Reform oder Blockade. Andreas Zumach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Zumach
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783858699121
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WHO es nach der Verbreitung des Virus über die Grenzen Chinas hinaus Anfang 2020 versäumt, vor internationalen Reisen zu warnen. Daher seien »China und die WHO gemeinsam verantwortlich für die weltweite Verbreitung des Virus«. Zeitweise behauptete Trump, das Corona-Virus sei aus einem »chinesischen Labor zur Herstellung biologischer Waffen« entwichen. Trump vollzog den Austritt der USA aus der WHO. Bis zum Ende seiner Amtszeit bezeichnete er das Corona-Virus als »China-Virus«. Damit versuchte der US-Präsident vergeblich, von der eigenen, in jeder Hinsicht verantwortungslosen und katastrophalen Politik zur Bekämpfung der Corona-Pandemie abzulenken, die er unter anderem als »harmlose Erkältungskrankheit« oder als »Erfindung der Demokraten« im Präsidentschaftswahlkampf abtat.

      Trumps krasse Falschbehauptungen und Lügen sind längst widerlegt und können getrost als reine Propaganda abgelegt werden. Es gab allerdings zumindest in der Anfangsphase der Pandemie Anlass zu Kritik an China und zu Unzufriedenheit mit der WHO-Führung unter Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Bereits im November 2019 traten in der chinesischen Stadt Wuhan Fälle einer bis dahin unbekannten Lungenerkrankung auf. Doch erst am 31. Dezember 2019 meldete Peking diese Fälle an die WHO. Vor diesem Datum, aber auch danach wurden chinesische Ärzte und Gesundheitsexpertinnen sowie Journalistinnen und Journalisten, die frühzeitig vor dem Virus gewarnt und Vertuschungsmanöver der eigenen Regierung kritisiert hatten, mundtot gemacht. Dennoch fand der WHO-Generaldirektor bei seiner ersten Pressekonferenz zum Thema am 23. Januar 2020, nach seinem Pekinger Treffen am 28. Januar 2020 mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping und auch bei allen weiteren öffentlichen Erklärungen bis Anfang März 2020 stets nur lobende Worte für die Maßnahmen der chinesischen Führung zur Bekämpfung des Corona-Virus. Das trug dem Generaldirektor den Vorwurf »zu großer Gutgläubigkeit« gegenüber Peking und Rücktrittsforderungen ein. Verteidiger des Generaldirektors weisen darauf hin, er habe bei seinen internen Gesprächen mit chinesischen Regierungsvertretern deutliche kritische Worte gefunden, bei seinen öffentlichen Erklärungen aber darauf Rücksicht nehmen müssen, dass China inzwischen neben den USA das gewichtigste Mitglied der WHO sei. Anfang Januar 2021 äußerte sich der Generaldirektor »sehr enttäuscht« darüber, dass die chinesische Regierung die Einreise einer Expertendelegation der WHO, die die Ursprünge des Pandemieausbruchs 2019 untersuchen soll, immer wieder verzögerte. Mitte Januar 2021 durfte die Delegation endlich einreisen, allerdings nur unter erheblichen Restriktionen. Ob unter diesen Umständen die offenen Fragen jemals geklärt werden können, bleibt abzuwarten.

      Die Probleme in der Anfangsphase der Corona-Pandemie weisen auf ein grundsätzliches Dilemma der WHO hin, das auch bei früheren Epidemien und Pandemien schon auftrat. Die WHO hat bis heute keinerlei Handhabe, um nach Auftreten einer bis dato unbekannten Krankheit in einem Mitgliedsland dort eigenständige, von der jeweiligen Regierung unabhängige Nachforschungen über diese Krankheit und ihre Ursachen anzustellen.

      Notwendig wären neue, rechtsverbindliche Befugnisse für die WHO, wie sie der Präsident Südkoreas Moon Jae-in bei der Generalversammlung im Mai 2020 vorschlug. Am wichtigsten wäre die Stationierung ständiger WHO-Beobachter in allen 194 Mitgliedsländern mit uneingeschränkten Kompetenzen zur Informationsbeschaffung bei Regierungsbehörden wie bei nichtstaatlichen Akteuren. Doch hätte die lautstark nach Reformen der WHO rufende Trump-Administration die dauerhafte Anwesenheit von internationalen Beobachtern im eigenen Land akzeptiert? Auf die Gefahr hin, dass diese dann möglicherweise Informationen über die krankheits- und epidemiefördernden Mängel im US-Gesundheitssystem sammelten? Wahrscheinlich nicht. Die Trump-Administration stimmte bereits bei der WHO-Generalversammlung im Mai 2020 gegen eine Resolution mit der Forderung, mit einer »unparteiischen, unabhängigen und umfassenden Evaluierung« die Reaktion auf die Corona-Pandemie zu untersuchen – und zwar nicht nur in China, sondern »weltweit«, damit auch in den USA.

