Zehn Jahre nach Oscar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия: Basler und Berner Studien zur historischen Theologie (BBSHT)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783290177416
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der Lebenszeit ab und umfasst nahezu die gesamte Zeit aktiver Lehrtätigkeit. Selber zuvor als Student im Thomasstift, wurde er 1926 mit der Leitung betraut, die er bis zu seinem Weggang nach Basel 1938 innehatte. Es gibt einige wenige Unterlagen mit einem direkten Bezug zum Tho­masstift. Vorhanden sind unter anderem die Ernennungsurkunde aus |26| dem Jahr 1926, ein Brief mit den Gehaltsvereinbarungen von Anfang 1927 oder ein Antrag der Stiftsbewohner an «les Messieurs les Membres de l’Epho­rat», der einen freien Arbeitstag für die Zimmermädchen am Sonntag vorsah. Über den Ausgang dieser Petition ist nichts bekannt.52 Nicht zuletzt wegen dieser Erfahrungen im Thomasstift wurde Cullmann in Basel 1941 zum Vorsteher des Theologischen Alumneums gewählt, das er bis zu seinem Ausscheiden als Professor an der Universität Basel 1972 leitete.53 Im Archiv gibt es ein Dossier mit Quellen zum Theologischen Alumneum, die zusam­men mit den Archivalien des Theologischen Alumneums im Staatsarchiv Basel ausgewertet werden müssten.54

      Das Leben im Alumneum war nicht allein für die Studenten prägend, sondern auch für den Vorsteher. Dem Hausvater, wie der Vorsteher auch genannt wurde, oblagen bestimmte Aufgaben. Cullmann, der selbst nicht ordiniert war und nur selten in öffentlichen Gottesdiensten predigte, hielt im Theologischen Alumneum regelmässig Hausandachten. Schon aus dem Tho­masstift sind zwei Weihnachtsansprachen überliefert.55 Für das Theologische Alumneum sind ungefähr 230 Andachten aus den Jahren 1943 bis 1961 vor­handen, die in einer lectio continua Auslegungen zur Apostelgeschichte, zum Matthäusevangelium, zu einigen Stellen aus dem Markusevangelium sowie zu 1. Korintherbrief, 1. Johannesbrief und den zwei Thessalonicherbriefen enthalten.56 Die Andachten folgten einer festen Ordnung: Lied, Lesung, Ausle­gung, Gebet, Lied. Die Manuskripte, meist auf A5-Blättern hand­schrift­lich notiert, umfassen am Anfang die Nummern der Liedstrophen, die An­gabe der Textlesung, die vollständig ausgeschriebene Auslegung und am Schluss ein Gebet.57 Die Manuskripte zeigen den Exegeten in erster Linie als Homileten. Der Vergleich zwischen Vorlesung und Andacht wäre reizvoll. Gibt es Unterschiede? Wenn ja – welche? Die Andachten zeigen zudem |27| Cullmann als betenden Lehrer. Formulierte er die Gebete selbständig oder lehnte er sich an gängige Liturgien an?

      Zum Leben im Alumneum gehörten Ausflüge und Feste der Studen­ten.58 Cull­mann hat auch dafür Andachten und Ansprachen gehalten. Zum 100-Jahre-Jubi­läum des neu eröffneten Alumneums 1944 beispielsweise hielt er sowohl eine An­dacht als auch Ansprachen beim akademischen Festakt.59 Der 80. Geburtstag des Basler Kirchenhistorikers und Vorgängers, Eberhard Vischer, wurde im Alumneum 1945 gefeiert.60 Vischer war als Mit­glied der Kommission dem Hause verbunden. Die Geburtstagsfeier einer grosszügigen Gönnerin fand ebenfalls im Alumneum statt.61 Allerdings stellte sich Cull­mann auch schweren Situationen und hielt die Traueran­spra­che bei der Beerdigung eines Alumnen oder bei der erwähnten Mäzenin.62

      Das Alumneum sollte auch ein Hort der Wissenschaft sein. Nach dem Krieg fand 1946 die erste der früher traditionellen Begegnungen der Theo­logischen Fakultäten Strassburgs und Basels im Alumneum statt. Cullmann hielt eine Grussadresse an die Kollegen und überreichte eine Veröffentli­chung, die zum Jubiläum des Alumneums 1944 erschienen war.63 Kollegen der Universität Basel lud Cullmann zu Vorträgen an die Hebelstrasse ein, bei­spielsweise 1948, als er über «Eindrücke vom Christentum Roms» sprach.64 Im Amt des Rektors wurde auch die 50-Jahr-Feier der Basler Studenten­schaft 1968 im Alumneum gefeiert.65

      Gerne unterstrich Cullmann den familiären Charakter des Alumneums. 1948 sprach er vor Freunden des Theologischen Alumneums über das Leben und die Bedürfnisse des Studentenhauses.66 An einer Weihnachtsfeier des Alum­neums mit Mitgliedern der Kommission 1950 betonte er den infor­mellen, familiären Rahmen der Feier.67 Auch an einer folgenden Weihnachts­feier |28| wies er auf den persönlichen Charakter der Alumneumsgemeinschaft hin.68 Ähnliche Äusserungen gibt es bereits für die Zeit im Thomasstift.69

