Sohle Sieben. Jost Baum. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jost Baum
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783944369556
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wischte.

      »Wieso tragen die Kollegen da vorn so schmucke Ganzkörperkondome, und dat knatternde Ding in deren Hand, wat soll dat?« wollte Eddie wissen, wobei er auf die beiden Männer deutete, die sich vorsichtig an einem aktenkoffergroßen Metallzylinder zu schaffen machten.

      »Mach dich nur lustig! Dat is todernst, wat hier passiert. Die Schutzanzüge sind direkt aus Tschernobyl importiert, oder waren et die Restbestände ausse NVA? Is ja auch egal! Dat Ding, wat son Krach macht, is nen Geigerzähler. Dat sacht uns, dat hier mehr Radioaktivität inne Luft is wie innem Schornstein von nem Kernkraftwerk!«

      »Wieso Radioaktivität?« Jablonski stutzte. »Rehnagel, nimm mal besser das Tele, und geh nicht so nah ran!« ergänzte er das Resultat seiner Überlegungen.

      »Der Tank is explodiert. Dabei is der Kofferraumdeckel aufgegangen. Da ham wir dat Ding entdeckt.«

      »Sieht aus wie ne Waschmitteltrommel mit nem Blindenabzeichen drauf«, grinste Jablonski.

      »Wat hamse dir eigentlich inne Schule beigebracht, oder hasse immer nur inne Nase gepopelt? Mensch Eddie, dat heißt: Achtung! Gefährliche Strahlung!«

      »Und woher weißt du sowat?«

      »Letztes Jahr haben wir son ähnliches Ding gefunden. Ich mußte danach auf Fortbildung, Wochenendseminar. Du weißt schon!«

      »Schon klar: Saufen ohne Ende«, nickte Eddie, wobei er nach einer Zigarette fahndete.

      »Laß die Fluppen bloß stecken, Jablonski, wir sind froh, daß wir den Brand gelöscht haben. Aber Eddie, mal im Ernst, ich weiß beim besten Willen nich, wat ich von der Sache halten soll. Eins steht jedenfalls fest: Ich hab verdammte Angst, dat da wat austritt, von dem wir keine Ahnung haben!«

      »Na, da wird schon irgendeiner ne plausible Erklärung für haben. Stell dich mal für ein Foto mit Geigerzähler vor dem Kofferraum in Positur. Lächeln, Schröder! So is gut!«

      Rehnagel drückte auf den Auslöser und begann dann sofort, den belichteten Film zurückzukurbeln. Für ihn war die Sache abgehakt. Er würde die Bilder entwickeln und sie auf Eddies Schreibtisch legen, bevor er sich auf den Heimweg in Mutters gute Stube machte.

      Während Rehnagel fotografierte, hatte sich Jablonski wieder auf den Beifahrersitz des Käfers zurückgezogen und die Scheibe heruntergelassen.

      »Mach dat ja publik, wat hier so allet auf den Straßen herumfährt. Dat geht nich nur die Feuerwehr wat an, dat sach ich dir!« hörte Jablonski mit halbem Ohr, als Rehnagel den VW beschleunigte und in den zweiten Gang schaltete.

       Viertes Kapitel

      Zwei Tage nachdem der Artikel über den mysteriösen Metallbehälter samt Fotos erschienen war, saß Jablonski vor seinem Schreibtisch in der Redaktion, spielte mit einer aufgebogenen Büroklammer, polkte ein paarmal zwischen den Zähnen nach den Resten seines Frühstücksbrötchens und lehnte sich entnervt zurück. Vor ihm lag eine Einladung zur Einweihung eines Feuerwehrschuppens. Den Termin für die Sitzung des Stadtrates, bei der über die Kürzung des Kulturetats beraten werden sollte, hatte er zwar notiert, aber in letzter Minute Kampmann auf's Auge drücken können, der schon jetzt unter der Last der Urlaubsvertretung für Pohlig zusammenzubrechen drohte. Einen Brief, der auf die Verleihung des Allergikerpreises, einer Art Gasmaske zum Pollenschutz, verwies, hatte er eher amüsiert zur Kenntnis genommen. Was ihm wirklich Sorgen bereitete, war das Schreiben, das in der Innentasche seines Jacketts steckte und ihm mitteilte, daß sein Führerschein wegen Trunkenheit eingezogen wurde und er zusätzlich eine beträchtliche Summe an die Kasse des Amtsgerichts zu überweisen hatte, deren Höhe ihm wirklich Kopfschmerzen bereitete. Sein Gehaltskonto war bereits mehrfach überzogen, die Miete fällig und die paar Mark, die er Hildesheimer abgeluchst hatte, längst ausgegeben.

