Die Sentenz »Guinness is good for you« stammt von der Krimiautorin Dorothy L. Sayers. Mit derlei einprägsamen Formeln begnügt man sich indes schon lange nicht mehr. Die PR-Maschinerie läuft ununterbrochen auf Hochtouren, und seinen Höhepunkt erreicht der Vermarktungsrummel seit 2009 jedes Jahr am »Arthur’s Day« Ende September. Dann stemmen, verbreiten die bierologischen Spin Doctors, in praktisch ganz Irland und in Asien, der Karibik, in Rußland, Deutschland, Schweden und andernorts um genau 17.59 Uhr Ortszeit, flankiert von Musikveranstaltungen und sonstigen Festivitäten und selbstverständlich vom Fernsehen begleitet, Millionen die Gläser in die Höhe, gedenkend »Uncle Arthur«, der am 23. September 1759 den über neuntausend Jahre laufenden Pachtvertrag für das Grundstück an der Liffey unterschrieben hatte.
Das imposante, 1904 im Stil der Chicagoer Schule errichtete Storehouse auf dem Brauereigelände, in dem einst der größte Maischbottich der Welt untergebracht war und heute allerlei multimedialer Klimbim rund ums Brauen in Augenschein genommen werden darf, sei, prahlt die Werbeabteilung, das meistbesuchte Ausflugsziel in Dublin. Nicht minder brüstet man sich damit, »daß Guinness-Konsumenten pro Pub-Besuch mehr Geld für Essen und Trinken ausgeben als der durchschnittliche Biertrinker«.
Wir können das bestätigen. Wir haben die Duke Street gequert und hocken vor dem Davy Byrne’s, vor, tja, der Stammkneipe von Joyce. Im Innenbereich recht geschmacklos-nüchtern, läßt es sich draußen gut aushalten, umgeben von Einheimischen mit zerzaustem Haar und in ausgebleichten Sakkos, die vor ihren schwarzen Flüssigkeitszylindern allesamt die Kunst der Bedachtsamkeit zelebrieren. Jetzt darf es ruhig auch mal ins Glas regnen. Das ist das Dubliner Gefühl.
Im Ulysses kommt das Davy Byrne’s als »moral pub« ordentlich weg. Allerdings schrieb Joyce 1906: »Die Dubliner sind die hoffnungsloseste, nutzloseste und widerspruchsvollste Rasse von Scharlatanen, der ich je auf der Insel oder auf dem Kontinent begegnet bin. Der Dubliner verbringt seine Zeit mit Schwatzen und Rundgängen durch die Bars, Schenken und Spelunken […], und nachts, wenn nichts mehr reingeht und er mit Gift angefüllt ist wie eine Kröte, stolpert er aus einem Nebenausgang und geht, geleitet vom instinktiven Wunsch nach Standhaftigkeit, die geraden Häuserfronten entlang […]. Er ertastet sich den Weg ›mit dem Arsch‹, wie wir auf englisch sagen. Da haben Sie Ihren Dubliner.«
Vor dem Davy Byrne’s sind Guinness Nummer zwei und drei fällig, wir wollen nicht von Lokal zu Lokal hetzen. Siebenhundert Wirtshäuser soll es in Dublin noch geben, »auf dreihundertfünfzig Einwohner kommt ein Pub, doch an Wochenenden reicht das manchmal nicht aus« (Sotscheck).
Im Davy Byrne’s hielt sich desgleichen Flann O’Brien auf, der »bessere Joyce«, wie viele behaupten. Eine Zeitgenossin O’Briens erzählte Harry Rowohlt, dem deutschen Übersetzer dieses Genies, mal: Er »ließ sich morgens kurz auf dem Amt sehen und ging dann zum Arbeiten über die Liffey in eine seiner Stammkneipen. Alle zwei Stunden kam ein Bürobote, um frische Akten zu bringen und erledigte Akten abzuholen. Nachmittags, nach getaner Arbeit, verließ er die Kneipe und begab sich unendlich vorsichtig mit three o’clock list (Drei-Uhr-Schräglage) in die nächste.«
Das tun wir ihm gleich, jedoch noch wacker im Lot. Wir schlendern Richtung Liffey, vorbei am Trinity College, Ziel: der Bezirk Temple Bar, das Greenwich Village Dublins, hinter der monströs häßlich ins gregorianische Architekturensemble hineingepflockten Central Bank.
In den achtziger Jahren wollten die Stadtväter das verwahrloste Viertel planieren, um ebenda einen Busbahnhof zu bauen. Heute wird das Vergnügungsquartier penibel gepflegt, die kleinen Geschäfte und die Händler von früher sind verschwunden.
Sieben mal sieben Schlucke Guinness – so lautet unser Auftrag. Wir lassen The Bankers und The Quays links liegen und konzentrieren uns auf The Temple Bar. Während das wie eine Miniaturburg und zwischen Neubauten in der Bridge Street einige Gehminuten weiter westlich ein wenig verloren wirkende Brazen Head das älteste Pub Irlands ist, gilt The Temple Bar mit ihrer schmucken roten, umlaufenden Halbfassade als beliebtestes Lokal der Insel.
