Zanderblut. Wolfgang Wiesmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Wiesmann
Издательство: Bookwire
Серия: Kommissarin Fey Amber
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783942672627
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Kempinski war das Gespräch mit Pörschke auf die Leber geschlagen. Die Sache rotierte in seinen Gedanken, sodass er erst jetzt realisierte, dass er längst an seinem Angelplatz am Teich angekommen war. Die Art, wie Pörschke ihn überzeugen wollte, verdarb ihm immer noch die Laune. Warum sollte er allein die ganze Last tragen? Da hatte sich Pörschke geschnitten, denn er hatte seinen Vorschlag abgelehnt. Sollte Pörschke das Ding doch selbst durchziehen! Patriotismus hin oder her. Das war doch billige Hetze. Mani gab einen Scheiß auf Pörschke und die Kollegen im Vorstand. Denen ging es doch nur um die eigene Nase, die wollten ihren Posten im Verein sichern. Er wollte nur in Ruhe angeln. Da durfte ihm niemand an den Karren fahren. Da war er wie ein ungezogenes Kind, das jähzornig zum Tafelbesteck griff.

      Der Klappstuhl grätschte sich bedenklich weit nach unten, als er sich setzte und eine Zigarette aus der Schachtel zog. Eine Pause war fällig, bevor er die Ruten setzte. Gemächlich sah er über das Wasser, einzelne Kringel an der Oberfläche verrieten ihm, dass die Rotaugen nach aufsteigenden Larven suchten und der Sommer noch nicht vorbei war.

      Seine Absicht an diesem Freitagnachmittag bestand darin, die richtigen Köder für das morgige Abangeln auszuprobieren. Alle Mitglieder würden kommen und für den Abend war eine große Party im Vereinshaus geplant.

      Kempinski warf seinen Köder aus – genau an eine Stelle, die man nur mit einer langen Rute erreichen konnte. Die Anschaffung der Carbonrute hatte sich bereits bezahlt gemacht, so zielsicher, wie sie den Köder an den richtigen Platz positionierte. Erwartungsvoll setzte er sich zurück in den Klappstuhl, hielt aber dann in der Bewegung inne, als hätte ihn der Schlag getroffen. Die Pose hatte sich nicht einmal richtig aufgestellt, da zog sie auch schon seitwärts, tauchte weiter ein und verschwand unter der Wasseroberfläche. Seine rechte Hand langte zur Rute und umfasste den Griff. Er gab der Schnurspannung nach. Wieg dich in Sicherheit, mein Guter, ging es ihm wie ein gewetzter Spruch durch den Kopf. Lass es dir schmecken und nun schluck. Mani Kempinski spannte alle Muskeln seines Körpers an, auch die, die er für die anstehende Aktion nicht brauchte. Mit einem Ruck zog er an der Angelrute, um den Haken tief ins fleischige Maul des Karpfens zu jagen. Dann fühlte er mit Herzrasen, wie sich die Schnur ohne sein Beitun spannte. Der Haken saß und das Opfer war auf der Flucht.

      Nun ging es darum, den Cypriniden mit Fingerspitzengefühl Meter um Meter näher ans Ufer zu holen. Die geflochtene Schnur würde den Fluchtversuchen widerstehen, aber er wusste nicht, wie der Karpfen gebissen hatte. Saß der Haken nur in einer oberen Hautschicht oder hatte sich die Spitze ins knorpelige Gewebe vorgeschoben? Er hatte sich so manches Mal gefragt, warum sein Herz immer so aufbrauste, wenn er einen Fisch an der Angel hatte. Mit Blick auf vierzig Jahre Angelsport dürfte sich sein Organismus angepasst haben, aber eben das war nicht passiert. Sein Puls schoss aus unerklärlichen Gründen hoch, als ginge es um sein Leben. Alles, was schlimmstenfalls passieren konnte, war der Verlust des Karpfens, den er ja eigentlich gar nicht haben wollte. Ihm ging es heute doch bloß darum, verschiedene Köder auszutesten.

      Dort im dunklen Wasser kämpfte ein Wesen um sein Leben. War es das? War es die Angst des Fisches vor dem Tod? War es, diese Angst in den Fingern zu spüren? Animierte ihn der Todeskampf? War er nur ein normaler Angler oder ein Handlanger des Sensenmannes? Der Tod, das war er. Es lag in seinem Ermessen, ob der Fisch sterben würde. Diese Gewalt hatte er nicht über Menschen, jedenfalls übte er sie nicht aus. Und vielleicht genau deswegen erregte ihn die Komplizenschaft mit dem Tod und genau deswegen hatte er sie zu seinem Hobby gemacht, einem Hobby, das so harmlos aussah, dass es einen Bund mit dem Bösen außer Frage stellte.

      Kempinski stapfte vorsichtig bis an die Wasserkante. In seiner linken Hand hielt er den Kescher. Die Rute bog sich wie der Ast einer Trauerweide. Die Spannung der Schnur ließ das Wasser, in das sie eintauchte, erzittern. Plötzlich kam der Fisch hoch und schlupfte seinen goldenen Bauch durch das sprudelnde Nass, um gleich wieder abzutauchen. Ein Karpfen, wie er es erwartet hatte. Kein Rekordmaß, aber ein guter Vorbote auf den großen Vetter am Samstag.

