Hamam Balkania. Vladislav Bajac. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Vladislav Bajac
Издательство: Bookwire
Серия: editionBalkan
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943941388
Скачать книгу
dem man danach den notwendigen Bestandteil hinzufügt, der sich allerdings nur auf die Zukunft bezieht. Und stellen Sie sich vor, was für ein Wirrwar entsteht, wenn dieser Nachhaltigkeit das Wort Geschichte zugefügt wird.

      Wichtig zu wissen ist, was in der Auslegung der europäischen politischen Institutionen als begleitendes Instrumentarium zu solchen künstlichen Syntagmen passt. Am häufigsten passt dazu eine Art Erpressung: Wenn sie das und das erfüllen, dann bekommen sie das und das … Dann ist Ihr Projekt nachhaltig. Das ist die wesentliche Bedeutung. Natürlich würde das niemand von den Autoren der Erklärung jemals zugeben, sondern würde über die Erfüllung zahlreicher und langwieriger Bedingungen reden, aber nicht um zu erpressen, sondern wegen des erfolgreichen Gelingens des Projekts. Kurz gesagt, man erklärt ihnen, dass bevor eine Entscheidung über die Unterstützung eines Vorschlags getroffen wird, eine Studie über seine realistische Zukunft, seine sichere Dauer und sein noch sichereres Überleben angefertigt wird. Wo ist hier die Wahrheit? Man kann sagen – sehr wahrscheinlich irgendwo zwischen diesen beiden Erklärungen. Aber nein. Sie ist näher an der Erpressung dran, gerade weil es für das Negieren der Erpressung diese außergewöhnlich logische Erläuterung gibt, die sowohl richtig als auch ideal für Manipulationen ist. An und für sich ist das nicht falsch, aber es verlangt einfach nach einem Zusatz.

      Ein Beispiel.

      In einem der ausschlaggebenden (französischen) Bücher über das Osmanische Reich, einem Sammelband mit Texten von ungefähr zwanzig anerkannten Experten aus aller Welt, Spezialisten nicht nur für bestimmte Epochen, sondern auch für bestimmte Themen in diesem Bereich, und unter der Federführung eines Mannes von unstrittiger Autorität taucht sozusagen solch eine, ob ignorante oder doch subtilidiotische Manipulation von Daten auf, und das, siehe da!, im Abschnitt mit der Überschrift »Die Leitung des Reichs«, fortgesetzt im Kapitel »Die Hebel der Macht«:

      »Das System zeichnete sich innerhalb der herrschenden Schicht des Imperiums durch außergewöhnliche ethnische Vielfalt aus. Unter den siebenundvierzig Großwesiren (während der Herrschaftszeit von elf Sultanen – Anm. V. B.), die sich zwischen 1453 und 1623 abwechselten, waren nur fünf türkischer Herkunft.«

      Mein Kommentar:

      Hier unterbreche ich das Zitat (aber ich werde gleich dort, wo ich aufgehört habe, fortsetzen), um zu unterstreichen, um welche außerordentlich wichtige Angabe es geht! Wenige Menschen wissen von diesem mathematischen Versteckspiel (diesmal in die Geschichte verschoben und erst danach in die Literatur), das aber total frappierend ist: dass das mehrere Jahrhunderte währende und stärkste Imperium Vorderasiens und eines beachtlichen Teils Europas und Afrikas so einfach und konsequent die größte Macht hartnäckig in die Hände von Menschen legte, die nicht seinen ethnischen Hintergrund und sehr oft nicht einmal (ursprünglich) seinen Glauben hatten! Diese Angabe als solche verlangt eine Pause im Zitat, was sonst, oder etwa nicht?

      Und dann folgt das »Einkochen«.

      »Neben den anderen waren elf Albaner, sechs Griechen, ein Tscherkesse, ein Armenier, ein Georgier und ein Italiener, während zehn von ihnen unbekannter Herkunft waren.«

      Mein Kommentar:

      Gut, nach dem hartnäckigen Addieren kann und muss man über das unmögliche Erreichen der Gesamtzahl von siebenundvierzig Großwesiren hinweggehen. Aber, wo sind diese fehlenden elf? Welcher Herkunft waren sie, wenn sie weder unter den Türken noch unter einer der anderen genannten ethnischen Gruppen, aber auch nicht unter den »zehn mit unbekannter Herkunft« zu finden sind? Was will uns diese Unkenntnis über den Rechenvorgang des Addierens eigentlich sagen? Oder will es uns nichts sagen, da wir nicht verdienen, es gesagt zu bekommen?

      Und danach folgt sofort, im gleichen Passus, das »Mutmaßen«.

