»Ist Dr. Derksen schon operiert?« fragte Waltraud, als Franzi zu ihr ans Bett kam.
»Erst am Mittwoch.«
»Das ist sicher ein guter Tag, ich werde ihm in Gedanken das Beste wünschen. Und du sagst mir dann auch Bescheid, wie es ihm geht, Franzi.«
»Dir wird es gutgehen, Mutter, ich bin froh darüber. Es wird dir bestimmt gefallen.«
Franzis Gedanken waren bei Frank Derksen. So ganz wurde sie die Angst nicht los, daß es Komplikationen geben könnte. Sie hätte ihn anderntags am liebsten besucht, aber er hatte ausdrücklich gesagt, daß vor der Operation niemand kommen solle.
*
Kirsten hatte ihn noch einmal aufgesucht, als sie von Geli gekommen war. Sie war niedergeschlagen, weil Geli gesagt hatte, warum man sie nicht hätte sterben lassen. Sie hätte mit dem Leben abgeschlossen.
Ihre Fehlgeburt, von der sie kaum etwas gemerkt hatte, nahm sie regungslos hin. Als Kirsten sie dann aber fragte, was sie alles für Tabletten geschluckt hätte, wurde sie aggressiv, und dann warf sie Kirsten vor, daß sie sich an Peter Brack herangemacht hätte.
»Jetzt will ich dir mal etwas in aller Ruhe sagen, Geli, dieser Kerl widert mich an. Ich wollte ihn deinetwegen sprechen, aber das habe ich bitter bereut. Er ist so falsch und verlogen, daß du mir nur leid tun kannst, wenn du noch einen Gedanken an ihn verschwendest. Du hast soviel für ihn aufgegeben, jetzt gib dich nicht auch noch selbst auf. Und komm jetzt ja nicht wieder damit, daß er ein armes Opfer von mißgünstigen Kollegen ist. Hätte ich nur vorher die ganze Wahrheit gekannt, hätte ich kein Wort mit ihm gesprochen.«
Geli hatte nichts mehr gesagt. Kirsten wußte nicht, was sie dachte, ihr Gesicht war wie eine leblose Maske.
Ob sie sich jemals in ein normales Leben zurückfinden wird, ging es Kirsten durch den Sinn, als sie zur Behnisch-Klinik fuhr, um Frank Derksen den versprochenen Besuch zu machen.
Als sie an seinem Bett saß, wurde sie ruhiger.
»Haben Sie Kummer?« fragte Frank sanft.
»Ich hatte ein Gespräch, das mich betroffen macht«, gab sie zu. »Es ist seltsam, daß ein Mensch, den man genau zu kennen glaubte, sich so verändern kann.«
»Ist es ein Mann?« fragte er stockend.
»Nein, meine Freundin. Sie war sehr krank. Sie wollte aus dem Leben scheiden. Ich kann es nicht begreifen. Sie war so tüchtig, so lebensfroh, bis sie diesen Mann kennenlernte. Entschuldigen Sie, ich sollte darüber nicht reden.«
»Warum nicht? Für mich ist es ein Zeichen, daß Sie mir vertrauen und das freut mich. Liebe geht oft seltsame Wege.«
Ihm wurde es erst im Nachhinein bewußt, daß man dies auch doppelsinnig auslegen könnte, aber Kirsten blieb unbefangen.
»Für mich ist es schlimm, weil es sich bei dem Mann um einen Arzt handelt, der auf die schiefe Bahn gekommen ist. Und da er nicht mehr Arzt sein darf, nehme ich an, daß er sich bei Geli einnisten wollte. Sie hatte ein gutes Einkommen und ist auch von Haus aus nicht unvermögend. Es geht mir einfach nicht aus dem Sinn, was sich da abgespielt hat.«
Geli hätte es ihr erzählen können. Sie hatte jetzt wieder einen halbwegs klaren Kopf, nachdem sie über Kirstens Worte nachgedacht hatte.
Sie erinnerte sich genau an diesen Tag, an dem sie Peter gesagt hatte, daß sie schwanger sei. Sie war von der Untersuchung gekommen, auch nicht gerade himmelhochjauchzend, und Peter hatte es sich in ihrer Wohnung schon gemütlich gemacht. Er saß vor dem Fernsehapparat, hatte eine Flasche Wein neben sich stehen und belegte Brote auf dem Teller.
»Du bist ja schon da«, sagte er mürrisch. »Jetzt meckere bloß nicht gleich wieder, weil ich mir eine Flasche Wein geholt habe.«
»Ich meckere nicht. Wir haben Grund zu feiern. Wir werden ein Kind bekommen, Peter.«
Sie hatte diese Szene jetzt deutlich vor Augen, wie er aufsprang, sie mit funkelnden Augen anstarrte. »Sag das noch mal«, schrie er, und sie erstarrte.
