Über den Umgang mit Menschen. Adolph Freiherr von Knigge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolph Freiherr von Knigge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783940621238
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Ruhe und oft auf immer den Frieden einer Familie zerstört.

      Ich kann daher nicht genug Vorsichtigkeit in Briefen und überhaupt im Schreiben empfehlen. Noch einmal! Ein übereiltes mündliches Wort wird wieder vergessen, aber ein geschriebenes kann noch nach fünfzig Jahren, in Erben Händen, Unheil stiften. Briefe, an deren richtiger und schneller Besorgung irgend etwas gelegen ist, muss man immer auf die gewöhnliche Weise mit der Post oder durch eigene Boten abgehn lassen, nie aber, etwa zur Ersparung des Portos, sie Reisenden mitgeben oder sonst durch Gelegenheit und in fremden Kuverts fortschicken; man kann sich gar zu wenig auf die Pünktlichkeit der Menschen verlassen.

      Lies Deine Briefe, wenn Du es ändern kannst, nicht in andrer Gegenwart, sondern wenn Du allein bist, sowohl weil es die Höflichkeit also befiehlt, als aus Vorsicht, um durch Deine Mienen den Inhalt nicht zu verraten.

      34.

      Suche keinen Menschen, auch den Schwächsten nicht, in Gesellschaften lächerlich zu machen. Ist er dumm, so hast Du wenig Ehre von dem Witze, den Du an ihn verschwendest; ist er es weniger, als Du glaubst, so kannst Du vielleicht der Gegenstand seines Spottes werden; ist er gutmütig und gefühlvoll, so kränkest Du ihn, und ist er tückisch und rachsüchtig, so kann er Dir's vielleicht auf eine Rechnung setzen, die Du früh oder spät auf irgendeine Art bezahlen musst. – Und wie oft kann man nicht, wenn das Publikum auf unsre Urteile über Menschen achtet, einem guten Manne im bürgerlichen Leben wahrhaften Schaden zufügen oder einen Schwachen so niederdrücken, dass aller Ehrgeiz in ihm erlöscht und alle Keime zu bessern Anlagen erstickt werden, indem man ihn, durch Hervorziehn seiner uns lächerlich scheinenden Seiten, der Verachtung preisgibt.

      35.

      Schrecke, zerre und necke auch niemand, selbst Deine Freunde nicht, mit falschen Nachrichten, mit Witzeleien oder was sonst auf einen Augenblick beunruhiget, in Verlegenheit setzt! Es gibt der wahrhaftig, missvergnügten, unangenehmen, ängstlichen Augenblicke so viele in der Welt, dass es wohl brüderliche Pflicht ist, alles hinwegzuräumen, was die Last der wirklichen und eingebildeten Plagen auch nur um ein Sandkorn erschweren kann. Für ebenso unschicklich halte ich es, einem Freunde aus Scherz, wie es die Gewohnheit mancher Leute ist, mit selbst erfundenen erfreulichen Neuigkeiten ein kurzes Vergnügen zu machen, das nachher vereitelt wird. Das alles ist Neckerei, durch welche die Freuden des Umgangs nicht gewürzt, sondern versalzen werden. Auch soll man nicht die Neugier reizen oder die Leute durch halb abgebrochene Worte ängstigen, sondern lieber gänzlich schweigen, wenn man nicht ausreden will. Es gibt Menschen, welche die Gewohnheit haben, ihren Freunden solche mystischen Warnungen hinzuwerfen als z. B.: »Es läuft ein böses Gerücht von Ihnen herum, aber ich kann, ich darf Ihnen noch nichts darüber sagen.« Dergleichen hat gar keinen Nutzen und beunruhigt.

      Überhaupt muss man so wenig als möglich die Leute in Verlegenheit setzen, vielmehr sich bemühn, wenn auch jemand im Begriff ist, eine Unvorsichtigkeit zu begehn (z. B. schlecht von einem Buche zu reden, dessen Verfasser gegenwärtig ist) oder sonst beschämt zu werden, ihm diese Verlegenheit zu ersparen oder die Sache auf irgendeine Weise wieder ins Feine zu bringen.

      36.

      Man hüte sich, bei Personen, mit denen man umgeht, unberufen unangenehme Dinge in Erinnerung zu bringen. Oft bewegt eine Art von unkluger Teilnehmung die Leute, uns um die Beschaffenheit unsrer ökonomischen und andrer verdrießlicher Sachen zu befragen, obgleich sie uns nicht helfen können, und zwingen sie uns dadurch, Gegenstände, die wir in Gesellschaften, wo wir uns aufzuheitern dachten, so gern vergessen möchten, ohne Unterlass vor Augen zu behalten. Man muss so viel Menschenkenntnis haben zu unterscheiden, ob der Mann, den wir vor uns sehen, seinem Temperamente, seiner Lage und der Art seines Kummers nach, durch solche Gespräche erleichtert werden kann, oder ob nicht vielmehr sein Leiden dadurch doppelt erschwert wird.

      37.

      Nimm nicht teil daran, lächle nicht beifällig, tue lieber, als hörtest Du es gar nicht, wenn jemand einem Dritten unangenehme Dinge sagt oder ihn beschämt. Die Feinheit eines solchen Betragens wird gefühlt und oft dankbar belohnt.

      38.