      »Der Großwesir Mehmed Pascha Sokolović und Kul3 des Sultans, ein Serbe aus Bosnien, zeigte sich demütig gegenüber seinen Wurzeln, als er in seinem Geburtsland religiöse Stiftungen errichteten ließ oder als er 1557 die Erneuerung des serbischen Patriarchats in Peć ermöglichte.«

      Mein Kommentar:

      So, jetzt haben wir in der vorausgegangenen Rechnung noch einen entdeckt, den nicht existierenden Großwesir! Jetzt fehlen uns nur noch zehn! Ich würde nicht sagen, dass der Autor bzw. die Autoren der Studie nicht auch wissen, um wen es sich handelt. Einzig wir wissen nicht, ob dieser, den wir entdeckt haben, zu den »zehn mit unbekannter Herkunft« gehört oder zu den anderen zehn, die uns in der Aufzählung fehlen? Natürlich habe ich in diesem Zitat absichtlich die Angaben über Sokolović ausgelassen (die von den Autoren der Sammlung stammen, nicht von mir), damit man sieht, dass die Autoren alles, was nötig ist, über ihn wissen. Zuerst existiert er nach ihren Ausführungen gar nicht als Großwesir, um dann bereits im ersten nachfolgenden Abschnitt desselben Textes desselben Buches sehr wohl existent zu sein. Das heißt, sie wissen auch um all die anderen, doch aus irgendwelchen nur ihnen selbst bekannten Gründen lassen sie deren Existenz nicht zu.

      Ich kenne zum Beispiel mindestens noch einen von diesen »nicht existierenden« Wesiren. Sie fragen sich, wie, wenn die Autoren keine Namen nennen (außer den von Mehmed Pascha)? Weil ich weiß, dass auch dieser der Herkunft nach Serbe war. Sein Name ist Rüstem Pascha Opuković. Ist es nötig, dass ich diese Behauptung mit einigen Angaben erhärte? Ja? Gut. Er wurde 1500 in Bosnien geboren, in der Umgebung von Sarajevo. Er hatte die Position eines Großwesirs inne, sogar zweimal: von 1544 bis 1553 und von 1555 bis zu seinem Tod im Jahr 1561. Zwei Mal – ungewöhnlich und selten und vor allem leicht in Erinnerung zu behalten. In die Position eines Großwesirs des Reiches berief ihn Süleyman der Prächtige persönlich, nach den Zerwürfnissen zwischen dem bis dahin herrschenden Großwesir Hadim Süleyman Pascha (der Namensvetter des Sultans) und dem zweiten Wesir des Reiches Deli Husrev Pascha (wie wir bereits wissen, der Herkunft nach auch Serbe). Der Sultan setzte beide zur Strafe ab und vertrieb sie aus der Hauptstadt. Ein Großwesir wurde also totgeschwiegen zur Zeit des mächtigsten Sultans des Osmanischen Reiches, das damals gerade auf dem Höhepunkt seiner imperialen Kraft seit Bestehen angelangt war! Der Mann, dem der Sultan seine Lieblingstochter Mihrimah zur Frau gab, die aus seiner berühmten, glücklichen und langjährigen Beziehung zu Hürrem (der früheren Sklavin mit dem Namen Roxelane, der Tochter eines russischen Geistlichen) stammte. Vergesslichkeit? Unwissen? Zufälligkeit?

      Wenn ich ein Paranoiker, Nationalist oder ein Anhänger der so genannten Verschwörungstheorie wäre, würde ich behaupten oder zumindest die Möglichkeit in Erwägung ziehen, wenigstens im Scherz – (obwohl solche Leute mit diesen Sachen nicht scherzen und vielleicht überhaupt nie scherzen), dass die übrigen neun ausgelöschten Großwesire – ohne Ausnahme Serben waren!

      Hier ist eine Hausaufgabe für die Passionierten.

      Natürlich konnten sie alle irgendeiner, egal welcher ethnischen Herkunft sein, solange sie existierten! Aber in diesem Fall scheint es das Schwierigste zu sein, den Beweis zu erbringen, dass sie überhaupt gelebt haben.

      Die Mathematik vermag offenbar in der Geschichte genauso erfolgreich zu sein wie in der Literatur.

      Aber was sollen wir mit der nachhaltigen Lüge machen?

      5. KAPITEL

      Ungeachtet der ganz offensichtlichen äußeren Übereinstimmung im Lernen und Verhalten erkannte Bajica deutlich genug die Unterschiede in der Rezeption des Islams unter seinen Mitschülern. Zunächst stach da eine Gruppe aus der Generation heraus, die schon ein paar Jahre früher nach Edirne gelangt war. Ihr gehörte auch Mustafa an, der Bruder von Deli Husrev Pascha. Diese jungen Burschen achteten darauf, ihre Abwehrhaltung gegenüber dem Islam nicht vor den Lehrern und Wächtern zu zeigen, doch vor den anderen Schülern machten sie keinen Hehl daraus. Sie sagten, dass sie sich auf keinen Fall vom christlichen Glauben lossagen können, und besonders gern wandten sie sich an Bajica. Sicherlich weil er der einzige war, der vor seiner Ankunft zum orthodoxen Mönch ausgebildet und noch dazu direkt aus dem Kloster nach Edirne gebracht worden war.

      Dennoch schienen sie irgendwie von seiner Zurückhaltung überrascht und auch von seinen Ratschlägen. Wahrscheinlich erwarteten sie nicht nur, dass er sie offen und direkt unterstützte, sondern möglicherweise auch anführte. Sie wussten wohl