Die Kellner tragen T-Shirts, auf deren Rücken »Working« steht, als müßten sie sich vom ausufernden Geselligkeitsgewusel samt Livemusik in den verkastelten Räumen ostentativ distanzieren. Wir wenden uns im »Biergarten«, das heißt im mit Heizpilzen ausstaffierten, lichten Innenhof wieder dem flüssigen Nationalsymbol zu. Geschmacklich läßt es kein Gran nach, aber bei 5,50 pro perfect Pint denken wir fünfeinhalb Sekunden lang ernsthaft darüber nach, uns der »größten Whiskeysammlung Irlands« zu widmen.
Nummer vier und fünf laufen, ordnungsgemäß auf vierzehn Schlucke verteilt, in uns hinein. Als »Redemption Song« erklingt, wird es uns zuviel der Atmosphäre, und wir fliehen den Süden Dublins, um in den schäbigeren Norden der Kapitale zu gelangen, genauer: zum John Kavanagh am Friedhof Glasnevin.
Der Taxifahrer lobt das Gravediggers, wie der Laden im Volksmund heißt, überschwenglich. »Linken Eingang benutzen!« hatte uns Ralf Sotscheck angewiesen. Er sitzt bereits da, direkt an der Tür, in einem Ambiente, in dem man sich hundertfünfzig Jahre zurückversetzt wähnt.
Kein Gedudel, kein Eventgetue. Einzig und allein eine betörende Stimmenkakophonie über altmodischem Gestühl. Der Duft von Irish Stew. Gestaffelt leuchtende Biergläser.
In manch einem Pub durften Frauen bis vor kurzem kein großes Bier bestellen, erklärt Ralf Sotscheck und zeigt auf das Snug zur Rechten, einen Nebenraum mit eigenem Zugang zum Tresen, in dem sich einst die Damen und die Geistlichen aufzuhalten hatten. Mittlerweile findet es nicht allein Jasmine Guinness, das Supermodel aus der Dynastie, »sexy, wenn Frauen Guinness trinken«.
Zügig vertilgen wir das »vielleicht beste Guinness der Stadt«, wie Sotscheck meint, in Flaschenwurfweite zum Grab von Brendan Behan, der sich sein ganzes Leben inständig »für die Kunst interessierte, wie man zwei Dutzend Flaschen Bier köpft«.
»Guinness hat seit jeher am eigenen Mythos herumgeschraubt«, sagt Sotscheck. »Man denke zum Beispiel an den Werbespot, in dem dreißig Sekunden lang ein schwarzer Bildschirm zu sehen war, bis eine Off-Stimme brummte: ›Die vergangenen dreißig Sekunden Dunkelheit wurden Ihnen von Arthur Guinness ins Haus gebracht.‹«
Wir erinnern uns an einen Satz von Fergal Murray: »Jeder spricht überall auf der Welt nur gut über Guinness.« Sotscheck lacht. »Klar, und was ist mit dem grauenhaften Hellen, dem Harp, das sie außerdem brauen? Mein Schwager ist nach neun Gläsern Harp mit Magenbluten im Krankenhaus gelandet. Der Arzt fragte ihn: ›Haben Sie Harp getrunken?‹ Mein Schwager bejahte. Da sagte der Arzt: ›Dachte ich mir, Sie haben eine Harpattack.‹«
Mag sein, daß, wie Anthony Burgess monierte, in Dublins Pubs »zuviel geredet« wird. Aber reden macht durstig – eine angenehme Reziprozität. Wir ordern regelwidrig ein achtes Guinness, und allmählich haben wir uns »in eine weiche […] Stimmung getrunken«, von der es bei Brendan Behan des weiteren heißt: »Jeder war jedermanns Freund, und das ist das größte Glück, das wir auf dieser Welt haben, wenn es auch nicht immer leicht und gewiß ist, ob man diesen Zustand erreicht.«
Wir haben ihn erreicht.
Wolkengewölle, dahin und wieder
daher
Er freue sich »sehr auf dieses ernsthafte, tannendunkle Gebirge«, schrieb Karl Immermann vor einer Wanderung zum Ochsenkopf und anschließend nach Wunsiedel. »Gott gebe schönes Wetter.«
Wir wissen nicht, wie der Wettergott dann gestimmt war, aber die meteorologischen Realitäten im östlichen Oberfranken sind – sogar im Hochsommer – zumeist ernüchternd, manch einer behauptet: beschämend. Schon in der Gegend von Bayreuth quetschen sich für gewöhnlich aschige und bedrohlich finstere Wolkenknäuel und -kleckse in- und übereinander, fürwahr wütend wirkt das. Auf Aufhellungen zu hoffen ist in der Regel sinnlos, das Fichtelgebirge kennt in Sachen Witterung selten Spaß.
»Die Gegend um Wunsiedel ist sehr kalt«, hielt Immermanns Zeitgenosse Ludwig