Protokoll
4 Fazit
Das hier analysierte Fallbeispiel zeigt (ausschnitthaft) das translatorische Handeln einer Behördendolmetscherin mit einschlägiger Erfahrung und Qualifikation, die sowohl auf institutioneller als auch auf interaktioneller Ebene beträchtliche Macht für sich beanspruchen kann. Ihr protokollierungsorientiertes Dolmetschen und eigenständiges Agieren in verhandlungsleitender bzw. teils die Befragung führender Rolle (co-interlocutor) wird offenbar von der AuftraggeberIn als effizientes Expertenhandeln geschätzt, was ungeachtet berufsethischer Grundsätze eine Wiederbeauftragung zur Folge haben dürfte. Inwieweit die DolmetscherIn ihre interaktionelle Macht, die sich in erweiterten Wiedergaben und Auslassungen (zero renditions) ebenso manifestiert wie in eigenständigen interaktionssteuernden Beiträgen (non-renditions), bewusst und zielorientiert einsetzt, bleibt unklar. Es lassen sich sowohl Anzeichen für eine Positionierung an der Seite der entscheidungsmächtigen InstitutionsvertreterIn finden als auch für Interventionen zugunsten des Berufungswerbers, dem trotz seiner Benachteiligung durch die Benutzung des Englischen als Zweitsprache von der Dolmetscherin eine ‚druckreife Stimme‘ verliehen wird. Mag sein, dass hier das von Mira Kadrić favorisierte berufsethische Konzept der Allparteilichkeit vorliegt; was das Beispiel dieser Dolmetscherin, deren translatorischer Ansatz im Rahmen des gesamten Corpus durchaus keine Ausnahmeerscheinung darstellt, jedenfalls deutlich macht, ist der erhebliche diskursive Einfluss der KommunikationsmittlerInnen auf Inhalt und Ablauf der Anhörung, auf deren Grundlage ein Asylbescheid erlassen wird. Vor dem Hintergrund der nach wie vor und mit Recht beklagten Geringschätzung des Kommunaldolmetschens steht hier ein Beispiel für eine durchaus emanzipierte professionelle Praxis, in der selbstbewusste Dolmetschende im institutionellen Bedingungsgefüge Macht besitzen und einsetzen.
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