      Über die Gewohnheit, Paradoxa vorzubringen, über Widersprechungsgeist, Disputiersucht, Zitieren und Berufen auf die Meinungen und Aussprüche andrer, werde ich mich im dritten Kapitel dieses Teils erklären und beziehe mich hier darauf.

      39.

      Bekümmere Dich nicht um die Handlungen Deiner Nebenmenschen, insofern sie nicht Bezug auf Dich oder so sehr auf die Moralität im ganzen haben, dass es Verbrechen sein würde, darüber zu schweigen. Ob aber jemand langsam oder schnell geht, viel oder wenig schläft, oft oder selten zu Hause, prächtig oder lumpig gekleidet ist, Wein oder Bier trinkt, Schulden oder Kapitalien macht, eine Geliebte hat oder nicht – was geht das Dich an, wenn Du nicht sein Vormund bist? Tatsachen hingegen, die man durchaus wissen muss, erfährt man oft am besten von dummen Leuten, weil diese ohne Witz, ohne Konsequenzmacherei, ohne Seitenblicke, ohne Verbrämung und ohne Leidenschaft geradehin erzählen.

      40.

      Öfters sind wir in dem Falle, dass uns durch Gespräche Langeweile gemacht wird. Vernunft, Vorsichtigkeit und Menschenliebe gebieten uns dann, wenn nun einmal nicht auszuweichen ist, Geduld zu fassen und nicht durch beleidigendes Betragen unsern Überdruss zu erkennen zu geben. Man kann ja, je seelenloser das Gespräch und je geschwätziger der Mann ist, um desto freier nebenher an andre Dinge denken; und wäre auch das nicht – ei nun! es geht im menschlichen Leben so manche verträumte Stunde verloren! Ist man denn nicht einige Aufopferung der Gesellschaft schuldig, mit welcher man umgeht? – Und geschieht es nicht vielleicht zuweilen, dass auch wir dagegen, so groß auch die Meinung sein mag, die wir von der Wichtigkeit unsrer Gespräche haben, dennoch durch unsre Redseligkeit andern Langeweile machen?

      41.

      Eine der wichtigsten Tugenden im gesellschaftlichen Leben und die wirklich täglich seltener wird, ist die Verschwiegenheit. Man ist heutzutage so äußerst trügerisch in Versprechungen, ja in Beteuerungen und Schwüren, dass man ohne Scheu ein unter dem Siegel des Stillschweigens uns anvertrautes Geheimnis gewissenloserweise ausbreitet. Andre Menschen, die weniger pflichtvergessen, aber höchst leichtsinnig sind, können ihrer Redseligkeit keinen Zaum anlegen. Sie vergessen, dass man sie gebeten hat zu schweigen, und so erzählen sie, aus unverzeihlicher Unvorsichtigkeit, die wichtigsten Geheimnisse ihrer Freunde an öffentlichen Wirtstafeln. Oder, indem sie jeden, der ihnen in dem Drange sich zu entladen in den Wurf kommt, für einen treuen Freund ansehen, vertrauen sie das, was sie doch nicht als ihr Eigentum betrachten sollten, ebenso leichtsinnigen Leuten an, als sie selbst sind. Solche Menschen gehen dann auch nicht weniger unklug mit ihren eigenen Heimlichkeiten, Plänen und Begebenheiten um, zerstören dadurch sehr oft ihre zeitliche Glückseligkeit und vernichten ihre Absichten.

      Welchen Nachteil überhaupt solche unvorsichtige Bewahrung fremder und eigener Geheimnisse gewährt, das bedarf wohl keiner weitläufigen Auseinandersetzung. Es gibt aber eine Menge andrer Dinge, die zwar nicht eigentlich Geheimnisse sind, wovon uns aber die Vernunft lehrt, dass es besser sei, sie zu verschweigen, und andre Dinge, deren Ausbreitung wenigstens für niemand lehrreich und unterhaltend sein kann, und wovon es doch möglich wäre, dass ihre Verplauderung irgend jemand nachteilig sein möchte. – Ich empfehle also eine kluge Verschwiegenheit, die jedoch nicht in lächerliche Mysteriösität ausarten muss, als eine sehr wichtige Tugend im Umgange. Übrigens wird man die Bemerkung wahr finden, dass in despotischen Staaten die Menschen im ganzen genommen verschwiegener sind, als wo mehr Freiheit herrscht. Dort machen Furcht und Misstrauen verschlossen und zurückhaltend, hier folgt jeder dem Triebe seines Herzens, sich freimütig mitzuteilen.

      Wenn man auch mehreren Leuten zugleich sein Geheimnis anvertrauen muss, so lege man doch jedem unbedingte Verschwiegenheit auf, damit jeder von ihnen glaube, er wisse es allein, müsse allein für die Bewahrung haften.

      42.

      Gewissen Leuten ist eine Leichtigkeit im Umgange und die Gabe, geschwind Bekanntschaften zu machen und Zuneigung zu gewinnen, wie angeboren; andern hingegen hängt von Jugend auf eine gewisse Blödigkeit und Schüchternheit an, die sie nicht abzulegen vermögen, wenngleich sie täglich fremde Leute allerorten um sich sehen. Diese Blödigkeit nun ist freilich sehr oft die Folge einer fehlerhaften Erziehung,