      Der Fisch zappelte, als Kempinski ihn aus dem Kescher nahm und auf den Boden legte. Für gewöhnlich würde er seinen Fang nun mit einem Schlag betäuben und dann abstechen, indem er eine Messerklinge so zwischen die Brustflossen schob, dass das Herz getroffen wurde. Er könnte die armselige Kreatur aber auch einfach zappeln lassen, bis sie erstickt war. Einen Fisch zu töten, das hatte ihm nie etwas ausgemacht und das mit Recht, pflegte er Andersdenkenden mit einem Anflug von Stolz zu sagen. Alle Fleischesser ließen Tiere töten, Tiere, die eigentlich ein Scheißleben hatten. Er war ein Jäger, aber einer, der seine Beute achtete. Der Fisch hatte um sein Leben gekämpft und das flößte ihm Respekt ein. Er war in gewisser Weise ein ebenbürtiger Gegner, einer auf Augenhöhe, denn er hätte ja auch nicht anbeißen können.

      Einen Moment später lag der Fisch still im Gras und schluckte Luft. Kempinski sah sich die Bissstelle an. Wunderbar im Maul gehakt. Hatte er doch im richtigen Augenblick angeschlagen. Diese Kunst beherrschte er. Er beugte sich über seine Beute, nahm eine spitze Zange und wollte gerade den Haken entfernen, als ihm ein rötlicher Schimmer in die Augen stieß. In der Rückenflosse des Karpfens steckte ein Ohrring mit einem dunklen Rubin. Sein Atem stockte. Der Anblick des funkelnden Edelsteins erinnerte ihn kurz an seine verstorbene Mutter, die auch solche Ohrstecker getragen hatte. Er zwinkerte mit den Augen, um sicherzugehen, keiner visuellen Täuschung aufzusitzen.

      Das konnte nur ein blöder Scherz sein, aber niemand im Verein würde auf eine solch absurde Idee kommen. Waren es etwa die aus Haltern, die versuchten, die Dülmener Konkurrenz lächerlich zu machen, so wie Pörschke den Halterner Verein mit seiner Wasserpest in Verruf bringen wollte? Lief da unterschwellig bereits ein hässliches Schmierentheater? Ausschließen konnte er das nicht, also musst er jetzt handeln. Das konnte sein Verein nicht auf sich sitzen lassen. Er zog sein Finnenmesser aus dem Lederetui, stach zu und schlitzte dem Karpfen den Bauch zwischen den Kiemen auf. Blut ergoss sich auf das nasse, schleimige Gras.

      Walter Haverkamp, Vorstandsvorsitzender des Halterner Angelvereins, und sein Kassenwart Udo Teltrup saßen in der Kajüte, einer Kneipe am Stausee. Der Wirt Peter Beckmann hatte ihnen zwei frisch gezapfte Pils gebracht.

      „Zum Wohlsein“, sagte Beckmann, schob einen Stuhl beiseite, stellte seinen rechten Fuß auf die Sitzfläche und beugte sich vor. „Wie steh’n die Aktien? Kriegt ihr den Sythener Baggersee? Da wärt ihr ganz unter euch, so mit neuem Vereinsheim, Grillen und alles mitten im Wald. Das zieht. Holt euch die Jugend ran, die aus der Mittelschicht. Die haben später Geld und dann baut ihr neue Teiche und eine eigene Zuchtanstalt für den Besatz. Wie wär das, Jungs?“

      „Komm, hör du auf zu reden. Guck dir deinen Schuppen an. 1-a-Lage und was haste draus gemacht: ’ne Baracke“, stänkerte Haverkamp.

      „Hab den Zug verpasst, bin nicht der Einzige. Die alte Gastronomie von Haltern hat sich längst verabschiedet. Seestern, die alte Stadtmühle, Haus Niemen – bis auf den Heimingshof ist nichts mehr vom alten Charme übrig geblieben. Was hatten wir Spaß am Alten Garten, sind die Stever hoch bis zum Strandbad am Heimingshof geschwommen. Und dann die Mädchen.“ Beckmann warf einen melancholischen Blick durch die verschmierten Fensterscheiben seiner Kneipe hinaus auf die Stege am See. „Was soll’s, trinken wir einen auf die guten alten Zeiten.“

      Die klapprige Eingangstür zur Schenke öffnete sich und eine Frau in dezent grün-brauner Freizeitkleidung mit dazu passenden Trekkingschuhen trat ein. Beckmann nahm seinen Fuß vom Stuhl, stieß leise ein paar stöhnende Lacher aus und flüsterte:

      „Pastevka, die Vogelscheuche aus dem Rathaus. Die würde euch Angler gerne zum Mond schießen.“

      Die grüne Politikerin hatte sich für die Errichtung eines Naturschutzparks als zukünftige Nutzung des Baggersees stark gemacht und dabei deftig gegen die Pläne des Halterner Angelvereins gewettert. Ein persönlicher Diskurs von Angesicht zu Angesicht hatte bisher nicht stattgefunden.

      Beckmann schlenderte zu seinem Tresen und Haverkamp und Teltrup rückten näher zusammen, als machten sie sich auf eine Attacke gefasst. Gundula Pastevka nahm am Nebentisch Platz und ließ es sich nicht nehmen, den beiden Männern mit einem herabwürdigenden Gesichtsausdruck mitzuteilen, was sie von ihnen hielt.

      Haverkamp