Ihre Umgebung ändern
Ich liebe den Grundsatz, dass die Genetik die Waffe lädt und die Umgebung abdrückt. Genetische Faktoren und Umweltfaktoren wirken nicht unabhängig voneinander – sie beeinflussen sich gegenseitig. Selbst wenn Sie miese Gene haben, können Sie Ihr gesundheitliches Schicksal ändern, wenn Sie die Einflüsse steuern, denen Sie sich aussetzen. Das heißt, Sie haben die Macht, Ihren Körper dazu zu bringen, für Sie, statt gegen Sie zu arbeiten. Sie können tatsächlich die Epigenetik nach oben oder nach unten anpassen, indem Sie an Ihrem sogenannten Exposom feilen, einem Bündel von Umweltfaktoren, die sich direkt oder indirekt auf Ihre Gesundheit auswirken. Sie steuern Ihr Exposom durch Ihre – bewussten und unbewussten – körperlichen und seelischen Alltagsgewohnheiten. Dazu zählen etwa, wie häufig und in welcher Form Sie sich bewegen, welchen Umwelteinflüssen Sie zu Hause und am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, was Sie essen und trinken und wie gut oder schlecht Sie Ihre Hormone modulieren. Wenn ein Gen durch einen bestimmten Faktor angeschaltet wird, kann ein anderes Gen dadurch abgeschaltet werden. Mithilfe der hier vorgestellten Methode wollen wir die Gesamtwirkung optimieren, indem wir das Immunsystem (und andere Körpersysteme) auf das individuell richtige Niveau einstellen, damit Ihr Körper auf ein ausgezeichnetes Abwehrteam zurückgreifen kann.
Stellen Sie sich folgende Aspekte Ihrer Gesundheit und den Alterungsprozess als konzentrische Kreise vor:
– Im Zentrum befindet sich Ihre DNA, die Blaupause, die durch Ihre Eltern festgelegt ist.
– Als Nächstes kommt Ihr Exposom, die nicht von der DNA gesteuerten Umwelteinflüsse, die festlegen, ob Gene an- oder abgeschaltet werden.
– Welche Gene an- und abgeschaltet werden, das bestimmt Ihren Gesundheitszustand, und sie sind ursächlich dafür, womit Sie mit zunehmendem Alter zu kämpfen haben, wie Gewichtszunahme, Falten und Energiemangel.
– Wird dagegen nichts unternommen, verschlechtert sich Ihr Gesundheitszustand und es können sich daraus Krankheiten entwickeln, etwa Diabetes, Alzheimer und Fettleibigkeit, die zu vorzeitigem Tod führen können.
Die DNA verändert sich langsam, aber die Genregulation kann sich rasch ändern
Neue wissenschaftliche Durchbrüche liefern wichtige Hinweise darauf, wie wir länger leben und jung bleiben können; empfohlen wird, sich bestimmte Verhaltensweisen anzueignen, um die positiven Umweltfaktoren zu erhöhen. Während sich die DNA nur langsam verändert, kann sich die Regulation der Genexpression schneller ändern – manchmal vorübergehend und manchmal dauerhaft. Modifikationen der Genregulation, die aktivieren oder deaktivieren, wie ein Gen exprimiert wird, können erblich sein, man spricht hier von sogenannten epigenetischen Veränderungen, sodass Sie Ihre guten oder schlechten Einflüsse an Ihre Nachkommen weitergeben können.2 Kurz gesagt, Sie sollten Ihre Genregulation nicht nur für sich selbst, sondern auch für Ihren Nachwuchs steuern.
Stellen Sie sich eineiige Zwillingsbrüder mit derselben genetischen Blaupause vor. Der eine wird eine Typ-A-Persönlichkeit – Investmentbanker und Ultramarathonläufer –, trinkt jeden Morgen Kaffee und jeden Abend Whiskey, und schläft kaum, obwohl er Schlaftabletten nimmt. Der andere geht nach Tibet, wird Mönch und meditiert jeden Tag fünf Stunden oder länger. Der erste Zwilling hat einen schnelleren Stoffwechsel, eine höhere Stressbelastung, sein Gehirn schrumpft durch den Alkohol und aufgrund seines Schlafmangels regeneriert er sich schlecht. Er stirbt höchstwahrscheinlich früher. Sie brauchen zwar nicht nach Tibet ins Kloster zu gehen, um den Alterungsprozess zu verlangsamen, doch die wissenschaftlichen Wahrheiten dieser beiden Extreme lassen sich in sinnvolle Programme für langsameres Altern übersetzen. Jeder Tag ist eine neue Chance, jünger zu sein. Das ist das faszinierende Versprechen der Epigenetik und es geht weit über die bereits bekannten vernünftigen Strategien hinaus, mehr Gemüse zu essen und in der Natur spazieren zu gehen.