»Ich bin schwanger«, sagte sie betont.
»Du bist verrückt, das kannst du nicht mit mir machen. Was sollen wir mit einem Kind? Man hat mich meiner Existenz beraubt. Ich muß erst mal sehen, wie ich weiterkomme.«
»Das weißt du doch genau, mit Drogenhandel. Ich weiß es. Ich wollte es nie wahrhaben, aber ich brauche dich jetzt nur anzusehen, um zu wissen, daß du auch schon Aufputschmittel nimmst.« Ein schrecklicher Streit folgte, und dann war er erstmal für eine Zeit verschwunden. Das war jetzt vier Wochen her, und in diesen vier Wochen war auch ihr so übel mitgespielt worden, daß sie immer öfter zu den Tabletten griff, die Peter bei ihr deponiert hatte.
Kirsten hat ja recht, dachte sie jetzt. Ich habe mich selbst ruiniert, weil ich blind war, blind sein wollte. Sie dachte eine ganze Zeit nach, und dann begriff sie endlich, daß sie das Kind verloren hatte.
Wenig später kam Dr. Leitner. Er nahm ihre Hand, seine gütigen Augen ruhten auf ihr. »Ich muß Ihnen etwas sagen, Geli«, sagte er väterlich.
»Ich weiß es schon. Kirsten hat mir gesagt, daß ich eine Fehlgeburt hatte.«
»Das Kind wäre behindert gewesen«, erklärte er leise. »So hat die Natur den Arzt ersetzt. Sie sollten jetzt nur an Ihre Genesung denken.«
»Meinen Sie, daß ich noch Freude am Leben haben kann, aller Illusionen beraubt, gedemütigt, aus der Bahn geworfen.«
»So denken Sie jetzt, aber Sie haben es doch in der Hand, einen neuen Weg zu finden, eine neue Stellung, und vielleicht auch einen Mann, auf den Sie sich verlassen können.«
Ein bitterer Zug bog ihre Mundwinkel abwärts. »Sogar meine beste Freundin, meine einzige Freundin habe ich vor den Kopf gestoßen…«
»Sie wird es Ihnen verzeihen, Geli.«
Tränen lösten sich aus ihren Augenwinkeln. »Ich werde viel Mut und Kraft brauchen, wenn ich dieses Dilemma überwinden will.«
»Aber Sie haben noch eine Chance bekommen. Morgen werden Sie zur Behnisch-Klinik gebracht. Dort wird sich manche Gelegenheit zu Gespräche mit Kirsten bieten. Ihr sind auch Steine in den Weg geworfen worden, aber sie richtet den Blick nach vorn. Nehmen Sie sich daran ein Beispiel.«
»Es wird nicht einfach sein, aber ich werde es versuchen«, murmelte sie.
*
Kirsten hatte mit Dieter und Jenny Behnisch über Geli gesprochen und sich bei ihnen bedankt, daß sie damit einverstanden waren, Geli in der Klinik aufzunehmen.
»Hier wird sich Brack nicht hineinwagen«, meinte Dieter Behnisch spöttisch.
»Ich glaube auch nicht, daß er beabsichtigt, sich um Geli zu kümmern«, meinte Kirsten sarkastisch.
Peter Brack hatte es sich in Gelis Wohnung bequem gemacht. Er hatte ja einen Schlüssel, und er hatte auch gleich in Erfahrung gebracht, daß sie zur Leitner-Klinik gebracht worden war. Da er nichts von dem Selbstmordversuch wußte, nahm er an, daß sie eine Fehlgeburt hatte. Das konnte ihm nur recht sein.
Lebensmittel waren noch vorhanden, aber er suchte vergebens nach Geld, ihrem Scheckheft und den Scheckkarten, die Kirsten wohlweislich mitgenommen hatte. Gegenstände von größerem Wert besaß Geli nicht. Er fand nichts, was sich lohnte, zu Geld zu machen. Also mußte er sich wieder auf seine Geschäfte konzentrieren. Peter war sich noch immer nicht bewußt, wie tief er schon gesunken war, da er dazu neigte, immer nur anderen die Schuld zu geben, wenn bei ihm etwas schiefging.
Die Abfuhr, die ihm von Kirsten erteilt worden war, hatte er nicht vergessen, und er überlegte ständig, wie er ihr das heimzahlen könnte. Er wartete jedoch vergeblich auf ihr Kommen. Sie schien sich tatsächlich