      Das Einzige, was ihn vielleicht wirklich für einige Wochen aus seiner mißlichen Finanzlage hätte retten können, wären ein, zwei Aufträge gewesen, die er nicht nur im Bochumer Stadtanzeiger, sondern auch in überregionalen Blättern, dann aber unter Pseudonym, veröffentlicht hätte. Daher kam ihm der Hochglanzprospekt, der da vor ihm lag, gerade recht. Ein Wissenschaftlerteam aus einem Geologen, zwei Chemikern und einem Physiker, ein gewisser Professor Hirschel, hatte angeblich ein Verfahren entwickelt, die Müllberge der Bundesrepublik in stillgelegten Kohlestollen verschwinden zu lassen. Gleichzeitig würden Arbeitsplätze geschaffen und nicht zuletzt der Umwelt ein Dienst erwiesen. Dieses aussichtsreiche Unterfangen wollte Professor Hirschel noch am selben Nachmittag dem staunenden Publikum im Hörsaal 21 der Ruhr-Universität präsentieren. Für den Abend lud man die Vertreter der Presse zu einem Empfang ins Hotel Haus Ruhrblick ein.

      Jablonski griff zum Hörer, nachdem er sich eine Roth Händle angesteckt hatte, und ließ sich mit dem Chefredakteur des Brennpunkt verbinden, einer Zeitgeistpostille, deren Fast Food aus ein paar Statistiken, zwei, drei launigen Kommentaren und einem Interview bestand, die niemandem wirklich auf die Füße trat und deren Pseudolösungen kein halbwegs gescheiter Leser ernst nahm. Eddie hatte Glück. Tatsächlich ließ sich der Mann davon überzeugen, daß diese keimfreie Entsorgung des Mülls genau das Thema war, wonach sich sein Publikum bereits seit Wochen verzehrte.

      Der Linienbus stoppte, die pneumatischen Türen öffneten sich, und Jablonski stolperte hinter einem hochgewachsenen Mädchen in Reithose ins Freie, das zielstrebig auf den Betonklotz zuging, der sich vor ihnen wie ein drohender Zeigefinger in den milchig-dunstigen Himmel reckte. Jablonski legte einen Schritt zu. Als er etwa in gleicher Höhe mit der blassen, blonden jungen Dame war, sprach er sie an, stutzte aber einen Moment, da er sich plötzlich nicht mehr sicher war, eine Studentin vor sich zu haben.

      Das Mädchen musterte ihn mit dem abschätzenden Blick eines Pferdehändlers, klemmte sich die Collegemappe fester unter den Arm und erklärte ihm mit klarer, kalter Stimme den Weg, den er nehmen mußte, um den Hörsaal zu finden.

      Erleichtert atmete Eddie auf, als er nach wenigen Metern ein Plakat fand, das einen stilisierten Förderturm zeigte, über dem in schwarzen, fetten Lettern Kolloquium: Entsorgung industrieller Altlasten zu lesen war.

      Er folgte den orangen Pfeilen, die jemand vorsorglich angebracht hatte, bestieg einen Fahrstuhl, der ihn in die vierte Etage brachte, durchquerte einen von Neonlicht durchfluteten Gang und gelangte schließlich an eine breite, lindgrün lackierte Tür, hinter der sich der Hörsaal befand: Ein fensterloser, halbrunder Raum, in den eine Treppe hinabführte, von der rechts und links handtuchschmale Gänge abzweigten, in denen Klappstühle aufgestellt waren, die man mittels Stahlstreben miteinander verbunden hatte. An diese Stühle war jeweils ein Klapptischchen von der Größe eines Frühstücksbrettchens montiert.

      Jablonski klemmte sich auf einen der Stühle und klappte den Tisch herunter. Er prüfte mit einem kurzen Ruck die Haltbarkeit der Konstruktion, bevor er Kugelschreiber und Notizblock darauf ablegte. Dann harrte er der Dinge, die da kommen sollten. Während sich der Saal langsam füllte und einige Herren mit wichtigtuerischer Miene, mit grauen, aber modisch geschnittenen Anzügen in der ersten Reihe Platz nahmen, spürte Eddie einen ständigen Luftzug aus dem Metallschlitz, der direkt vor dem Klappmechanismus des Tischchens angebracht war. Schon nach einigen Minuten tränten seine Augen, und er wünschte, diese Bakterienschleuder ausschalten zu können.

      Ein langer, hochgewachsener Mann, Ende Fünfzig vielleicht, mit graumelierten Haaren und einem frisch gestutzten Schnauzbart, schritt gemächlich die Stufen zu einem Podest hinunter, auf dem ein Stehpult aufgestellt war, aus dem der Schwanenhals eines Mikrofons ragte.

      Wie auf Kommando erloschen die Deckenleuchten. Nur noch eine Art Notlicht glimmte zu Füßen des Pultes. Im selben Moment, in dem man das Knarzen des Mikrofons vernahm, projizierte der Strahl eines Diaprojektors ein grellbuntes Rechteck auf die Wand hinter dem Stehpult.

      Endlich, nach zwei, drei vergeblichen Anläufen, war das Plakat der Veranstaltung klar und deutlich über dem Kopf des Mannes zu sehen, der da vor dem Stehpult stand, einen Schluck Wasser trank und sein Auditorium begrüßte. Er hieße Professor Hirschel und wäre von einem Wissenschaftlerteam beauftragt worden, das Forschungsvorhaben vorzustellen.

      Das nächste Dia zeigte ein Kohlebergwerk