Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Susanne Svanberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Susanne Svanberg
Издательство: Bookwire
Серия: Sophienlust
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980573
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hinweg. »Freust du dich, dass du meinen Vati kennenlernen wirst?«, erkundigte sie sich und brachte Betti damit neuerdings in Verlegenheit. Mit einem Male kam ihr ihr Plan ungeheuerlich vor. Sah es nicht so aus, als ob sie sich einem wildfremden Menschen aufdrängen wollte? Sie hätte wenigstens vorher schreiben und sich erkundigen sollen, ob ihr Besuch überhaupt willkommen war. Doch nun war es zu spät dazu.

      »Ja, ich freue mich«, sagte Betti ein wenig lahm zu Evi.

      »Ich bin bloß müde. Gestern Abend war ich lange auf. Ich musste doch den Koffer packen und meine Bluse fertig­nähen …«

      »Meine Bluse ist so schön. Vati wird staunen!« Evi kletterte auf Bettis Schoß und schlang ihre Arme um deren Hals. Dann plapperte sie munter drauflos und forderte Bettis ungeteilte Aufmerksamkeit.

      Später stiegen andere Reisende zu, und Evi ergötzte sie mit Erzählungen von Peterles Streichen.

      »Peterle ist wohl dein kleiner Bruder?«, fragte eine dicke ältere Dame.

      »Nein«, erwiderte Evi und wurde nachdenklich. »Leider nicht.« Dann wandte sie sich an Betti und sagte: »Ich hätte so gern ein Brüderchen. Könntest du nicht schauen, dass ich eins bekomme?«

      Die Anwesenden hielten Betti natürlich für Evis Mutter und lachten. Betti errötete und wechselte rasch das Thema.

      Je näher sie ihrem Reiseziel kamen, desto aufgeregter wurde Evi. Betti erging es nicht anders. Im Stillen verwünschte sie, dass sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen hatte. Was würde Herr Gleisner von ihr denken? Aber eigentlich war das gleichgültig. Die Hauptsache war, dass Evi wieder mit ihrem Vater zusammenkam. Was immer Erich Gleisner für ein Mensch sein mochte, Betti war noch immer überzeugt, dass er sich über den Besuch seiner Tochter freuen würde.

      Endlich verließen sie den Zug.

      »Müssen wir noch einmal umsteigen?«, fragte Evi.

      »Nur mehr in ein Taxi«, erwiderte Betti und streckte sich. Sie war steif nach der langen Fahrt. Dann kramte sie in ihrer Handtasche nach dem Zettel, auf dem sie die Adresse Erich Gleisners notiert hatte.

      Als Betti die Adresse dem einzigen Taxichauffeur, den sie vor dem Bahnhof entdecken konnte, nannte, kratzte dieser sich daraufhin am Kopf, überlegte eine Weile und zog schließlich einen Plan zurate.

      »Das ist ziemlich entlegen – mitten im Wald«, stellte er fest. »Sind Sie sicher, dass Sie dorthin wollen?«

      »Natürlich«, erwiderte Betti und stieg in das Taxi um.

      Der Chauffeur zuckte mit den Schultern und fuhr los.

      »Na, erinnerst du dich an die Gegend?«, fragte Betti die kleine Evi während der Fahrt.

      »Ich weiß nicht«, entgegnete Evi ungewiss und starrte aus dem Fenster. »Es ist so lange her. Wenn wir nur schon bei Vati wären«, fügte sie sehnsüchtig hinzu.

      Betti teilte diese Sehnsucht nicht. Sie wünschte nun beinahe, dass die Fahrt mit dem Taxi nie ein Ende nehmen würde. Doch dieser Wunsch war selbstverständlich unerfüllbar. Sie hatten schon vor einer Weile die letzten Häuser der Stadt hinter sich gelassen und fuhren nun durch den Wald. Die Fahrbahn war schmal. Rechts und links davon gab es nur Bäume und Unterholz zu sehen. Der einzige Beweis von Zivilisation war die Straße und die nebenher laufende Hochspannungsleitung.

      »So, da sind wir. Das muss das Haus sein«, sagte der Chauffeur und hielt. Betti stieg aus und entlohnte den Fahrer. Auch Evi kletterte aus dem Wagen und klammerte sich an Bettis Hand. Der Chauffeur hatte den Koffer und die Reisetasche an den Rand der Fahrbahn gestellt, ohne dass Betti es wahrgenommen hatte. Sie stand wie verzaubert da. Das, was sie sah, glich einem Bild aus einem Märchenbuch. Auf einer kleinen grasbewachsenen Anhöhe stand, von hohen Buchen umrahmt, das Forsthaus. Es war ein altes Haus mit einem spitz zulaufenden Giebel, dunklen Holzverschalungen im Erdgeschoss und einem Balkon mit geschnitztem Gitter, der sich über den ganzen ersten Stock hinzog. Über der Haustür befand sich ein Hirschgeweih, an den Fenstern gab es Kästen, die mit rot leuchtenden Blumen bepflanzt waren.

