlaganfall oder Herzinfarkt zum Beispiel. Auch hier kümmert sich eine riesige Zahl von Helfern darum, den Schaden nach Möglichkeit zu reparieren oder wenigstens gering zu halten.
Bevor ich auf Seite 56ff. das Immunsystem im Detail darstelle, möchte ich an dieser Stelle schon einmal festhalten: Das Abwehrsystem unseres Körpers ist äußerst spezialisiert. Was heißt das? Nicht alle Zellen üben die gleiche Funktion aus. So attackiert ein Teil unseres Abwehrsystems jeden entdeckten Eindringling; ein anderer Teil wendet sich immer nur gegen einen bestimmten Typ von Fremdorganismus; manche Zellen übernehmen die Aufgabe, sich an Erreger zu »erinnern«, sodass sie bei einem erneuten Angriff schnell identifiziert und unschädlich gemacht werden können; wieder andere Zellen »informieren« weitere Verteidiger; einige Zellen »fressen« Eindringlinge, andere setzen auf chemische Kriegsführung und produzieren Stoffe, die Bakterien und Viren töten.
Warum werden wir eigentlich krank?
Unser Körper arbeitet meistens perfekt. Wenn er jedoch überlastet ist, kann es zu Fehlfunktionen kommen, die wir in der Regel als Krankheit bezeichnen. Dabei ist der menschliche Organismus von zwei Hauptgruppen von Erkrankungen betroffen:
Zum einen sind das die Infektionskrankheiten, die wir durch den Kontakt mit anderen Menschen und Organismen wie Viren und Bakterien aus der Außenwelt bekommen. Diese auch als Pathogene bezeichneten Erreger überwinden die Hautbarriere. Sie wachsen und vermehren sich in unserem Körper und lösen Krankheiten aus. Dazu gehören so unterschiedliche Erkrankungen wie das Herpes-Bläschen an der Lippe, eine COVID-19-Infektion oder die Grippe, aber auch Pest, Typhus und Cholera.
Zum anderen sind es die nicht übertragbaren Krankheiten, die lokal, also nur in einem bestimmten Körperbereich, aber auch im ganzen Körper auftreten können. Dazu gehören zum Beispiel Rheuma, Arthrose und Krebs, aber natürlich auch die meisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes mellitus. Diese Krankheiten werden durch Prozesse in unserem Körper ausgelöst und sind nicht ansteckend.
Heute sind nicht übertragbare Krankheiten zumindest in den westlichen Ländern und auch in vielen Teilen Asiens vorherrschend. Da sie in der Regel mit einem höheren Lebensstandard einhergehen, werden sie häufig