Indessen war Constantin Marten in Garmisch angekommen, und Jochen Heeren hätte sich am liebsten in einem Mauseloch verkrochen, als er ihn entdeckte. Aber er konnte nicht mehr Reißaus nehmen, da Constantin ihn schon gesehen hatte und mit energischen Schritten auf ihn zukam.
Constantin gab sich verbindlich. Er merkte natürlich auch, daß Jochen Heeren unruhig und verlegen war.
»Hat sich Ihre Frau schon gemeldet, Herr Heeren?« fragte er betont harmlos.
»Nein, leider nicht. Ich kann Ihnen gar nichts sagen. Ich weiß nicht, wo sie sich jetzt aufhält.«
»Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß ich eine einstweilige Verfügung gegen Sie und Ihre Frau erwirken kann, wenn das Kind vorsätzlich von seiner Mutter ferngehalten wird.«
»Das erzählen Sie Joana! Ich habe damit nichts zu schaffen. Sie macht, was sie will!« begehrte Jochen auf. »Aber Sie können uns nicht nachsagen, daß der Junge hier schlecht behandelt wird. Niemand kann das.«
»Das behaupte ich auch nicht. Aber ich finde es merkwürdig, daß Ihre Frau ausgerechnet dann mit Ulrich verreist, wenn in der Zeitung steht, daß Frau Bürgner aus dem Koma erwacht ist.«
»Stimmt das denn überhaupt?« fragte Jochen. »Es wird ja viel geschrieben, was gar nicht stimmt.«
»Es entspricht aber der Wahrheit.«
»Und Cordula wird wieder ganz gesund werden?«
»Das hoffen wir sehr. Jedenfalls schreitet der Genesungsprozeß jetzt rasch voran.«
»Das freut mich. Aber Joana hängt inzwischen schon sehr an dem Jungen, das muß man verstehen.«
»Das werden Sie mir doch nicht weismachen wollen, Herr Heeren! Das Geld ist verlockend, aber es wird sofort storniert, wenn Ihre Frau den Jungen verborgen hält. Es ist bald der Erste. Eine Überweisung wird dann nicht mehr stattfinden. Und wenn dem Jungen etwas passieren sollte… ich möchte es nicht weiterdenken, aber Ihre Frau müßte es verantworten.«
»Ulrich ist wohlauf, das kann ich beschwören. Ich verstehe ja auch, daß Cordula ihn sehen will, und ich werde dafür sorgen, daß Joana mit ihm rasch zurückkommt, wenn sie etwas von sich hören läßt.«
»Und Sie wollen wirklich nicht wissen, wohin sie gefahren ist?«
»Ich weiß es nicht, mein Ehrenwort.«
Er schaute jetzt so unglücklich drein, daß Constantin ihm glaubte.
»Wir müssen Frau Bürgner irgendwie hinhalten, damit sie sich nicht aufregt, weil Ulrich nicht zu ihr gebracht werden kann. Ein Rückfall muß unbedingt vermieden werden. Wie gesagt, am Ersten wird die Zahlung eingestellt, wenn Ulrich bis dahin nicht bei seiner Mutter war und wir mit Ihrer Frau alles weitere abklären konnten.«
»Ich habe verstanden, aber ich kann Joana nicht verständigen, wenn ich nicht weiß, wo sie zu finden ist.«
»Sie rufen mich sofort an, ich möchte mich darauf verlassen können.«
Jochen Heeren stand wie ein begossener Pudel da. Er war kein unrechter Mensch, und mit einer anderen Frau als Joana wäre er wohl auch recht umgänglich gewesen. Nun, vielleicht zeigte er jetzt doch einmal Rückgrat, denn Constantin spürte, daß er mit der Handlungsweise seiner Frau nicht einverstanden war.
Constantin machte sich Sorgen um den Jungen. Er wußte, wie sensibel Ulrich war. Hoffentlich hatte er keinen seelischen Schaden davongetragen.
Er aß in einem kleinen Restaurant zu Abend, denn langsam hatte sich doch ein Hungergefühl bemerkbar gemacht. Dann fuhr er zurück.
*
Joana war mit Ulrich unterwegs. Im Hotel hatte sie gesagt, daß Ulrich sich nicht wohl fühle und wieder nach Hause wolle.
»Ich will nicht nach Garmisch, ich will zu meiner Mami«, hatte er wieder mit fester Stimme erklärt.
