Über den Umgang mit Menschen. Adolph Freiherr von Knigge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adolph Freiherr von Knigge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783940621238
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leiten! Bescheidenheit ist eine der liebenswürdigsten Eigenschaften und macht um so vorteilhaftere Eindrücke, je seltener diese Tugend in unsern Tagen wird. Sei also auch nicht so bereit, jedermann Deine Schriften unberufen vorzulegen, Deine Anlagen zu zeigen und Deine rühmlichen Handlungen zu erzählen, noch auf feine Art Gelegenheit zu geben, dass man Dich darum bitten müsse. Auch drückeniemand durch Deinen Umgang, das heißt, zeige in keiner Gesellschaft ein solches Übergewicht, dass andre verstummen, sich in schlechtem Lichte zeigen müssen!

      24.

      Widersprich Dir nicht selbst im Reden, so dass Du einen Satz behauptest, dessen Gegenteil Du ein andermal verteidigt hast. Man kann seine Meinung von Dingen ändern, allein man tut doch wohl, in Gesellschaft nicht eher, wenigstens nicht entscheidend zu urteilen, als bis man alle Gründe vor und gegen dieselben gehörig abgewogen hat.

      25.

      Hüte Dich, in den Fehler derjenigen zu verfallen, die aus Mangel an Gedächtnis oder an Aufmerksamkeit auf sich, oder weil sie so verliebt in ihre eigenen Einfälle sind, dieselben Histörchen, Anekdoten, Späße, Wortspiele, witzigen Vergleichungen und so ferner bei jeder Gelegenheit wiederholen.

      26.

      Würze nicht Deine Unterhaltung mit Zweideutigkeiten, mit Anspielungen auf Dinge, die entweder Ekel erwecken oder keusche Wangen erröten machen. Zeige auch keinen Beifall, wenn andre dergleichen vorbringen. Ein verständiger Mann kann an solchen Gesprächen keine Lust haben. Auch in bloß männlichen Gesellschaften verleugne nicht die Schamhaftigkeit, Sittsamkeit und Dein Missfallen an Zoten.

      27.

      Flicke keine platten Gemeinsprüche in Deine Reden ein. Zum Beispiel: dass Gesundheit ein schätzbares Gut; dass das Schlittenfahren ein kaltes Vergnügen; dass jeder sich selbst der Nächste sei; dass, was lange dauert, gut werde, wovon ich das Gegenteil zu beweisen übernehme; dass man durch Schaden klug werde, welches leider selten eintrifft; oder dass die Zeit schnell hingehe – welches, im Vorbeigehn zu sagen, gar nicht wahr ist; denn da die Zeit nach einem bestimmten Maßstabe berechnet wird, so geht sie nicht schneller vorbei, als sie gerade muss, und der, welchem ein Jahr kürzer vorkommt, als es ist, der muss in demselben über Gebühr geschlafen haben oder sonst seiner Sinne nicht mächtig gewesen sein. Solche Sprichwörter sind sehr langweilig und nicht selten sinnlos und unwahr.

      28.

      Belästige nicht die Leute, mit welchen Du umgehst, mit unnützen Fragen. Es gibt Menschen, die, nicht eben aus Vorwitz und Neugier, sondern weil sie nun einmal gewöhnt sind, ihre Gespräche in Katechisationsform zu verfassen, uns durch Fragen so beschwerlich werden, dass es gar nicht möglich ist, auf unsre Weise mit ihnen in Unterhaltung zu kommen.

      29.

      Lerne Widerspruch ertragen. Sei nicht kindisch eingenommen von Deinen Meinungen. Werde nicht hitzig noch grob im Zanke. Auch dann nicht, wenn man Deinen ernsthaften Gründen Spott und Persiflage entgegensetzt. Du hast, bei der besten Sache, schon halb verloren, wenn Du nicht kaltblütig bleibst und wirst wenigstens auf diese Art nie überzeugen.

      30.

      An Orten, wo man sich zur Freude versammelt, beim Tanze, in Schauspielen und dergleichen, rede mit niemand von häuslichen Geschäften, noch viel weniger von verdrießlichen Dingen. Man geht dahin, um sich zu erholen, um auszuruhn, um kleine und große Sorgen abzuschütteln, und es ist also unbescheiden, jemand mit Gewalt wieder mitten in sein tägliches Joch hineinschieben zu wollen.

      31.

      Dass ein redlicher und verständiger Mann über wesentliche Religionslehren, auch dann, wenn er das Unglück haben sollte, an der Wahrheit derselben zu zweifeln, sich dennoch keinen Spott erlauben wird, ich meine, das versteht sich von selber; aber auch über kirchliche Verfassungen, über die Menschensatzungen, welche in einigen Sekten für Glaubenslehren gehalten werden, über Zeremonien, die manche für wesentlich halten, und dergleichen, soll man nie in Gesellschaften spotten. Man respektiere das, was andern ehrwürdig ist. Man lasse jedem die Freiheit in Meinungen, die wir selbst verlangen. Man vergesse nicht, dass das, was wir Aufklärung nennen, andern vielleicht Verfinsterung scheint. Man schone die Vorurteile, die andern Ruhe gewähren. Man beraube niemand, ohne ihm etwas Besseres an die Stelle dessen zu geben, was man ihm nimmt. Man vergesse nicht, dass Spott nicht bessert; dass unsre hier auf Erden noch nicht entwickelte Vernunft über so wichtige Gegenstände leicht irren kann; dass ein mangelhaftes System, auf welchem aber der Grund einer guten Moral liegt, nicht so leicht umzureißen ist, ohne zugleich das Gebäude selbst über den Haufen zu werfen, und endlich, dass solche Gegenstände überhaupt gar nicht von der Art sind, dass man sie in Gesellschaften abhandeln könne.

