Ende einer Selbstzerstörung. Hartmut Zwahr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hartmut Zwahr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783867295222
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      Ende einer Selbstzerstörung

       Leipzig und die Revolution in der DDR

      Hartmut Zwahr

      Ende einer

       Selbstzerstörung

      Leipzig und die Revolution in der DDR

      Hartmut Zwahr, geboren 1936 in Bautzen, Studium der Geschichte und Germanistik in Leipzig, dort 1963 Promotion, 1974 Habilitation; 1978 Professur an der Sektion Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, von 1992 bis 2001 Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte am Historischen Seminar der Universität Leipzig.

      Buchveröffentlichungen der letzten Jahre: Herr und Knecht. Figurenpaare in der Geschichte (Leipzig 1990); Revolutionen in Sachsen. Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Weimar/Köln/Wien 1996); Leipzigs Messen 1497–1997 (Mitautor; Köln/Weimar/Wien 1999); Die erfrorenen Flügel der Schwalbe. DDR und »Prager Frühling«. Tagebuch einer Krise 1968 bis 1970 (Bonn 2007); Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009, Bd. 2: Das neunzehnte Jahrhundert 1830/31–1909 (Mitautor; Leipzig 2010).

      Umschlag

       Titelbild: Auf dem Ring, 30.10.1989, Montagsdemonstration, rechts der Hauptbahnhof, Osthalle; Fotografie Michael Korcz, Leipzig Rückseite: »Gespräche am Karl-Marx-Platz« im Gewandhausfoyer am 29.10.1989, Gesprächsleitung Kurt Masur; Fotografie Uwe Pullwitt

      Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

      Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      ISBN 978-3-86729-122-4

       E-Book (epub) ISBN 978-3-86729-522-2

       E-Book (pdf) ISBN 978-3-86729-523-9

      1. Auflage 2014

       Alle Rechte vorbehalten.

       © Sax-Verlag, Beucha • Markkleeberg 2014

       Erstausgabe bei Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993

       Einbandgestaltung: Birgit Röhling, Markkleeberg

       www.sax-verlag.de

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

       readbox publishing, Dortmund

       www.readbox.net

      Inhalt

       Einleitung

       Zur Leipziger Neuauflage

       Selbstzerstörung

       Selbstbefreiung

       Vorspiel: We shall overcome. Leipzig am 25. September 1989

       Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit! Leipzig am 2. Oktober

       Im Feierton

       Exkurs: Staatsterror

       Der 7. und 8. Oktober in Ost-Berlin

       Allerhöchste Weisung und Drohung

       Wir sind das Volk! Leipzig am 9. Oktober 1989

       Verfall und Zerfall des administrativen Systems

       Die Mauer muß weg! Leipzig am 6. November

       Zeitzeugenschaft. Kommentar

       Wende in der Wende:

       Die nationale Revolution – Deutschland einig Vaterland!

       Das Ende der Stasi

       Beginnender Macht- und Systemwechsel

       Ein neues Deutschland

       Zum Schluß

       Heinrich August Winkler: Mehr als ein Zusammenbruch.

       Hartmut Zwahr über die Revolution in Leipzig und das Ende der DDR

       Anmerkungen

       Personenregister

      Dies ist das Buch eines Leipzigers, von Beruf Historiker, über die Ereignisse 1989 in Leipzig und die Revolution in der DDR. Das Erlebte, die Erfahrungen haben sich jeweils schon am Abend nach den Montagsdemonstrationen beim Berichten verdichtet, dann noch einmal, wenn Bekannte, Freunde, Kollegen kamen, um Genaueres zu hören. Später folgten Vorträge und Diskussionen an den Universitäten Rotterdam und Leiden und an der Volkshochschule Bielefeld, im März und im Mai 1990, danach am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen. In dieser Zeit ist das Manuskript entstanden, im Wesentlichen habe ich es bis zum Herbst 1990 niedergeschrieben. Während der Bearbeitung für den Druck habe ich es nur noch wenig ergänzt, und dies überwiegend in den Anmerkungen. »Ende einer Selbstzerstörung« war auch schon der Titel des Vortrages in Rotterdam.1

      Die Selbstzerstörung der DDR endete mit einer Selbstbefreiung. Sie war für viele Menschen in den fünf neuen Bundesländern eine wichtige gemeinsame Erfahrung und ist das bis heute geblieben. Die Wege der Erinnerung in die davorliegende bizarre Welt des vormundschaftlichen Staates2 sind inzwischen immer weniger begehbar. Neue Wirklichkeiten sind entstanden und haben in vertraute Räume Einzug gehalten. Der Blick mancher Zeitgenossen ist schärfer, genauer geworden, der anderer hat sich getrübt. Zuweilen führt das zu Irritationen, wenn Beteiligte über dasselbe sprechen. In dieser Situation ist das Buch entstanden. Es schadet nichts, wenn ihm das anzumerken ist.

      Der Anfang war das Aufschreiben beim Gehen, während der Demonstrationen. Die Menschen waren bis auf den Grund aufgewühlt und hatten die Angst überwunden, auch die Angst vor dem Aufschreiben und Aufgeschriebenwerden. Wer, außer dem Historiker, dachte in diesen Augenblicken daran, daß es die Normalform zeitlichen Abstandnehmens ist, Erlebtes zu vermengen, zu vergessen?

      Der Himmel über den Leipzigern war grau. Sie gingen durch die Düsternis der Montagabende, durch Schmutz und Absterbeluft. Sie skandierten Massenrufe, klatschten mit Händen in Handschuhen den Takt, sangen. Sie alle waren aus sich herausgegangen. Zuvor hatte es viele Gründe gegeben, seine Identität zu verbergen. Die Folge war die Maske – das Schafsgesicht, wie auf Wolfgang Mattheuers Gemälde »Geh’ aus deinem Kasten« (1985) im Sprengel Museum in Hannover. Der Leipziger Maler zeigt dem Betrachter eine Szene der Selbstbefreiung. Einer, der nicht länger mit zwei Gesichtern leben kann, der zu sich selbst gekommen ist, verläßt das Gehäuse, in dem er wie eingeschlossen gelebt hat. Die Tür geht auf, und er, ein Noah unserer Tage, wirft seine Kleider ab, nackt entschlüpft er ins Freie. Sein Gefährte bleibt wie versteinert zurück und verbirgt sein Gesicht weiter hinter der Maske mit dem Schafsgesicht, während das Gehäuse zu brennen anfängt. Das Bild führt also auch dies vor Augen: Selbstzerstörung. Auf der rechten Bildseite ist der Kopf eines bärtigen Mannes zu sehen, zu dem ein ausgestreckter, den Weg weisender Arm gehört. Die Hand zeigt dorthin, wohin niemand geht. Die andere Hand liegt, einen Dolch haltend, auf dem Fußboden. Ein geöffneter Schrank ist (bis auf eine kleine Kugel) leer. Eine Hand, die in