      Auch die grossen persönlichen Feste fanden im Alumneum statt: 1951 wurde Cullmann zum Chevalier de la Légion d’honneur und 1962 zum Officier de la Légion d’honneur ernannt. Die Übergabe der Insignien und die Feiern wurden bei diesen Gelegenheiten jeweils im Garten des Alumneums in Ge­genwart von illustren Gesellschaften gehalten.70 Auch die Abschieds- und die Geburtstagsfeier 1972 waren mit dem Alumneum verbunden.71 Aus Anlass der Feier seines 50. Geburtstags äus­serte sich Cullmann zur engen Verbin­dung seines Lebens mit dem Alumneum: «Im­mer wieder tritt ja die Frage an mich heran, ob ich nicht nach Paris übersiedeln solle, aber immer ist es vor allem der Gedanke an das Alumneum, der mich zurückhält.»72 Noch 1982 anlässlich einer Dankesrede zum 80. Geburtstag im französischen Kon­sulat Basel nannte Cullmann das Alumneum in einem Zug mit der Uni­versität, wel­che die ausschlaggebende Rolle gespielt hatten, dass er sich trotz mehr­facher attrak­tiver Möglichkeiten, nach Frankreich überzusiedeln, für den Verbleib in Basel entschieden habe.73

      Das Alumneum war für Cullmann eine Institution, in der Leben und Lehre, Fa­milie und Studenten eng miteinander verzahnt zu einer Lebens­gemeinschaft wurden. Dieser Zusammenhang erhellt meiner Ansicht nach wenigstens drei weitere Motive in Cullmanns Leben:

      Zum einen sprach man in jener Zeit, in der Cullmann wirkte, von Theo­logen­schulen. Es gab eine Barth-, Bultmann- oder Brunner-Schule, nicht aber eine Cull­mann-Schule. Trotzdem hatte Cullmann eine weitverbreitete, viel­fältige und bunte Schar von Schülern in Kirchen und an Universitäten. Zu diesem bemerkenswerten Umstand führte neben Cullmanns Eigenart, seinen Schülern thematisch und inhalt­lich viel Raum für ihre Arbeiten zu lassen, vor allem das Alumneum als Lebensge­meinschaft. Weniger eine bestimmte inhaltlich-theologische Ausrichtung als viel­mehr eine bestimmte Form der Lebenshaltung, des dialogischen Umgangs, auch der Verbindlichkeit war für diese Schülerschaft prägend.

      Zum anderen: Cullmann verfolgte als praktische Umsetzung der öku­menischen wissenschaftlichen Betätigung zwei Projekte, die wesentlich von |29| der Lebensgemein­schaft geprägt waren, nämlich das Institut in Tantur und die Villa Alsatia in Chamo­nix post mortem. Beide sind meiner Meinung nach ohne den Zusammenhang mit dem Leben im Alumneum nicht zu ver­ste­hen.74

      Schliesslich gehörte für Cullmann zur Lebensgemeinschaft im Alum­neum we­sentlich auch die Frau an seiner Seite, die Schwester Louise, die ihm nach dem Tod der Eltern seit 1930 im Haushalt zur Hand ging. Diese Zusam­menhänge, die selbst­verständlich den institutionellen Zugang übergreifen und deutlich in den biografi­schen Bereich übergehen, müssten in vertiefter Weise untersucht werden.

      III. Zugang über Quellengattungen: die Korrespondenz

      Eine der reichhaltigen Quellen im Nachlass Cullmanns ist die Korres­pon­denz. Karlfried Froehlich schätzt den Umfang auf ungefähr 30 000 Brie­fe.75 Obwohl Cullmann von wichtigen Briefen jeweils Entwürfe, Abschriften oder Durchschläge hinterliess, sind diese der kleinste Anteil der Korrespon­denz. Die Antworten der Adressaten überwiegen bei weitem. Für die Zu­kunft wäre hilfreich, nach Möglichkeit die Korrespondenz Cullmanns durch Kopien zu sammeln. Erste Schritte dazu hat die Fondation Oecuménique Oscar Cullmann bereits unternommen.76 Weitere gezielte Anstrengungen wären vor allem bei Forschungsprojekten unerlässlich.

      Und natürlich stellt sich die Frage, wo genau die Schätze in der Kor­respondenz zu heben sind. Es sind die klingenden Namen der Zeit frei­lich vorhanden, die deut­schen Fachkollegen Karl Ludwig Schmidt und Rudolf Bult­mann oder die frankopho­nen Exegeten Pierre Benoît77 und Stanislas Lyonnet,78 die Dogmatiker Karl Barth, Gerhard Ebeling oder Wolfhart Pan­nenberg, |30| die frankophonen Ökumeniker Yves Congar,79 Jean Daniélou80 oder Jean Guitton81. Und selbstverständlich gibt es auch die Korrespondenz mit den Päpsten.82 Der Zugriff auf den umfangreichen Quellenbe­stand wird von den verfolgten Forschungsinteressen abhängen: ein bestimmter Zeit­abschnitt wie der Zweite Weltkrieg, eine Personengruppe, beispielsweise das Kolle­gium der Basler Theologischen Fakultät, ein konkretes Projekt, etwa die ge­meinsame Kollekte oder die Auseinandersetzungen um eine bestimmte Pu­blikation.

      Im Folgenden seien lediglich zwei Beispiele zur Veranschaulichung erwähnt: Während des Zweiten Weltkriegs zeigte sich Cullmann als auf­merk­­samer Beobachter der unterschiedlichen Kulturen im Dreiländereck. 1940 schrieb er in einem Briefent­wurf an einen Freund in Clermont-Ferrand, die Schweizer seien keine Deutschen. Die Schweizer seien Schweizer mit ihren eigenen Fehlern, geprägt durch eine eigene Geschichte.