      Doch dünkt mich, man vermeidet heutzutage oft zu vorsätzlich alle Gelegenheiten, über Religion zu reden. Einige Leute schämen sich, Wärme für Gottesverehrung zu zeigen, aus Furcht, für nicht aufgeklärt genug gehalten zu werden, und andre affektieren religiöse Empfindungen, scheuen sich, auch nur im mindesten gegen Schwärmerei zu reden, um sich bei den Andächtlern in Gunst zu setzen. Ersteres ist Menschenfurcht und letzteres Heuchelei, beides aber eines redlichen Mannes gleich unwert.

      32.

      Wenn Du von körperlichen, geistigen, moralischen oder andern Gebrechen redest oder Anekdoten erzählst, die gewisse Grundsätze oder Vorurteile lächerlich machen oder gewisse Stände in ein nachteiliges Licht setzen sollen, so siehe Dich vorher wohl um, ob niemand gegenwärtig sei, der das Übel aufnehmen, diesen Tadel oder Spott auf sich oder seine Verwandten ziehn könnte.

      Halte Dich über niemandes Gestalt, Wuchs und Bildung auf! Es steht in keines Menschen Gewalt, diese zu ändern. Nichts ist kränkender, niederschlagender und empörender für den Mann, der unglücklicherweise eine etwas auffallende Gesichtsbildung oder Figur hat, als wenn er bemerkt, dass diese der Gegenstand der Verspottung oder Befremdung wird. Leuten, die ein wenig mit der großen Welt bekannt sind und unter Menschen von allerlei Formen und Ansehn gelebt haben, sollte man darüber billig gar nicht mehr erinnern dürfen; aber leider trifft man hie und da, selbst unter fürstlichen Personen, besonders unter Damen, solche an, die so wenig Gewalt über sich oder so wenig Begriffe von Wohlanständigkeit und Billigkeit haben, dass sie die Eindrücke, welche ein ungewöhnlicher Anblick von der Art auf sie macht, nicht verbergen können. – Das ist schwach, und wenn man noch dabei überlegt, wie relativ und dem verschiedenen Geschmacke unterworfen die Begriffe von Schönheit und Hässlichkeit sind, wie so wenig auf sichre Grundsätze beruhend unsre physiognomische Wissenschaft ist und wie oft unter einer anscheinend hässlichen Larve ein schönes, edles, warmes, großes Herz mit einem feinen, tiefdenkenden Kopf steckt, so sieht man leicht, dass man sehr selten Recht, auf das äußere Ansehn eines Menschen nachteilige Folgerungen zu bauen, und nie Befugnis haben kann, die Eindrücke, welche ein solcher Anblick etwa auf uns macht, zu jemandes Kränkung durch Lachen oder auf andre Art kundwerden zu lassen.

      Außer einer sonderbaren Figur können uns aber noch andre Dinge an einem Menschen auffallend sein, zum Beispiel: lächerliche, fantastische, abgeschmackte Gebärden, Manieren, Verzerrungen des Körpers, Unbekanntschaft mit gewissen Sitten, Unvorsichtigkeiten im Betragen, ungewöhnlicher, altmodischer Anzug, u. dgl. Es gehört nicht weniger zu einer guten Lebensart, hierüber nicht durch Lachen oder durch Zeichen, die man einem der Anwesenden gibt, sein Befremden zu erkennen zu geben und dadurch den armen Mann, der sich dergleichen zuschulden kommen lässt, noch mehr in Verlegenheit zu setzen.

      33.

      Briefwechsel ist schriftlicher Umgang; fast alles, was ich vom persönlichen Umgange mit Menschen sage, leidet Anwendung auf den Briefwechsel. Dehne also Deinen Briefwechsel, so wie Deinen Umgang, nicht über Gebühr aus. Das hat keinen Zweck, kostet Geld und ist Zeitverderb. Sei ebenso vorsichtig in der Wahl derer, mit denen Du einen vertrauten Briefwechsel anfängst, als in der Wahl Deines täglichen Umgangs und Deiner Lektüre. Nimm Dir auch vor, nie irgendeinen ganz leeren Brief zu schreiben, in welchem nicht wenigstens etwas stünde, das dem, an welchen er gerichtet ist, Nutzen oder reine Freude gewähren könnte. Vorsichtigkeit ist im Schreiben noch weit dringender als im Reden zu empfehlen, und ebenso wichtig ist es, mit den Briefen, welche man erhält, behutsam umzugehn. Man sollte es kaum glauben, was für Verdruss, Zwist und Missverständnis durch Versäumung dieser Klugheitsregel entstehn können. Ein