Die meisten Ihrer Entscheidungen und Gewohnheiten stellen eine unglaubliche Gelegenheit für Wissenschaftler – und für Sie selbst – dar, Krankheiten zu verhindern und umzukehren. Beispielsweise liegt bei Ihnen kein erhöhtes familiäres Brustkrebsrisiko vor, doch falls Ihre guten und schlechten Darmbakterien im Ungleichgewicht sind, produzieren Sie vielleicht mehr von den gefährlichen Östrogenen, die Ihr Risiko erhöhen, und vielleicht weniger von den schützenden Östrogenen, die Ihr Risiko senken. Infolgedessen zirkulieren andauernd „schlechte“ Östrogene und stimulieren die Östrogenrezeptoren übermäßig, was potenziell Ihr Risiko erhöht, Brustkrebs zu entwickeln.3 Denken Sie daran, dass 85 Prozent der Brustkrebsfälle bei Frauen auftreten, in deren Familie diese Erkrankung bislang nicht vorkam; wiegen Sie sich also nicht in falscher Sicherheit, wenn Ihre Mutter, Großmutter und Tante davon nicht betroffen sind oder waren. Ihr Darm könnte gegen Sie arbeiten, und Sie wissen es vielleicht nicht einmal.
Indem Sie Änderungen an Ihrem Lebensstil vornehmen, etwa Ihren Alkoholkonsum reduzieren, sich mehr bewegen und abnehmen, können Sie potenziell ein Gen umprogrammieren, sodass es Ihrem Körper mitteilt, er soll mehr „gute“ Östrogene anstelle der „schlechten“ Östrogene herstellen.4 Insgesamt ändert sich so nichts in Ihrer DNA-Sequenz, doch nicht-genetische Auslöser können Ihre Gene zu einem anderen Verhalten anregen.
Brustkrebs auf zweierlei Arten verhindern
Im Jahr 2013 beschrieb Angelina Jolie in einem in der New York Times veröffentlichten Gastbeitrag, was sie unternahm, als sie erfuhr, dass sie ein fehlerhaftes Gen mit dem Namen BRCA1 hatte, wodurch ihr Risiko, Brustkrebs zu entwickeln, bei 87 Prozent lag und das Risiko für Eierstockkrebs bei 50 Prozent.5 Ihre Mutter, Großmutter und Tante hatten dieses Gen vermutlich auch und hatten bedauerlicherweise ihren Kampf gegen den Krebs verloren. Deshalb entschied Angelina Jolie im Alter von 37 Jahren, sich vorbeugend beide Brüste entfernen zu lassen. Zwei Jahre später beschloss sie, sich prophylaktisch auch die Eierstöcke entfernen zu lassen.6 Das ist eine ziemlich kostspielige und extreme Art, Brust- und Eierstockkrebs zu verhindern, und weil nur 15 Prozent der Frauen eine Familiengeschichte wie die von Angelina Jolie haben, müssen wir übrigen uns andere Vermeidungsstrategien überlegen, die weniger teuer und etwa angenehmer sind – genau wie Marie.
Mit 66 Jahren entdeckte Marie einen Tropfen Blut an ihrem weißen BH. Obwohl niemand in ihrer Familie jemals an Brustkrebs erkrankt war, rief sie ihren Gynäkologen an, der sie zum Ultraschall schickte. Es dauerte ewig, aber der Radiologe fand ein winziges Knötchen. Sie beschlossen, das Knötchen zu entfernen, und die Biopsie ergab eine atypische Hyperplasie der Brust. Mit anderen Worten, Marie hatte eine Anhäufung abnormer Zellen in der Brust. Diese war zwar nicht bösartig, bedeutete aber, dass sich ihr Brustkrebsrisiko vervierfacht hatte – das genügt, um jede Frau zu Tode zu erschrecken.
Ihre Brustchirurgin sagte, die Einnahme des Anti-Östrogen-Medikaments Tamoxifen werde ihr helfen, dem Brustkrebs vorzubeugen; daraufhin wog sie Risiken und Nutzen des Medikaments ab. Es erhöht unter anderem das Risiko für Gebärmutterschleimhautkrebs, was kaum wie ein guter Tausch erscheint. Dann kam Marie zu mir, um sich eine zweite Meinung einzuholen. Mein Vorschlag? „Beginnen Sie damit, mehr Gemüse zu essen – ungefähr ein Kilo oder zehn Tassen pro Tag –, fangen Sie an, täglich pulverisierte Gräser, Grüngemüse und Algen zu sich zu nehmen, beschränken Sie den Weinkonsum auf zwei Gläser Wein pro Woche, nehmen Sie zehn Kilo ab und essen Sie weniger herkömmliches rotes Fleisch. Meiden Sie entzündungsfördernde Lebensmittel wie Milchprodukte, Zucker und Gluten. In der Zwischenzeit müssen wir untersuchen, wie Ihr Körper Östrogen produziert und ausscheidet, um festzustellen, wie wir das Ganze in eine bessere Richtung lenken können.“
Sechs Monate später und zwölf Kilo leichter suchte Marie wieder ihre Brustchirurgin auf. Diese war beeindruckt: „Keine meiner Patientinnen hat geschafft, was Sie geschafft haben. Wie haben Sie das gemacht?“ Die Chirurgin berichtete ihr von anderen Patientinnen, die adipös waren und bei denen erneut Brustkrebs auftrat, und sagte ihr, wie herzzerreißend es sei, ihnen die schlimme Nachricht mitteilen zu müssen.