Jimi Hendrix. Charles R Cross. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles R Cross
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454403
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als Hilfsarbeiter und Diener. Wie das Paar feststellen musste, war Vancouver eine Stadt, die auf so überwältigende Weise von Weißen geprägt war, dass sie dort als kurios auf­fielen. Sie ließen sich in Strathcona nieder, dem Einwandererviertel, das auch Zentrum der Schwarzbrenner und Prostituierten war und von Einheimischen „sündige Meile“ genannt wurde.

      Nora und Bertran bekamen in den ersten sechs Jahren ihrer Ehe drei Kinder: Leon, Patricia und Frank. 1919 wurde ihr viertes und letztes Kind geboren, James Allen Hendrix, Jimis Vater. Al, wie er immer genannt wurde, hatte bei seiner Geburt sechs Finger an jeder Hand, was seine Mutter als schlechtes Omen deutete. Sie trennte die überflüssigen Gliedmaßen ab, indem sie sie mit einer Seidenschnur abschnürte, doch sie wuchsen nach. Als Erwachsener erschreckte Al Jimis Freunde, indem er ihnen seine zusätzlichen Minifinger zeigte, an deren Enden winzige Fingernägel wuchsen.

      Wie alle schwarzen Familien in Kanada mussten sich auch die Hendrix’ in einer Zeit, in der die bestbezahlten Jobs Weißen vorbehalten waren, mühsam über Wasser halten. Nachdem ein Mord Ressentiments geweckt hatte, verlor Bertran 1922 seine Arbeit als Toilettenwächter – einer der wenigen Jobs, die allen offen standen. Schließlich bekam er eine Stelle als Steward auf einem Golfplatz, eine Anstellung, die er bis zu seinem Tod 1934 behalten sollte.

      Durch Bertrans Tod sowie den Tod des ältesten Sohnes Leon war die Familie auf Zuwendungen der kanadischen Wohlfahrtsbehörden angewiesen und verlor schließlich ihr Zuhause. Sie zogen zu Noras neuem Freund in ein baufälliges Haus auf der Georgia Street Ost. Al verbrachte seine Jugend dort in einem Zimmer, das er sich mit seinem Bruder Frank und einem Untermieter teilte. Zu seinen eher seltenen Freuden zählte Midnight Prowl, eine Radiosendung, in der die damals aktuellen Hits der Bigbands gespielt wurden. Als er sechzehn war, sah Al Duke Ellington auf der Bühne und wurde während des Konzerts von einem Mitarbeiter der Vancouver Sun fotografiert. Selten hatte er in seiner Jugend so viel Anlass zur Freude wie damals, als er sein Bild in der Zeitung entdeckte.

      Al nahm regelmäßig an Tanzwettbewerben teil. Er prahlte damit, wie gut er seine Partnerinnen durch die Luft wirbeln und sie mit einer geschickten Bewegung zwischen seinen Beinen hindurchgleiten lassen konnte. Allerdings gab es in Kanada so wenige schwarze Frauen – und in Vancouver mit weißen Frauen auszugehen war gefährlich –, dass Al sich verloren fühlte. Er nahm einen Job in einem Restaurant namens Chicken Inn an, das in seinem Viertel lag, das damals auch Zentrum der schwarzen Kultur der Stadt war. Wenn er gerade nicht damit beschäftigt war, den Gästen Mahlzeiten zu servieren, gab er Tanzeinlagen zum Besten und war begabt genug, um regelmäßig Applaus zu ernten.

      Als Al achtzehn wurde, erhielt er das Angebot, für Geld zu boxen. Er war stämmig und muskulös, doch auch als Erwachsener nicht größer als eins siebenundsechzig. Der Boxveranstalter brachte ihn in den Crystal Pool in Seattle, wo Al seinen ersten Kampf im Weltergewicht bestritt. Er schaffte es bis ins Finale, verlor aber den Kampf um die Meisterschaft und musste feststellen, dass er mit dem falschen Versprechen auf Geld geködert worden war. Schlimmer als die Niederlage war sein Erlebnis im Moore Hotel, wo ihm und einem anderen schwarzen Boxer mitgeteilt wurde, der Pool sei „nur für Weiße“ bestimmt. Während sich das restliche Team im Wasser vergnügte, sahen sie zu.

      Zurück in Vancouver, setzte Al alles daran, einen neuen Job zu finden. Er bewarb sich wiederholt als Kofferträger, doch wurde ihm gesagt, er sei zu klein, obwohl an sich keine Mindestgröße vorgeschrieben war. Schließlich verließ er Kanada und ging nach Seattle, in der Hoffnung, dort bessere Chancen zu haben und unter der größeren schwarzen Bevölkerung vielleicht sogar eine Freundin zu finden.

      Er kam 1940 mit vierzig Dollar in der Tasche in Seattle an. Seine erste feste Anstellung fand er im Ben Paris, einem Nachtclub in der Innenstadt, wo er Tische abräumte und Schuhe putzte. Schließlich fand er in einer Eisengießerei körperlich sehr schwere, aber gut bezahlte Arbeit. Spaß am Leben hatte Al damals nur auf der Tanzfläche, wo er seine Sorgen zumindest zeitweise vergessen konnte. Er besaß einen braunen Zoot-Suit mit weißen Nadelstreifen und trug dazu einen beigefarbenen, knielangen, einreihigen Mantel. In dieser Aufmachung begegnete er der sechzehnjährigen Lucille Jeter zum ersten Mal.