      Das Grundstück wurde durch einen Zaun mit einem Gartentor zur Straße hin abgegrenzt. Auf dieses Tor lief Evi zu. Betti löste sich aus ihrer Verzauberung und eilte dem Kind nach. Neben dem Tor war ein gelber Briefkasten angebracht, auf dem in hübschen Metalllettern der Name Haslinger stand.

      Betti hatte schon die Hand zur Glocke erhoben, als ihr Blick auf das Schild fiel. »Sind wir hier richtig?«, fragte sie Evi und sah sich gleichzeitig nach dem Taxi um, das aber längst weggefahren war.

      »Ja!«, rief Evi freudig erregt. »Jetzt erkenne ich es wieder. Hier wohnt mein Vati.«

      Durch diese Auskunft beruhigt, drückte Betti auf die Klingel. Lautes Hundegebell erscholl, und von irgendwoher kam ein braungefleckter Spaniel zum Tor gestürzt, um die Draußenstehenden zu verbellen.

      Evi wich ängstlich zurück, und Betti merkte an dieser Reaktion, dass ihr der Hund unbekannt war.

      »Ruhig, Ulli, ruhig! Ich komme ja schon!« Ein mittelgroßer Mann trat aus dem Haus. Als er näher kam, merkte Betti, dass er nicht mehr jung war. Sie schätzte ihn auf ungefähr sechzig Jahre. Sollte das Evis Vater sein? Doch ein Blick auf Evi bewies ihr, dass der Mann auch dem Kind fremd war.

      Inzwischen hatte der Mann das Tor erreicht und fragte mit erstaunter Stimme: »Wollen Sie zu mir? Was wünschen Sie?«

      Bettis Mut sank. Zum Glück war Evi weniger schüchtern. Sie erklärte unverblümt: »Ich will zu meinem Vati.«

      »Zu deinem Vati?«

      »Ja«, auch Betti hatte nun ihre Sprache wiedergefunden. »Wir wollen zu Herrn Gleisner. Er wohnt doch hier?«, erkundigte sie sich ängstlich.

      Der Mann war einen Schritt zurückgetreten und rief überrascht aus: »Ach, dann bist du also die kleine Evi, Erichs Tochter!«

      »Ja«, erwiderte Evi, »und das hier ist Betti, meine neue Mutti.«

      So blieb es Betti erspart, sich vorzustellen. Trotzdem hatte sie das Gefühl, ihren Besuch erklären zu müssen. »Ich dachte … Evi wollte so gern ihren Vater wiedersehen. Hoffentlich kommen wir nicht ungelegen?«

      »Aber nein«, unterbrach sie der Fremde und stellte sich als Oberförster Haslinger vor. »Kommen Sie nur weiter.« Er schloss das Tor auf und ergriff Koffer und Reisetasche.

      »Erich wird sich über den Besuch seines Töchterchens freuen, obwohl … Na, Sie wissen ja Bescheid«, meinte er dabei.

      »Ich weiß gar nichts«, entgegnete Betti. »Ich kenne Herrn Gleisner nicht. Ich bin bloß hergekommen, weil Evi … Es hat mir keine Ruhe gelassen …« Es fiel Betti schwer, ihre Beweggründe, über die sie sich selbst kaum im Klaren war, einem Fremden zu unterbreiten.

      Der Spaniel schnupperte neugierig an Evi, worauf sich das Kind hinter Betti flüchtete.

      »Du brauchst keine Angst zu haben, Ulli ist ein gutmütiger Hund. Er möchte dich nur kennenlernen«, sagte Herr Haslinger freundlich zu Evi. Und zu Betti gewandt, meinte er: »Sie sind mir keine Erklärungen schuldig. Es war gewiss gut gemeint von Ihnen, Evi hierherzubringen. Ich habe erst vor Kurzem von dem Unfall, bei dem Evis Mutter ums Leben kam, erfahren. Auch Erich war ahnungslos. Es war ein schwerer Schlag für ihn, obwohl er natürlich nichts mehr mit ihr zu tun hatte. Sie sind also Evis Pflegemutter?«

      »Ja.«

      »Meine Frau hat erwogen – Erich zuliebe –, ob wir das Kind zu uns nehmen sollten. Aber er wollte es nicht. Er meinte, es wäre eine zusätzliche Last …«

      »Oh!« Betti sah Herrn Haslinger erschrocken an.

      Der Förster nickte ihr zu. »Ja, es ist nicht einfach, mit Erich zurechtzukommen. Ich erzähle Ihnen das, damit Sie darauf vorbereitet sind, dass er Sie und das Kind möglicherweise ablehnend empfängt.«

      »Ich hätte nicht herkommen sollen«, meinte Betti niedergeschlagen.

      »O doch! Mir sind Sie willkommen, und Anna – meine Frau – wird sich auch freuen.