Gegen Mittag waren sie aufgebrochen. Auf direktem Weg wollte Joana allerdings nicht zurückfahren. Sie war auf den Gedanken gekommen, eine Bekannte in Innsbruck zu besuchen. Das wollte sie Ulrich vorher aber nicht sagen. Sie war froh, daß er wieder schwieg und keine Fragen stellte, aber er kannte die Gegend ja nicht und wußte nicht, wohin sie fuhren.
Ihre Bekannte war zwar zu Hause, zeigte sich überrascht, tat auch erfreut, sagte dann aber gleich, daß sie leider gar keine Zeit hätte, da sie eingeladen sei. Es wäre besser gewesen, Joana hätte sich telefonisch angemeldet.
Es sei ein ganz spontaner Entschluß gewesen, erwiderte Joana. Sie sei mit Ulrich unterwegs, um den Jungen abzulenken.
Ulrich wartete indessen im Auto und wunderte sich, daß Joana so schnell zurückkam.
»Meine Freundin muß gleich weg«, sagte sie erklärend. »Wir gehen jetzt essen.«
»Ich will zu meiner Mami!« stieß er wieder nur hervor.
»Kannst du denn überhaupt nichts anderes sagen?« fuhr sie ihn an.
»Nein«, erwiderte er lakonisch.
Sie ging mit ihm in ein Café. »Möchtest du Kuchen oder Eis?« fragte sie. Er entschied sich für Apfeltorte. Er hatte Hunger, sonst hätte er wieder nichts gesagt. Er trank dazu eine Tasse Kakao, schweigsam, ohne Joana einen Blick zu gönnen.
Sie aß Sachertorte und trank Kaffee. Mit ihren Gedanken war sie jedoch nicht bei der Sache. Sie hatte keine Neigung, nach Garmisch zu fahren und sich von Jochen dumm anreden zu lassen. Aber was blieb ihr sonst übrig? Sie hatte in Seefeld fünftausend Mark verspielt. Und ihr wurde bewußt, daß sie Ulrich bei Laune halten mußte, damit er Cordula oder Dr. Marten nicht sagte, es gefalle ihm nicht bei ihr. Aber wodurch konnte sie ihn bewegen, etwas anderes zu erklären?
*
Ihr würde schon noch einiges einfallen, um ihn noch zugänglicher zu stimmen, da war sie ganz sicher. Ihr Optimismus nahm immer mehr zu.
Als sie in Garmisch ankamen, war es schon fast zehn Uhr, da sie noch in einen Stau gekommen waren.
Jochen war erstaunt, als er seine Frau sah, aber dann kam für ihn auch schon das große Aufatmen.
»Gut, daß ihr kommt, sonst könnte so manches ganz anders für dich ausgehen, als du geplant hast«, sagte er. »Na, war es schön, mein Kleiner?«
»Nein«, erwiderte Ulrich. »Ich bin müde.«
»Ich bringe dich gleich zu Bett, mein Schatz«, sagte Joana, worauf sie einen erstaunten Blick von Jochen erntete.
Aber Ulrich sagte: »Ich bin nicht dein Schatz. Ich bin Mamas Schatz.«
Doch er war froh, wieder in einer halbwegs vertrauten Umgebung zu sein. Die Badewanne war nicht so riesig, er konnte an seinen Zahnbecher gelangen, und er konnte im Zimmer allein schlafen mit all seinen Wuscheltieren.
»Ist nun alles wieder gut?« fragte Joana. »Ich dachte, ich würde dir eine Freude machen mit der Reise.«
»War es aber nicht. Gute Nacht.«
Er dachte wirklich nicht daran, Zugeständnisse zu machen. Insgeheim hatte er schon seine eigene Meinung, die aus seinem kindlichen Instinkt entstanden war.
Während Joana den Jungen zu Bett brachte, rief Jochen schleunigst bei Constantin an. Der Anwalt war gerade erst von der Klinik nach Hause gekommen. Und nun war er auch erleichtert, als er erfuhr, daß Joana den Jungen morgen bringen würde.
»Ich rufe Sie an, wenn sie losgefahren sind«, sagte Jochen.
»Ich werde im Büro sein«, erwiderte Constantin und gab ihm die Nummer durch.
Gott sei Dank, dachte er, dann brauchen wir Cordula nicht zu belügen.
Gleich rief er in der Behnisch-Klinik an. Er wurde mit Schwester Nora verbunden, da Dr. Behnisch nicht anwesend war. Und andere Ärzte waren ja nicht eingeweiht.
Schwester Nora gab ihrer Freude auch Ausdruck, als er ihr berichtete,