      Als sie Al kennen lernte, besuchte Lucille die neunte Klasse, und obwohl sie auffallend hübsch war, war sie naiv in Bezug auf Männer, und Al war ihr erster Freund. Sie war fasziniert von seiner Vergangenheit in Kanada, die Al teilweise auch zum Außenseiter in der afroamerikanischen Gemeinde Seattles machte. „Die Leute rümpften die Nase über die Kanadier“, bemerkt Delores Hall. Dass Al in Seattle keine Freunde hatte, wurde immer wieder zum Thema zwischen den beiden: Al war sehr eifersüchtig, weil Lucille viele Freunde hatte und sehr gut aussah. „Al war ein sehr muskulöser Junge“, erinnert sich James Pryor. „Alle hielten sich seinetwegen von Lucille fern. Er war sehr leicht reizbar und schreckte nicht vor Wutausbrüchen zurück. Wenn sich jemand mit ihr herumtrieb, dann bestimmt nicht in der Öffentlichkeit, denn Al hätte ihn ­umgebracht.“

      Al und Lucille hatten ein paar unverfängliche Verabredungen, jedoch waren es Lucilles Freundlichkeit und Anhänglichkeit, die den Ausschlag für eine verbindlichere Beziehung gaben. Als Al mit einem Leistenbruch im Krankenhaus lag, bot sie sich als Krankenschwester an. Nach seiner Entlassung machte Al Lucille ganz offiziell den Hof und besuchte, was damals erwartet wurde, regelmäßig ihre Eltern. Die mochten Al, nahmen ihn aber nicht ernst, weil sie den Eindruck hatten, ihre Tochter sei – mit gerade mal sechzehn Jahren – noch zu jung, um eine ernsthafte Verbindung mit einem Mann einzugehen.

      Al verlor seinen Job in der Eisengießerei, fand aber eine neue Anstellung in einer Billardhalle. Er legte gerade Billardkugeln zusammen, als er vom Angriff der Japaner auf Pearl Harbor erfuhr. Mit zweiundzwanzig würde Al mit Sicherheit eingezogen werden, und der drohende Krieg belastete und beschleunigte die Beziehung zu Lucille. Ende Februar war sie schwanger – keine schlechte Leistung, wenn man bedenkt, dass Al in einer Pension lebte, in der weiblicher Besuch nicht gestattet war. Als Lucille ihren Eltern davon erzählte, waren sie wütend. „Sie war das Nesthäkchen der Familie, und damit hatte niemand gerechnet“, erinnert sich Delores.

      Al erklärte den Jeters leicht verlegen, er wolle ihre Tochter heiraten, obwohl auch dies Preston nicht beschwichtigen konnte, der erfolglos versuchte, Lucille die Hochzeit auszureden. Das Paar heiratete im King County Courthouse, und drei Tage später wurde Al zur Armee verschifft. Nach seiner Abreise besuchte Lucille, obwohl sie schwanger und verheiratet war, weiter die Schule und verheimlichte beides vor ihren Klassenkameradinnen. Sie war so dünn, dass es Monate dauerte, bis ihre Schwangerschaft nicht mehr zu übersehen war, und was ihre Ehe anging, so war Al ohnehin zu arm gewesen, um ihr einen Ring schenken zu können. Obwohl Lucille gehofft hatte, wenigstens die Junior High abschließen zu können, weil ihr Lebensunterhalt keinesfalls gesichert war, ließ sie eines Nachmittags bei Ertönen der Schulglocke ihre Bücher auf dem Pult liegen und kehrte nie wieder zurück.

      * * *

      Ein paar Monate lebte Lucille noch zu Hause bei ihren Eltern, obwohl ihr Zustand die Beziehung zu ihnen belastete. Die Jeters hatten ständig Geldprobleme und lebten von der Wohlfahrt. Sie waren nicht in der Lage, eine arbeitslose, schwangere Tochter durchzufüttern. Schließlich fand Lucille eine Stelle als Bedienung in einem Club auf der Jackson Street. Sie musste wegen ihres Alters flunkern, obwohl in den Clubs wie dem berüchtigten Bucket of Blood gesetz­liche Bestimmungen ohnehin ignoriert wurden. Neben dem Getränkeausschank war Lucille teilweise auch für das Unterhaltungsprogramm zuständig. „Sie sang“, erinnert sich Delores Hall, „und die Männer gaben ihr Trinkgeld, weil sie so eine gute Sängerin war.“

      Durch ihren Job im Bucket of Blood wurde Lucille Teil dessen, was Hipster als „Main Stem“ bezeichneten. „Damit meinten sie das Zentrum von allem, das aufregend war“, erläutert Bob Summerrise, einer der ersten schwarzen DJs und Besitzer eines Plattenladens in Seattle. „Wenn man in eine neue Stadt kam, fragte man: ‚Wo geht’s zum Main Stem?‘ Und da ging’s wild zu. Zuhälter, Nutten, Spieler, Drogendealer und ein paar Junkies, aber auch die ganzen anderen erfolgreichen Geschäftsleute aus den schwarzen Gemeinden gingen dahin, ließen sich unterhalten oder tranken was.“ An der Ecke Vierzehnte und Jackson stand ein einarmiger Zeitungshändler mit dem Spitznamen Neversleep, der Tag und Nacht die aktuellen Schlagzeilen herausschrie. In dem Viertel passierte ständig etwas, und wenn man einfach nur sagte, man ginge auf