       Mangelnde öffentliche Finanzierung der WHO und zunehmende Abhängigkeit von privaten Spendern

      Die Kritik am Versagen der WHO gegenüber der 2014 ausgebrochenen Ebola-Epidemie ist berechtigt. Zugleich ist diese Kritik aber wohlfeil, ja häufig verlogen, wenn sie von Regierungen der WHO-Mitgliedstaaten geäußert wird. Denn die Mitgliedstaaten sind dafür verantwortlich, dass die größte Sonderorganisation des UNO-Systems schon seit Jahrzehnten chronisch unterfinanziert ist. Seit Ende des Kalten Krieges ist die WHO in immer stärkere Abhängigkeit von Pharmakonzernen, Stiftungen und anderen privaten Geldgebern geraten. Die Interessen dieser privaten Geldgeber bestimmen heute in erheblichem Ausmaß die Politik der WHO – stärker als bei jeder anderen Sonderorganisation der UNO. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die WHO ihren Kernauftrag, die Errichtung von funktionierenden öffentlichen Gesundheitssystemen zu unterstützen und damit zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Gesundheit in allen Ländern dieser Erde beizutragen, zunehmend vernachlässigt.

      Die hochproblematische Entwicklung der WHO stößt schon seit langem auf scharfe Kritik von Medico International und anderen im Gesundheitsbereich engagierten Nichtregierungsorganisationen (NGO). Diese WHO-kritischen NGOs haben sich international im People’s Health Movement vernetzt.

      Die Kritik von Medico International am mangelnden Interesse der Pharmaindustrie und der reichen Mitgliedstaaten der WHO, schon lange vor der aktuellen Ebola-Epidemie in die Forschung nach Medikamenten zur Bekämpfung der Seuche zu investieren, wird auch von anderen Gesundheitsfachleuten geteilt.

      Nach Überzeugung der Ärztin Gisela Schneider, Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission (Difäm), hätte die Forschung bereits nach den ersten größeren Ebola-Ausbrüchen in der Demokratischen Republik Kongo (1995) und in Uganda (2000) intensiviert und staatlich gefördert werden müssen. Nun brauche es »so eine furchtbare Epidemie, damit auch mehr öffentliche Gelder zur Verfügung stehen«.

      Stattdessen standen der WHO aber nicht einmal genug Gelder zur Verfügung, um auf die Ebola-Epidemie des Jahres 2014 angemessen reagieren zu können. Denn im Vergleich zum vorherigen Zweijahreshaushalt 2012/13 hatte das Budget 2014/15 der Weltgesundheitsorganisation mehr als 50 Prozent der Gelder für Krankheits- und Krisenmanagement eingebüßt. Von den noch 469 Millionen US-Dollar (knapp 375 Mio. Euro) für 2012/13 verblieben für 2014/15 nur noch 228 Millionen US-Dollar (ca. 180 Mio. Euro). Dies jedoch war genau die Summe, die der Organisation damals eigentlich hätte zur Verfügung stehen müssen, um nur angemessen auf Ebola reagieren zu können. Stattdessen konnte die WHO in ihrem Haushaltsplan ledglich 71 Millionen US-Dollar (rund 57 Mio. Euro) veranschlagen für die Umsetzung des Ebola-Programms – ein solches Defizit würde gar nicht existieren, wenn die Mitgliedstaaten den Etat zur Krisenintervention nicht um mehr als die Hälfte gekürzt hätten. Sie 2014 ist die Schere zwischen den finanziellen Mitteln, die die WHO benötigt, um ihren Auftrag zu erfüllen, und den Mitteln, die die Mitgliedstaaten der Organisation in Form fester Beiträge zur Verfügung stellen, noch weiter aufgegangen. Damit hat auch die Abhängigkeit der WHO von der von Microsoft-Gründer Bill Gates und seiner Frau Melinda betriebenen Stiftung, von Wirtschaftsunternehmen und anderen privaten Geldgebern weiter zugenommen.

      Bill Gates ist einer der Lieblingsfeinde von Corona-Leugnern und Gegnern von Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Im Internet sowie bei Demonstrationen und Kundgebungen verbreiten sie zahlreiche Falschbehauptungen über die angebliche Rolle von Gates sowie seinen Einfluss in der WHO und auf die globale Gesundheitspolitik: Gates habe das Corona-Virus erfunden und in der Welt verbreitet, er wolle einen weltweiten Impfzwang durchsetzen, er finanziere über 80 Prozent des Haushalts der WHO. Das sind unhaltbare Verschwörungstheorien oder zumindest maßlose Übertreibungen, deren Verbreiter zum Teil mit falschen oder aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten von Gates operieren. Daher nachfolgend die Fakten zu Rolle und Einfluss von Gates und seiner Stiftung. Diese sind tatsächlich nicht unproblematisch, im Wesentlichen allerdings Folge des Versagens der Mitgliedstaaten von UNO und WHO seit den neunziger Jahren.

      Die Bill & Melinda Gates Foundation ist die weltweit größte und bekannteste philanthropische Stiftung mit einem Vermögen von über 60 Milliarden US-Dollar. Laut dem Abschlussbericht der WHO über das Haushaltsdoppeljahr 2017/18 war die Gates-Stiftung 2018 mit einem Anteil von knapp 10 Prozent –